zum Hauptinhalt
Nachtaktiv. Die am 13. Februar 1951 in Berlin geborene Schriftstellerin Katja Lange-Müller. Zuletzt erschienen von ihr die Romane „Die Drehtür“ und „Böse Schafe“.

© Mike Wolff

Katja Lange-Müller zum 70. Geburtstag: „Ich bin ja ein gefestigter Charakter“

Corona, das Schreiben, der Wedding: Ein Anruf bei der Berliner Schriftstellerin Katja Lange-Müller, die an diesem Samstag ihren 70. Geburtstag feiert.

Frau Lange-Müller, einen schönen guten Tag…
Katja Lange-Müller: Ja, hallo, ich verstehe sie gerade nicht. Warten Sie kurz, ich mache mal die drei Radios leise…

Drei Radios laufen bei Ihnen zugleich?
Ja, nur heute. Ich muss aufpassen, denn mein Mann sitzt gerade in einem Zug aus der Schweiz, und natürlich ist die Hotline von der Bahn überlastet.

Was machen Sie sonst? Schreiben Sie?

Nein, heute nicht. Ich mache hier die normale Haushaltswirtschaft. Schreiben kann ich nicht, wenn mein Mann kommt. Der lebt in der Schweiz, und wir pendeln.

Das letzte Buch von Ihnen liegt ja schon ein paar Jahre zurück. Schreiben Sie denn an einem neuen?
Ja, klar, an einem Roman. Bei mir dauert es halt immer ein bisschen. Ich schreibe jede Seite bestimmt drei-, viermal neu, mindestens! Das Zurückliegende muss immer makellos sein. Ich kann das nicht wie andere so manisch in einem Zug, sondern schreibe mehr im Walzertakt: zwei Schritte vor, einen zurück. Schreiben ist kein Spaß für mich. Ich halte das für eine sehr anstrengende Tätigkeit. Am wichtigsten dabei: Man darf seiner eigenen Eitelkeit nicht eine Sekunde lang auf den Leim gehen.

Sie kennen keine Eitelkeit?
Ich bilde mir ein, kein selbstverliebter Charakter zu sein, weder wenn ich in den Spiegel noch wenn ich aufs Manuskript schaue.

Um was geht es in Ihrem neuen Roman?
Um drei Frauen unterschiedlichen Alters, zwei ziemlich alte und eine etwas jüngere. Alle drei sind muttergeschädigt, kommen aus familienschwachen Strukturen und sind bis in die Fußnägel hinein unaufrichtig. Die Lage eskaliert gleich zu Beginn. Denn zwei der Frauen kümmern sich um einen gewissen Ole – „Unser Ole“ wird der Roman auch heißen. Ole ist ein 17 Jahre alter, bärenstarker, aber kognitiv beeinträchtigter Mann, und die eine der Damen stirbt an einem Genickbruch. Die Frage ist: War es Ole? Oder ist sie von allein die Treppe runtergefallen? Das wird so eine Art Prosakammerspiel. Es geht darum, dass Frauen nicht die besseren Menschen sind, in keinem Fall die ehrlicheren. Alle drei machen sich gegenseitig etwas vor und auch jede sich selbst.

Wann wird er fertig? Das klingt ja schon sehr ausformuliert.
Ende des Jahres, ich bin zur Hälfte durch.

Ist die Corona-Zeit Ihrem Schreiben zuträglich? Sie haben mehr Zeit und Ruhe...
Ganz und gar nicht. Ich muss auch sagen, dass es langsam finanziell eng wird, existentiell. Ein Jahr habe ich nichts verdient, außer dass ich den einen oder anderen Zeitungstext geschrieben habe. Was das an Honoraren bringt, wissen Sie ja nur zu gut. Das reicht nicht mal für die halbe Miete. Ich brauche Veranstaltungen, immerhin sind im April wieder welche anvisiert. Aber wer weiß? Verlass ist gerade auf nichts.

Also wird Ihre Arbeit durch Corona eher beeinträchtigt. Ihre Stimmung auch?
Nein, ich neige nicht zu Trübsal. Die Depression als Gemütszustand liegt mir nicht. Ich bin ja ein gefestigter Charakter, mit 70 sollte man das sein. Problematischer ist eher, dass das Dachgeschoss über mir ausgebaut wird. Ich wohne im vierten Stock. Das macht unwahrscheinlich viel Dreck und Lärm, das geht schon ziemlich lange so – und ich kann nirgendwohin ausweichen, nicht hier im Wedding. Vorn und hinten stehen die Gerüste. Da springen nachts schon mal drei, vier Gestalten mit Taschenlampen herum. Aber ich bin nachtaktiv, ich schreibe meistens nachts. Das habe ich mit Einbrechern gemeinsam, das Nachtaktive – die waren also schnell wieder weg. Nein, das ist nervig alles. Ich muss mal eine Zeit lang raus, ich bin nicht Frank Zander, der in der „BZ“ in einer Tour Stuckstücke in die Kamera hält.

