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Harvey Weinstein ist auch in Los Angeles zu 16 Jahren Gefängnis verurteilt worden.

© imago/UPI Photo/IMAGO/Angela Weiss

Harvey Weinstein erneut verurteilt: Eine kleine Genugtuung für die MeToo-Bewegung

Der ehemalige Hollywood-Mogul ist in New York in mindestens einem von drei Anklagepunkten der sexuellen Nötigung für schuldig befunden worden. Aber das Strafrecht bleibt ungenügend.

Stand:

Die juristischen Details in der Neuauflage des New Yorker Prozesses gegen Harvey Weinstein wirkten im Angesicht des Interesses der Öffentlichkeit, dem (nicht zuletzt durch die Aussagen des Weinstein-Verteidigers Arthur L. Aidala) die Verhandlung in den vergangenen Wochen ihr mediales Framing verdankte, fast ein wenig kleinkariert. Sicher, ein ordnungsgemäßes Verfahren muss im Interesse eines Rechtsstaats sein – auch wenn die Trump-Regierung diesen gerade, etwa bei der Einwanderung, systematisch aushebelt.

Aber ging es in den beiden Prozessen gegen Harvey Weinstein in New York 2020 und in Los Angeles 2023 nicht mal um die Frage, ob sexualisierte Gewalt und sexuelle Nötigung, diese Grauzonen körperlichen Übergriffs, künftig auch juristisch strafbar sein könnten? Also: mit strafrechtlichen Konsequenzen für die Täter?

Es war Aidala selbst, der seinen Mandanten einen „MeToo-Posterboy“ nannte, der einem gesellschaftlichen Furor vermeintlich geopfert worden sei. Aber war nicht die Haftung für ein kriminelles Vergehen der zivilisatorische Fortschritt, den man sich von dem exemplarischen Prozess gegen Weinstein (eine Anklage wegen sexueller Nötigung, eine wegen Vergewaltigung) versprochen hatte?

Die wenigsten MeToo-Täter wurden verurteilt

Viele Täter haben unter dem Eindruck der MeToo-Bewegung ihre Jobs verloren, oft war der Ruf danach irreparabel beschädigt. „Canceln“ sagt man dazu in konservativen Kreisen. Aber nur die wenigsten wurden von Gerichten verurteilt; oder die Schuldsprüche wurden – wie im Fall von Bill Cosby, dem über 60 Frauen Vergewaltigung und sexuellen Missbrauch vorwerfen – wegen Verfahrensfehlern wieder einkassiert. Dieses Schicksal ist den Frauen, die Harvey Weinstein sexualisierte Gewalt vorwerfen, immerhin – teilweise – erspart geblieben.

Weinstein-Opfer Miriam Haleyi (rechts) am Mittwoch nach dem Schuldspruch für den ehemaligen Hollywood-Mogul

© AFP/ANGELA WEISS

Doch der zweite New Yorker Weinstein-Prozess, in dem das Gericht am Mittwoch zu Urteilen in zwei von drei Anklagen kam, hinterlässt einen faden Beigeschmack. Das 2020-Urteil im Fall der ehemaligen Produktionsassistentin Miriam Haleyi, die Weinstein vorwirft, sie 2006 in dessen New Yorker Wohnung zu Oralsex gezwungen zu haben, wurde von der zwölfköpfigen Jury (sieben Männer, fünf Frauen) bestätigt. Haleyi musste sich im Kreuzverhör noch einmal den Diffamierungen von Weinsteins Anwalt aussetzen, aber sie hat ihre Version der Ereignisse für die Jury überzeugend dargelegt.

Glaubt man der Gerichtsreporterin der „New York Times“, glichen die Ausführungen der Staatsanwaltschaft allerdings einem juristischen und argumentativen Eiertanz, weil man um jeden Preis vermeiden musste, sich – anders als vor fünf Jahren – auf Aussagen und Ereignisse zu beziehen, die nichts mit dem aktuell verhandelten Fall zu tun haben. Solche Zeugenaussagen waren der Grund, warum das New Yorker Berufungsgericht im April 2024 das erste Urteil einkassiert hatte. Dabei sind gerade bei Sexualstraftaten die Verhaltensmuster von vermeintlichen Tätern aussagekräftig. Nur weil diese Muster im Fall von Weinstein so offensichtlich sind, wurde das Urteil erneut bestätigt.

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Jahre Gefängnis drohen Harvey Weinstein bei einem Schuldspruch.

Paradoxerweise halfen dabei vermutlich die Aussagen des ehemaligen Models Kaja Sokola, die Weinstein vorwirft, sie als Minderjährige zum Oralsex gezwungen zu haben. In ihrem Fall war die Jury zwar nicht von der Schuld Weinsteins überzeugt, aber ihre Zeugenaussage trug vermutlich dazu bei, ein Bild vom Vorgehen des Angeklagten zu zeichnen. Die Vorwürfe Sokolas waren 2020 noch nicht Teil der Anklage gewesen. Dass Weinstein erneut verurteilt wurde, empfand sie nach der Verhandlung vom Mittwoch als Genugtuung, auch wenn es in ihrem Fall zu keinem Schuldspruch kam.

Dass die Jury sich über den dritten Fall, die Vorwürfe der Schauspielerin Jessica Mann, im Gerichtssaal und im Besprechungsraum teils erbitterte Wortgefechte lieferte, die den vorsitzenden Juroren sogar dazu erwogen, Richter Curtis Farber einzubeziehen, verrät vielleicht schon einiges über den Stimmungswandel im Umgang mit Sexualstraftätern.

2020 fiel das Jury-Urteil über Harvey Weinstein, wohlgemerkt unter deutlich größerem Druck der Öffentlichkeit, noch eindeutig aus. Heute zerfleischt sich die Jury fast. Im Fall von Mann handelt es sich um das schwerwiegendste Delikt, die Schauspielerin wirft Weinstein Vergewaltigung vor. Sie begann nach der Tat allerdings auch eine kurze Beziehung mit dem ehemaligen Hollywood-Mogul.

Über die psychologischen Implikationen von Täter-Opfer-Beziehungen sind im Verlauf des Prozesses einige Expertenmeinungen gehört worden, immer ging es dabei um die Glaubwürdigkeit der Frauen. Nie die des Mächtigen.

In den kommenden Tagen erwartet das Gericht auch das Urteil im Fall Jessica Mann, dann findet dieses unwürdige Schauspiel ein Ende. Sollte die Jury zu einem anderen Urteil als 2020 kommen, wäre das ein düsterer Tag für die MeToo-Bewegung. Und für Tausende von Amerikanerinnen.

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