
© Valeria Mitelmann
Hans-Werner Meyer vom Bundesverband Schauspiel: „Unsere Beschäftigungslage ist schlechter als zur Corona-Zeit“
Fernsehsender produzieren weniger, Theater leiden unter Einsparungen. Die Schauspielkunst ist derzeit ein besonders prekärer Beruf. Hans-Werner Meyer, Schauspieler und Gewerkschafter, kennt die Ursachen.
Stand:
Herr Meyer, kann der Bundesverband Schauspiel guten Gewissens jungen Menschen empfehlen, den Schauspielberuf zu ergreifen?
Ich empfehle diesen Beruf niemandem. Das habe ich noch nie gemacht. Aber wenn jemand meint, Schauspieler werden zu müssen, dann soll er das machen. Man muss bereit sein, in unsicheren Verhältnissen zu leben, und es unbedingt wollen, dann kann man den Beruf heute genauso ausüben wie vor 20 Jahren.
Ihr Verband hat jüngst darauf hingewiesen, dass die Beschäftigungssituation von Schauspielerinnen und Schauspielern dramatischer ist als in Zeiten der Pandemie. Was heißt das?
Wir haben eine multipolare Krise. Sie führt dazu, dass die Beschäftigungslage noch schlechter ist als während der Corona-Zeit. In normalen Zeiten sind von rund 16.000 deutschen Schauspielerinnen und Schauspielern täglich im Schnitt 6200 in Arbeit, also vor der Kamera, am Theater oder am Mikrofon.
2024 sackte das auf den bisher tiefsten Stand von 5505 täglichen Beschäftigungen ab. Das sind elf Prozent weniger und damit noch niedriger als während der Pandemie (5698). Die Zahlen für dieses Jahr liegen noch nicht vor, erste Rückmeldungen lassen aber auf noch weniger als im Vorjahr schließen.
Woran liegt das?
Da kommen vier Faktoren zusammen. Im Fernsehbereich, bei den öffentlich-rechtlichen Sendern, wird massiv gespart. Das ZDF beispielsweise spart 100 Millionen Euro im linearen Programm ein, um eine Mediathek aufzubauen, die mit den Mediatheken anderer Anbieter konkurrieren kann. Die ARD macht dasselbe. Hinzu kommt, dass die Rundfunkgebühren nicht angemessen erhöht werden können. Das heißt, die Öffentlich-Rechtlichen haben mehr Aufgaben und weniger Geld.
Auch die Streamer produzieren weniger oder haben, wie Sky Deutschland, Paramount Plus und Sony, ganz aufgehört, in Deutschland zu produzieren, nachdem sie mit ihrem Verdrängungswettbewerb versucht haben, sich am Markt zu etablieren. Zudem wirken sich die Einsparungen im Berliner Kulturhaushalt auf die Theater aus. Die Staatstheater haben die Zahl der Neuinszenierungen drastisch reduziert und beschäftigen keine Gastschauspieler*innen mehr. Und als vierten Faktor haben wir die Filmförderung.
Ihr Verband mahnt an, dass diese nicht konkurrenzfähig sei.
Genau. Es gibt zwar das noch von Claudia Roth durchgebrachte neue Filmfördergesetz, aber die zweite und dritte Säule, also der Steueranreiz für Produktionen und eine Investitionsverpflichtung der Streamer, die auf dem großen deutschen Markt viel Geld verdienen, werden nun leider offenbar doch nicht umgesetzt.
Aber wenn man als Schauspieler in der Öffentlichkeit über seine eigene schlechte Beschäftigungslage spricht, gilt man einerseits als larmoyant, schließlich laufen ständig Wiederholungen, die den Eindruck erwecken, man habe gut zu tun, und andererseits als unsexy, weil man nicht besetzt wird.
Hans-Werner Meyer, Schauspieler und Gewerkschafter
Warum hört man öffentlich trotzdem nach wie vor wenig über die prekäre Situation so vieler Schauspieler?
In der Branche redet man über kaum etwas anderes. Aber wenn man als Schauspieler in der Öffentlichkeit über seine eigene schlechte Beschäftigungslage spricht, gilt man einerseits als larmoyant, schließlich laufen ständig Wiederholungen, die den Eindruck erwecken, man habe gut zu tun, und andererseits als unsexy, weil man nicht besetzt wird. Aber genau das ist ja der Punkt: Es ist ein strukturelles Problem, nicht ein individuelles.
Ich kann Ihnen gerne anonym drei Beispiele nennen, die die Situation plastisch machen: Eine sehr bekannte Kollegin sagte mir, sie drehe immer noch drei Filme im Jahr, aber früher hätte sie noch andere Angebote ablehnen können, heute nicht mehr. Eine andere, ebenfalls bekannte Kollegin hat nach zehn Jahren wieder angefangen zu kellnern. Und ein junger, sehr talentierter Kollege schrieb mir, er sei verzweifelt, wisse nicht mehr, was er tun solle, und ob ich nicht etwas für ihn tun könne, vermutlich, weil ich ehrenamtlicher Vorstand in der Gewerkschaft bin.
