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„Here“ von Robert Zemeckis im Kino: Das Leben, ein Medley
Reunion des „Forrest Gump“-Teams mit Tom Hanks und Robin Wright. Die Comicverfilmung „Here“ packt Schicksale aus mehreren Jahrhunderten in ein Wohnzimmer.
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Der Ansatz klingt visionär: ein Wohnzimmer, eine Einstellung, unbewegt, den gesamten Film über – und dennoch passiert ganz viel in „Here“. Durch einen inszenatorischen Kniff: Regisseur Robert Zemeckis lässt den Handlungsort unverändert, dreht aber wie wild an der Zeitachse.
Er zeigt, wie das Haus um 1900 herum gebaut wird und wie im Lauf der Jahrzehnte die verschiedensten Menschen dort einziehen: von einem Flugpionier (Gwilym Lee) und einer frühen Frauenrechtlerin (Michelle Dockery) über ein Pin-Up-Girl (Ophelia Lovibond) und ihren Erfinder-Boyfriend (David Fynn) bis hin zu einem Weltkriegs-Veteran (Paul Bettany) mit seiner Ehefrau (Kelly Reilly).
Tom Hanks als Maler
Letztere bekommen drei Kinder, von denen das älteste zu einem von Tom Hanks verkörperten Maler heranreift, der wiederum eines Tages seine große Liebe (Robin Wright) nach Hause bringt, die dann ihrerseits ... und so weiter und so fort.
Zemeckis springt sogar zurück in die vorkoloniale Ära, als am Standort des Hauses noch ein Wald wuchert und nordamerikanische Natives im Unterholz jagen, sammeln und lieben. Mehr noch: Er zeigt prähistorische Wildnis, Dinos, einen Kometen, Eiszeit.
All das nicht chronologisch, sondern kühn durcheinandergewürfelt. Zur Verortung platziert Zemeckis historische Wegmarken: das Ende des Unabhängigkeitskrieges, die Spanische Grippe, den Überfall auf Pearl Harbor als Radiodurchsage, den Fernsehauftritt der Beatles bei Ed Sullivan.
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Die Idee zu „Here“ entstammt Richard McGuires gleichnamiger Graphic Novel von 2014 (die wiederum auf einem Comicstrip von McGuire von 1989 basiert). Als medialen Querverweis blendet Zemeckis fortwährend Rahmen im Bild ein.
Durch diese „Fenster“ erblickt man einen Ausschnitt der nächsten Zeitebene, bevor Momente später auch der Rest des Bildes herübermorpht. Cutter Jesse Goldsmith setzt wenig harte Schnitte, vielmehr ist „Here“ ein einziger langer Überblendungsreigen – an einem Ort, über Jahrmillionen hinweg.
Forrest Gump und Kennedy
Kein Wunder, dass Zemeckis dieser Ansatz fasziniert hat. Der 72-Jährige ist in den mehr als vierzig Jahren seiner Karriere immer daran interessiert gewesen, wie technologische Neuerungen die Möglichkeiten des filmischen Erzählens erweitern. Beide Ebenen hat er mal subtil vermählt, zum Beispiel in „Zurück in die Zukunft“, „Contact“ und natürlich „Forrest Gump“, in dem die Titelfigur in manipulierten historischen Aufnahmen unter anderem Kennedy die Hand schütteln darf.
In anderen seiner Projekte schiebt sich die technische Seite in den Vordergrund, etwa in der Cartoon-Realfilm-Mixtur „Falsches Spiel mit Roger Rabbit“ und dem Motion-Capture-Showcase „Der Polarexpress“.
Vom Twen zum Greis
„Here“ gehört eher in erste Kategorie, auch wenn der Einfluss der Spezialeffekt-Abteilung enorm ist. Dank eines frischen, KI-gesteuerten Verfahrens sehen wir Hanks mal als Zwanzigjährigen, dann wieder als Greis am Ende seines Lebens. Das sogenannte De-Aging kommt seit einigen Jahren in Hollywood-Produktionen zum Einsatz. Martin Scorsese hat es 2019 in seinem „Irishman“ erstmals prominent genutzt. Mit dem Ergebnis, dass Robert De Niro aussieht, als hätte man seinem alten Männerkörper ein junges Gesicht aufgepflanzt.
In „Here“ wirkt das Gesamtbild stimmiger, auch weil Hanks und Wright dank der neuen Technik beim Dreh verfolgen konnten, wie ihr jüngeres Selbst auf der Leinwand erscheinen wird. Dennoch haftet ihrem Spiel etwas Starres an. Sie sehen zwar aus, als wären sie noch mal so jung wie vor dreißig Jahren, als sie in „Forrest Gump“ erstmals unter Zemeckis’ Regie ein Liebespaar verkörperten, doch will sich die gestraffte Schale nicht recht mit Leben füllen.
Wohnzimmer als Theaterkulisse
Dieser Eindruck wird durch die theaterhafte Anmutung des Ein-Wohnzimmer-als-Bühne-des-Lebens-Konzepts noch verstärkt. Der für den Unterhaltungswert eher hinderlichen Statik begegnet Zemeckis mit einer ausgeprägten Rastlosigkeit. Der Regisseur verharrt bei jedem der vielen, vielen Handlungsstränge häufig nur Sekunden.
Geburt eines Kindes – Zeitsprung! Nachricht vom Tod der geliebten Haushälterin – zack! Mit Schlaganfall von der Leiter gefallen – bumm! Wirkt schon die Anfangsmontage wie der Vorspann zu einer Serie, kommt der Rest von „Here“ in seinem Medley-Modus wie ein „Was bisher geschah“-Rückblick daher.
So ist der Film vollgepackt mit Schnipseln aus endlos vielen Leben, die man aber allesamt nur oberflächlich kennenlernt. Schlimmer noch: Was man von ihnen sieht, ist mal kitschig, mal klischeehaft, gern auch beides auf einmal. (Die malerischen Ureinwohner:innen im Mondschein markieren den Tiefpunkt.)
Der Regisseur will im Aneinanderreihen schicksalhafter Momente den emotionalen Punch landen. Eine Absicht, die man „Here“ jederzeit anmerkt und die einen deswegen auch vollkommen kaltlässt. Zemeckis’ Ansatz mag wagemutig sein. Nur weil er es schafft, daraus einen Film zu formen, heißt das aber noch lange nicht, dass dieser Film auch ein guter ist.
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