Sehen Sie die Kultur durch die Pandemie-Maßnahmen schlecht behandelt?
Selbstverständlich! Denken Sie an die Museen, das ist überhaupt nicht einzusehen, dass die nicht wieder aufmachen können. Ich schätze ja Frau Grütters und Herrn Lederer, aber es reicht hinten und vorne nicht. Hier mal ein Körbchen ausschütten, schön und gut, für wirklich bedrohte Künstler. Doch im Großen und Ganzen ist die Kultur in den Arsch gekniffen.

Sie haben vergangenes Jahr eine ungewöhnliche Lesung gemacht, auf einer Parkbank in der Nähe des Leopold-Platzes.
Das stimmt. Ich sehe da immer Straßenmusiker und dachte, das probiere ich auch, nur ohne Hut und Blechdose. Es blieben einige Figuren stehen – diejenigen, die sowieso nicht wissen, wie sie ihre Zeit totschlagen sollen. Und die Fragen und Antworten, naja. „Lerne besser mal ein Instrument“, meinte einer. Einige haben auch länger zugehört, das schon, waren ja Erzählungen aus dem Wedding.

[Wenn Sie alle aktuellen Nachrichten live auf Ihr Handy haben wollen, empfehlen wir Ihnen unsere runderneuerte App, die Sie hier für Apple- und Android-Geräte herunterladen können.]

Hat Sie von den Vorübergehenden niemand erkannt?
Nein, wo denken Sie hin, hier im Wedding! Außerdem: So populär sind Schriftsteller schon lange nicht mehr, dass man ihre Gesichter erkennt. Oder gar ihre Texte, die noch weniger! Ich wollte übrigens auch mal wissen, ob gleich der sozialpsychiatrische Dienst angerufen wird. War aber nicht so.

Sie wollten das in Charlottenburg wiederholen. Haben Sie das gemacht?
Nein, dorthin traue ich mich nicht. Charlottenburger sind anders drauf. Hier im Wedding ist doch alles entspannter.

Ernsthaft?
Nein, das war ein Witz. Texte aus dem Wedding sind in Charlottenburg vielleicht nicht so attraktiv. Im Moment ist es sowieso zu kalt.

Was machen Sie sonst während der Corona-Zeit, wenn Sie nicht schreiben?
Ich gehe viel spazieren und vor allem lese ich.

Was lesen Sie gerade?
Tolstois „Krieg im Kaukasus“ in der Übersetzung von Rosemarie Tietze, absolut zeitgemäß, leider Gottes. Und davor habe ich einen kleinen Roman gelesen, einen japanischen Krimi, von Kim Young-Ha. „Aufzeichnungen eines Serienmörders“, erschienen im kleinen Cass Verlag, auch sehr schön. Die Verlegerin habe ich mal kennengelernt, dann deren Bücherliste mir angeschaut und mir einmal diesen Roman zuschicken lassen.

Wie ist Ihr Eindruck auf den Spaziergängen? Hat sich Berlin verändert im vergangenen Jahr, in dieser besonderen Situation?
Aufgefallen ist mir, dass die Friedhöfe jetzt übervölkert sind. Das illegale bis halb legale Leben hat sich dahin verlagert. Da werden Sixpacks Bier hingeschleppt, die Junkies haben sich dahin verkrümelt, auf Friedhöfen ist richtig was los! Mehr Lebende als Tote, die attraktivste Location im Moment.

Sie selbst haben aber auch einmal eine Lesung mit Kolleginnen und Kollegen auf dem Dorotheenstädtischen Friedhof gemacht und aus Büchern der dort liegenden berühmten Schriftsteller und Schriftstellerinnen gelesen.
Ja, wir standen neben den Gräbern unserer teuren Toten und verlasen deren Texte. Ich stand am Grab von Heiner Müller, an dem von Wolfgang Hilbig und noch einigen anderen. Apropos Event: Es gibt auf dem Dorotheenstädtischen Friedhof eine veritable Cannabiszucht. Und mehrere Unterkünfte für freilaufende Katzen, richtige Häuschen sind das.

Wie feiern Sie Ihren Geburtstag?
Da mache ich nichts viel. Den feiere ich ganz ruhig mit meinem Mann.

Haben Sie einen besonderen Wunsch?
Ein Ein-Mann-Konzert. Es ist allerdings nicht einfach, einen Termin zu erhalten. Ich möchte ein Cellokonzert, das ist schwieriger, als ein Klavierkonzert zu bekommen.

Zur Startseite