zum Hauptinhalt
Die in Berlin und Zürich lebende Architektin, Journalistin und Schrifttstellerin Zora del Buono, 57.

© Yvonne Böhler/Verlag C.H. Beck

Zora del Buonos Roman "Die Marschallin": Gruppenbild mit Salonkommunistin

Zora del Buono hat mit "Die Marschallin" einen empathischen Epochenroman geschrieben - und ihrer Großmutter ein Denkmal gesetzt.

Entschlossen nach links blickt die junge Frau mit dem modischen Bubikopf. Ihre Silhouette überschneidet sich mit dem Lungomare di Bari, der von mächtigen Kandelabern beleuchteten Hafenpromenade in Apuliens Hauptstadt. Dieses Szenario taucht der Buchumschlag von Zora del Buonos Roman „Die Marschallin“ in Orange. (C. H. Beck Verlag, München 2020.382 Seiten, 24 €.)

„Zora“ steht in den südslawischen Sprachen für die Morgenröte, ist aber auch ein Mädchenname. 1941 veröffentlichte der Schweizer Kurt Kläber alias Kurt Held den Jugendroman „Die rote Zora und ihre Bande“. Darin geht es es um eine Gruppe von Waisenkindern, die sich an der kroatischen Küste durchschlägt.

Nicht von einer mutmaßlich erfundenen rothaarigen Kroatin, sondern von einer real existierenden, politisch roten Slowenin, nämlich ihrer Großmutter, erzählt Zora del Buono in ihrem Roman „Die Marschallin“. Dieser militärische Titel in Anlehnung an Josip Broz Tito wurde der Arztgattin und politischen Aktivistin von ihren Bewunderern im Mezzogiorno verliehen, die sie aber ebenso „Zora Grandissima“ nannten, Zora die Größte. Ihre Enkelin ist sonst eher für schmalere Bücher wie die exquisite Novelle „Gotthard“ bekannt.

Die zwischen ihrem Geburtsort Zürich und Berlin pendelnde Architektin, Schriftstellerin und Mitbegründerin der Zeitschrift „mare“ schreibt das „del“ in ihrem Namen klein, was in Italien eine adelige Herkunft signalisiert. Davon wollten sich die linken Großeltern distanzieren und schrieben sich daher „Del“. Es muss für Zora del Buono nicht leicht gewesen sein, ihre Großmutter väterlicherseits zu porträtieren, nach der sie, die Rothaarige, und eine schwarzhaarige Cousine benannt wurden.

Auch auf Alfred Döblin wird verwiesen

Eine gewisse Befangenheit, eine Art nachgetragener Respekt, ist ihrer Familienchronik rund um die überlebensgroße Zora anzumerken.

Die schillernde Großbürgerin und streitbare Zeitgenossin Zora Del Buono kam 1896 als Zora Ostan im slowenischen Bovec, auf Deutsch Flitsch, zur Welt. Die Kleinstadt gehörte zum sogenannten Österreichischen Küstenland der k.-u.-k-Monarchie. Zora verlor früh ihre Mutter, was bei ihr offenbar eine lebenslange Todesphobie verursachte.

Die Halbwaise verbrachte einige Jahre in einem Internat in Wien, einer Stadt, nach der sie sich später immer sehnte. Während der Isonzo-Schlachten im Ersten Weltkrieg wurde Bovec weitgehend zerstört und gelangte unter italienische Hoheit. Zora bringt einen ihrer kleinen Brüder, der sich beim Spielen mit Patronen verletzt hat, in die Ambulanz. Dort lernt sie ihren späteren Mann kennen, den Radiologen Pietro del Buono – 23 Jahre alt, rothaarig und Sizilianer.

Italiens nach eigenen Angaben jüngster Arzt hat in Berlin studiert und sich der Komintern angeschlossen. Das gibt del Buono Gelegenheit zu Passagen mit Lokalkolorit: „Auf seinem Nachttisch in der Eckwohnung in der Eisenacher Straße lag Alfred Döblins Wadzeks Kampf mit der Dampfturbine, er las jeden Abend ein paar Seiten, um sein Deutsch zu verbessern, aber auch, um die Psyche der Deutschen zu verstehen, die ihm tiefgründiger, ja abgründiger erschien als die der Italiener, als ob die Dunkelheit des Nordens sich in den Seelen festgesetzt hätte und darunter verborgene Dinge loderten, die sich im Süden gar nicht hatten entwickeln können.“

Der Hinweis auf Alfred Döblin ist typisch für Zora del Buonos Vorgehensweise: Häufig streut sie in die erzählte Zeit zwischen 1919 und 1980 Buchtitel, Zitate oder Erwähnungen von Geistesgrößen wie Freud, des Futuristen Filippo Tommaso Marinetti oder des Anarchisten Antonio Gramsci ein, mit dem die Familie befreundet war.

