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Kultur: „Für mich muss keiner lächeln“

Die Fotografin Helga Paris suchte in der DDR nach dem anderen Gesicht – nach einem, das ihren Blick erwidert

„Ach, weißt Du“, hatte ein Bekannter gesagt und ein Schwarzweißbild in den Händen gedreht, „mach doch Fotografie.“ Das war 1967 und wie ein Schicksal. Auf dem Bild lugten die Köpfe der beiden Kinder von Helga Paris unter einer Gardine hervor. Und so begann die ausgebildete Modegestalterin, mit der „Flexarett“, der tschechischen Rolleiflex-Kamera – Format: 6 mal 6 – ihre Umwelt in Quadraten zu betrachten.

An einem kleinen quadratischen Tisch, der an einem Fenster steht, sitzen wir uns gegenüber. Wie eine Reisebekanntschaft im Speisewagen. Während die große alte, ostberliner Wohnung im Hintergrund verdämmert, bewegen wir uns in die Vergangenheit einer Fotografin zurück, die als Autodidaktin in der DDR zu arbeiten begann, und wie ihre Zeitgenossen Arno Fischer, Sybille Bergemann und Evelyn Richter eine eigene Spur verfolgt. Bei ihr ist es der Blick.

Denn die Fotografierten, sie schauen zurück und schauen aus den Bildern wieder heraus. Ohne Angt. Ohne Misstrauen. Direkt in die Kamera oder selbstvergessen vor sich hin. „So eine Begegnung ist eigentlich nichts“, sagt sie, „und doch beinhaltet sie alles. Die größte Kunst ist es, fotografiert zu werden, und gleichzeitig bei sich zu bleiben. Nur so erzählen die Leute etwas über sich selbst.“ Helga Paris unterscheidet zwischen der Situation und dem Blick. Erst der Blick gibt den Leuten ihre Individualität. „Intellektuelle haben es schwerer, bei sich zu bleiben. Sie sind nicht so leicht zu verführen. Denn es ist ja eine Verführung, die da stattfindet.“

Helga Paris redet nicht von dem erhaschten Moment im Sinne von Cartier-Bresson, auf den man wartet, den man abpasst, und auf den man aufspringt, ihrer ist ein aufgebauter Moment, der Höhepunkt einer direkten Kommunikation, Moment der Verschmelzung von Fotograf und Objekt. Begonnen hat sie diese fotografische Annäherung in Halle. Da wollten sich Leute „gedemütigt und taschenschleppend“ in ihrem Elend nicht auch noch fotografieren lassen. Sie riefen nach der Polizei und verlangten den Film. „Da habe ich die Leute einzeln gefragt. Und als klar war, dass ich nicht von offizieller Seite kam – ich sah ja auch nicht aus, als käme ich von der Stasi – fassten sie Vertrauen.“ Seitdem schauten diese Menschen so ernst und ehrlich in ihre Kamera.

Helga Paris hat etwas Vornehmes. Etwas, das zugleich freundlich entgegenkommend wirkt und Distanz hält. Vielleicht kann man sich so erklären, dass sie am berüchtigten römischen Bahnhof Termini einfach ihre Kamera in eine quadratische Leinentasche steckte, und sich unter den Drogendealern und Strichern, die sie fotografieren wollte, sicher bewegte. Diese Sicherheit damals war nichts als eine Behauptung, über die sie selbst heute noch staunt. Was hatte sie da zu suchen? „Ich kannte sie ja alle, diese Gesichter, hatte sie ja alle schon gesehen.“ Bei Giotto nämlich und in Fellini-Filmen. Doch diese Ähnlichkeit hatte in den Männern, die sich am Bahnhof mit zwielichtigen Geschäften verdingen, noch niemand gesehen. Also fuhr sie hin, mit einer Kamera, deren große Negative noch die Poren der Lederjacken zu erfassen vermochten. „Serio“, ernst, warf sie den Männern entgegen, das einzige Wort, dass sie im Italienischen kannte – und von den Bildern blicken Ikonen.