Deutschland steckt in einer Rezession. Ist es da nicht logisch, dass auch in der Unterhaltungsindustrie nicht mehr so üppig Aufträge vergeben werden?
Sicher. Aber die Branche ist ein Wirtschaftsfaktor. Jeder Euro, der investiert wird, kommt durch die Hebelwirkung doppelt zurück. Fallen in der Filmförderung die Steueranreize weg, führt das nicht zu höheren Steuereinnahmen, sondern zur Abwanderung der Produktionen ins Ausland.
Die Kulturetatkürzungen tragen nur knapp über vier Prozent zu den Gesamteinsparungen bei, führen aber dazu, dass Berlin extrem unattraktiv für Firmen wird, weil Berlins größte Stärke nun mal das reiche Kulturleben ist. Es ist ökonomisch also genauso kurzsichtig wie die jahrelangen Einsparungen bei der Deutschen Bahn, die jetzt zu höheren Kosten führen, weil das Schienennetz nicht gepflegt wurde.
Muss Ihr Gewerbe sich auf eine lange Durststrecke einstellen?
Ich habe keine Glaskugel, nur eine lange Erfahrung. Nach der 2002er-Pleite der Kirch-Gruppe, einem der größten deutschen Medienkonzerne, gab es schon mal so eine Auftragskrise. Aber jetzt kommt neben den oben erwähnten Faktoren auch noch die Gefahr hinzu, dass KI viele Jobs dauerhaft vernichten wird. Wobei das bislang vor allem eine Angst ist, die aber im Synchronbereich schon für Unruhe sorgt. Dort sind KI-Synchronisationen zwar noch nicht auf dem Niveau, auf dem in Deutschland synchronisiert wird. Da hört man den Unterschied. Aber Sachbücher werden teilweise schon von KI eingelesen.
Verlässliche staatliche Finanzierung ist für die Kunstfreiheit unerlässlich.
Hans-Werner Meyer, Schauspieler und Gewerkschafter
Stimmt es, dass Film- und Fernsehproduktionen ihre Rollen inzwischen auch nach der Größe der Social-Media-Gemeinde von Darstellern besetzen?
Dass Followerzahlen zunehmend eine Rolle spielen, höre ich als Gerücht auch immer wieder. Es ist sicher nur ein Aspekt von vielen, aber trotzdem eine bedenkliche Entwicklung, weil Followerzahlen rein gar nichts über die schauspielerische Qualität aussagen.
Welche Anstrengungen kann die Branche unternehmen, um unabhängiger von öffentlichen Geldern zu werden?
Es gibt Ansätze und gute Ideen. Kürzlich hatte ich Kontakt mit einer Unternehmerin, die von sich aus die Frage stellte, wie sie Kultur unterstützen könne. Ich selbst habe gerade das Projekt einer befreundeten Regisseurin unterstützt, mit dem sie Oper außerhalb der Opernhäuser, in einem Rahmen, in dem Menschen sich treffen, durch sie finanziert, an die Leute bringt, also bei einem Fest, einem gesetzten Dinner, Titel „Opéra Privée“.
Aber klar ist auch: Verlässliche staatliche Finanzierung ist für die Kunstfreiheit unerlässlich. In Hamburg zum Beispiel gibt es eine wohlhabende, kulturunterstützende Bevölkerung, aber zugleich wurde der Kulturetat dort erhöht statt beschnitten.
Ihr Gewerbe war über die Jahrhunderte betrachtet meist ein Beruf ohne soziale Absicherung. Hat die Schauspielerei auch jetzt noch eine Zukunft?
Die Schauspielerei entspringt einem tiefen menschlichen Bedürfnis nach Geschichtenerzählen und Nachahmung. Die Frage ist eher, ob und wie man in Zukunft davon leben kann. Aber diese Frage stellt sich inzwischen ja bei so ziemlich jedem Beruf. Die Arbeitswelt verändert sich durch den Vormarsch von KI generell.
Ich habe zwei Söhne und wüsste nicht, was ich denen für einen krisensicheren Beruf empfehlen könnte. Aber was man als Schauspieler lernt, sind Fähigkeiten, die man überall anwenden kann. Wie man auftritt, wie man eine Wirkung erzeugt, wie man Geschichten erzählt. Das lässt sich in vielen Bereichen anwenden. Zum Beispiel beim Überprüfen von KI. Indem man analysiert, wie Erzählstrukturen und -strategien funktionieren und wann Menschen oder die Maschinenintelligenz lügen.
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