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Gerhard Altenbourg im Kupferstichkabinett: Besuch aus Schweden

Ein Europäer aus der DDR-Provinz: Die Gerhard-Altenbourg-Ausstellung „Das gezeichnete Ich“ im Berliner Kupferstichkabinett versammelt die Schätze des Sammler-Paars Walter mit Werken der Staatlichen Museen.

Gerhard Altenbourg war ein großzügiger Freund. Als sich die DDR-Kulturpolitik 1986 endlich zu einer Retrospektive in Leipzig und Dresden herabließ (der ersten großen Altenbourg-Ausstellung im Osten, die nicht verboten wurde), schrieb er seinem Sammler und Freund Rolf Walter als Widmung in den Katalog: „Für Rolf Walter (ohne ihn kann Altenbourg gar nicht gedacht werden)“. Der Stolz, ja das Glück ist dem Sammler Rolf Walter heute noch anzumerken, wenn er über die noble Geste spricht. Gerhard Altenbourg blieb bis zu seinem tragischen Unfalltod 1989 ein Formvollendeter, nicht nur in seiner Kunst.

Das Sammler-Ehepaar Walter ist zur Eröffnung eigens aus Schweden gekommen

Aus Bålsta 50 Kilometer nordwestlich von Stockholm sind Rolf und Solgärd Walter angereist, um die Präsentation ihrer vom Kupferstichkabinett 2014 mit Hilfe der Kulturstiftung der Länder und der Ernst von Siemens Kunststiftung erworbenen Altenbourg-Sammlung zu erleben. Sie sind stolz auf das Ergebnis. Anita Beloubek-Hammer, die sich damit nach über 30-jähriger Tätigkeit für die Staatlichen Museen in den Ruhestand verabschiedet, ist mit der Ausstellung und dem profunden Katalogbuch samt Bestandsverzeichnis aller Altenbourg-Arbeiten im Haus (einige der bereits vor dem Zukauf vorhandenen Arbeiten werden auch in der Ausstellung gezeigt) noch einmal etwas gelungen, worüber man lange reden wird.

Ausstellungen besucht man in der Regel, um sich an Kunst zu erfreuen, und eher nicht, um über privates Sammeln und museale Ankäufe informiert zu werden. Im Falle Altenbourgs, dieses geistigen Europäers aus der DDR-Provinz, ist das eine vom anderen kaum zu trennen. Man muss um die Geduld, Passion und Risikobereitschaft wissen, mit denen das Sammler-Paar vorging. Filmreif ist die im Katalog nachzulesende Geschichte, wie Rolf Walter, von West-Berlin aus auf Besuch in seinem Elternhaus im nahen Vogtland, 1969 den im thüringischen Altenburg zurückgezogen lebenden Künstler kennenlernte.

Gerhard Altenbourg verarbeitete in der Kunst auch seine Erlebnisse als Soldat

Arbeiten Altenbourgs hatte Walter bereits 1966 in West-Berliner Ausstellungen gesehen, so in einer von Eberhard Roters kuratierten Überblicksschau zur Art Brut die erschütternde „Ecce homo“-Zeichnung von 1950, die das Berliner Kabinett 2008 von Dieter Brusberg erwarb und die nun auch in der Ausstellung hängt. Die monumentale Zeichnung, sagt Rolf Walter, „ließ mich nie mehr los und zwang mich, einen Kontakt herzustellen, um das Wie und Warum vom Künstler selbst zu erfahren“. Erst kurz vor seinem Tod hat Altenbourg über die biografischen Hintergründe der 1949/50 während der Weimarer Studienzeit entstandenen „Ecce homo“-Zeichnungen berichtet. Sie verarbeiten, so gut das mit Kunst eben geht, Altenbourgs Trauma, als 17-jähriger Soldat einen russischen Gegner im Nahkampf mit dem Bajonett getötet zu haben. Es gibt noch zwei weitere großformatige Versionen: im Lindenau-Museum Altenburg, das als erstes Museum 1956 Arbeiten des Künstlers erwarb, ihn ein Jahrzehnt später allerdings wieder totschwieg, und im erzbischöflichen Museum Kolumba in Köln.

Zwei Jahrzehnte besuchte das deutschschwedische Ehepaar den Künstler (der eigentlich Gerhard Ströch hieß und sich den Künstlernamen Altenbourg 1955 gegeben hatte)) beinahe jedes Jahr in Altenburg. Besonders auf Besucher aus dem Westen muss der hochgewachsene strahlende Mann, der Maßanzüge trug, sein Haus am Braugartenweg über die Jahre zu einem fein ziselierten Gesamtkunstwerk umgestaltete und über die neuesten Entwicklungen westlicher Kunst und Literatur stets im Bilde war, wie ein Außerirdischer gewirkt haben. Die Walters waren gewissermaßen ein kleiner Teil dieser inszenierten Weltflucht: Im Katalog sind einige von Altenbourgs Wunschlisten abgedruckt, mit denen er neueste Belletristik (von Elias Canetti oder Peter Handke, der ihn allerdings enttäuschte), Ausstellungskataloge, Künstlerfarben und Papiere, aber auch Medikamente und Kleidung für seine Schwester bestellte. Oft wurden die Mitbringsel gegen Kunstwerke eingetauscht. Deren Auswahl - und damit das Profil der entstehenden Sammlung - bestimmte der Künstler. Auch die Korrespondenz mit der West-Berliner Akademie der Künste, deren Mitglied Altenbourg seit 1970 war, überbrachten die Walters, nachdem die Stasi reguläre Briefe abgefangen hatte.

Die von dem Paar zusammengetragenen rund 100 Arbeiten legen, darin vergleichbar anderen privaten Altenbourg-Sammlungen, die in den letzten Jahren vom Lindenau-Museum Altenburg oder dem Dresdner Kupferstichkabinett angekauft wurden, eine höchst individuelle Spur ins Zentrum von Altenbourgs Bildkosmos. Neben den enigmatischen Ich-Köpfen und Seelenlandschaften späterer Jahre liegt ein Schwerpunkt auf den raren frühen Druckgrafiken. Selten nur sieht man eine so verdichtete Suite der im Weimarer "Werkstattrausch" um 1950 entstandenen Lithografien. Auf Blätter wie „Angsttraum, daß die Nase länger werden könne“ oder den alles andere als erbaulichen „Stephanus“ trifft besonders zu, was der sprachlich hochsensible, an Gottfried Benn geschulte Künstler 1967 festhielt: „Dort (…) taucht das Ich hinab und steigt wieder auf, tätowiert, von den Schauern der Nacht, gezeichnet von wahnsinnigen Lichtbündeln, für die kein Fleisch mehr ist, die Innen und Außen verschrumpfen lassen zu einem Nervenplasma, zu Drähten des Erfahrenhabens.“

Auch wenn unsere Verbindungen drahtlos geworden sind, bleiben die Alb- und Wunschträume von Welt dieselben. Altenbourgs künstlerisches Werk kennt keine vordergründige Aktualität. Nur das Erschrecken oder den Glücksmoment beim Wiedererkennen.

Bis 7. Juni, Di–Fr 10–18 Uhr, Sa/So 11–18 Uhr, Katalog 22 Euro

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