Dies war eines der wenigen Male, dass Paris verreiste, um zu fotografieren. Denn verreisen irritiert sie eigentlich, fotografisch gesehen. Sie hält ihre nächste Umgebung fest. Und doch, so denkt man, fotografiert sie auf eine Weise, wie andere eine Reisebekanntschaft erleben: einen vergänglichen Moment lang, scheinbar beiläufig, bestürzend offen, und ungeschützt etwas über sich aussagend.

Sie sitzt in einem beigen Strickpulli auf ihrem Stuhl in der Altbauwohnung im Prenzlauer Berg und ist ständig in Bewegung. Hier wohnt sie schon seit 36 Jahren. Fast so lange gibt es das Wandgemälde an der Rückwand, „das war ein sehr kalter Winter, da habe ich mir was Schönes gewünscht.“ Sie hat selbst in der kalten DDR Schönheit gesucht. Und wurde fündig bei Leuten, die sich abseits des Staatsapparats eine selbstbewusste Individualität bewahrten. Und weil sie immer wieder nur den Einzelnen zeigte – so viel Individuum hielten die Oberen nicht aus – durfte sie ihre Bilder aus Halle nicht ausstellen. „Das ist nicht unsere Stadt", hatte das ZK gesagt. Und Halle mit seinen pittoresk verfallenen Häusern nicht wiedererkennen wollen.

Auch heute noch entdecken sich manchmal Menschen auf ihren Fotos neu: „Je mehr die fotografische Technik und die Wirklichkeit auseinander driften, desto weniger kennen sich die Menschen wieder. Die kennen von sich nur die Farb-, Blitz-, und Keep-Smiling-Bilder. Für mich muss keiner lächeln. Warum auch?“ Die Fotografin und ihr Gegenüber bewegen sich auf demselben Niveau, findet sie. In diesem einen Moment, in dem sie sich messen, sich gegenüber stehen: die Paris mit der Kamera und einer Ambition und die Menschen mit ihrem Gesicht und ihrem Selbst. „Die war sehr gleichberechtigt“, das ist ihr höchstes Lob für eine Person, der es gelang, gegenüber der räuberischen Natur der Kamera ihre Art zu behaupten.

Eine Ahnung von dieser Begegnung, dessen, was zwischen zwei Menschen passiert, kann man den Fotos ansehen. Warum? Da sie in einem gelebten, intensiven und nicht in einem toten Moment des Posierens aufgenommen wurden, reflektiert das Papier eine rätselhafte Präsenz der Leute. Der Kulturphilosoph Roland Barthes kam ein ganzes Buch lang nicht über die Tatsache hinweg, dass die Fotografie, bei allem, was ihr sonst noch an Bedeutung zugeschrieben wird, nur eines sicher sagt: „Es ist so gewesen.“ Paris will nicht viel mehr und nichts anderes sagen. Doch macht sie auch deutlich, dass es ganz anders hätte kommen können.

„Authentisch zu fotografieren ist heute schwieriger geworden“, sagt sie leise. Weil sich die Menschen heute ihres Bildes bewusster sind? Vielleicht. Für die Fotografin wird die Hemmschwelle größer, Menschen anzusprechen. „Das Räuberische wird immer deutlicher,“ sagt sie. Denn es ist zuletzt doch eine Begegnung von Ungleichen: „Ich komme da an mit meiner ganzen Erfahrung, setze meine ganze Raffinesse ein, die andere Seite ist unvorbereitet und mir ausgeliefert.“ Oft genug war sie beinah beschämt über das Vertrauen der Leute.

Für die Ausstellung in der Galerie Argus Fotokunst hat Paris ältere Bilder ausgesucht, Berlin in den Sechziger- und Siebzigerjahren. Die Frau, die sich einen Lampionschirm über den Kopf hält, die Kinder auf der Straße, die Menschen in der Kneipe, die die Fotografin nicht wahrzunehmen scheinen. Es sind ruhige selbstvergessene Gesichter einer untergegangenen Welt.

Inzwischen ist Paris 65 Jahre alt. „Wissen Sie“, sagt sie, „ich habe eigentlich alles gesagt. Ich kann jetzt nur noch Verfeinerungen vornehmen.“

Die Ausstellung bei argus fotokunst (Marienstraße 26), läuft bis zum 27. April.

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