[Wenn Sie aktuelle Nachrichten aus Berlin, Deutschland und der Welt live auf Ihr Handy haben wollen, empfehlen wir Ihnen unsere App, die Sie hier für Apple- und Android-Geräte herunterladen können.]

Das verleiht dem Roman zwar viel Zeitkolorit, wirkt aber zuweilen steif und künstlich, vor allem, wenn die Berühmtheiten in den zahlreichen Dialogen zitiert werden, ohne selbst in Erscheinung zu treten.

Zora und Pietro bekommen drei Söhne: Davide, Greco und Manfredi, den Vater der Autorin, der mit 33 Jahren bei einem Autounfall in der Schweiz ums Leben kam. Damit ist er einer von fünf Unfalltoten der Familie, über der ein Fluch zu liegen scheint – für del Buono offenbar ein entscheidender Erzählanlass. Sie porträtiert die aus dem Leben Gerissenen in eingeschobenen Resümees, die wie Todesanzeigen wirken, darunter Fiammetta, dank ihrer scharfen Beobachtungsgabe eine der interessantesten Nebenfiguren.

Die Chemielaborantin heiratet heimlich in Rom Davide Del Buono. Zurück in dessen Elternhaus, liebt sich das Paar „so lautlos wie in einem Stummfilm“, denn stets könnte die Schwiegermutter unvermittelt ins Zimmer treten. Zoras unendlicher Kampf gegen ihre Schwiegertöchter beschert dem Buch seine heitersten Passagen. Als Marxistin und gewiefte Strategin ist sie davon überzeugt, dass die vom Patriarchat unterdrückten Frauen ihre Machtlosigkeit durch Lug und Betrug ausgleichen.

1948 fiel Tito bei Stalin in Ungnade

Nach Stationen in Palermo und Neapel lässt sich die Arztfamilie Ende der 1920iger Jahre, in der Hochphase des italienischen Faschismus, in Bari nieder, wo Pietro an Universität lehrt und eine Privatklinik aufbaut. Fortan dreht sich alles um die „drei großen P“: „Politik, Patienten, Palaver“.

Um ihrem großbürgerlichen Haushalt den passenden Rahmen zu verleihen, plant Zora nach dem Vorbild des Postamts von Palermo eigenhändig den Bau einer Villa mit 23 Zimmern. Sie wird zu einem Hort der Resistenza, und da Zoras Verbindungen ans andere Ufer der Adria nie abreißen, steht 1944 großer Besuch ins Haus, nämlich der Ministerpräsident der Volksrepublik Jugoslawien: Tito.

1948 fiel Tito bei Stalin in Ungnade. Zora und Pietro del Buono werden aus der Kommunistischen Partei ausgeschlossen, was für sie eine biographische Zäsur bedeutet. Außerdem ereignet sich in ihrem Umfeld ein geheimnisumwitterter Mord. All diese Ereignisse des Jahres 1948 veranlassen die Autorin, an diesem Punkt ihre multiperspektivische Außendarstellung der Großmutter jäh abzubrechen.

Der bis dahin eher konventionell gehaltene Roman überspringt einige Jahrzehnte und endet mit einem launigen Monolog der Hauptfigur, gehalten im Februar 1980 in einem slowenischen Altersheim: „Dieses Valium macht einen richtiggehend plemplem, aber nicht für den Moment. Ich bin sonst nicht plemplem. ICH NICHT. In der Familie Ostan kennt man keine Demenz.“ Gatte Pietro ist hingegen dement, aber selig, und erinnert sich nicht mehr daran, je verheiratet gewesen zu sein.

Drei Monate nach seiner großzügigen Gastgeberin stirbt deren Vorbild Tito. Zora del Buono hat ihrer Großmutter ein Haus in Romanform erbaut. Nach bester italienischer Tradition wird darin vor allem der lebendigen Streitkultur gehuldigt. Der Ausdruck „Salonkommunistin“ gleicht in diesem mitunter emphatischen Epochengemälde einem Adelsprädikat, getreu dem Motto, das von dem spanischen Dramatiker Ramón María del Valle-Inclán stammt: „Kommunismus ist Aristokratie für alle“. Ohne Klatsch kommt aber auch diese Aristokratie nicht aus.

Zur Startseite