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Mierendorffplatz, 2022, von Anna Lehmann-Brauns.

© Anna Lehmann-Brauns: Mierendorffplatz 2022

Imma uff: Drei Berliner Fotografinnen loten den Kosmos Kneipe aus

Von Räumen und Menschen. Die Ausstellung „Chez Icke“ von Anna Lehmann-Brauns, Friederike von Rauch und Stefanie Schweiger in der Kommunalen Galerie Berlin

Draußen ist Sommer, flirrendes Blätterrauschen und emsige Passanten direkt vor dem Fenster. Drinnen herrscht immer dieselbe Jahreszeit, da gilt Kneipen-Zeitlosigkeit. Hier grünen die Billardtische, flackern die Spielautomaten, dudelt die Musik, mickern die Topfpflanzen, wachen Wirtsleute über Flaschen, Tische, und Bierdeckel.

Ein Paralleluniversum nennen es die drei Fotografinnen Anna Lehmann-Brauns, Friederike von Rauch und Stefanie Schweiger und paraphrasieren mit dem Titel ihrer Ausstellung in der Kommunalen Galerie Berlin „Chez Icke“, einen Slangausdruck, der eigentlich das private Zuhause meint.

Etwas, was trotz ewiger Eckkneipenfolklore, die überreichlichen Eingang in Romane, Fotobände und Kneipenführer gefunden hat, und ewigem Eckkneipensterben, immer noch viele Menschen in der Kneipe finden. Wie die Künstlerinnen, die zuvor keine Kneipengängerinnen waren, bei ihrer Recherche herausgefunden haben. 80, 90 Kneipen hätten sie dafür sicher besucht, sagt Stefanie Schweiger, die sich mit ihren Kolleginnen ausgerechnet im Corona-Lockdown, als der soziale Ort Kneipe brach lag, für das Thema zu interessieren begann.

Leydicke, 2022, von Friederike von Rauch. 
Leydicke, 2022, von Friederike von Rauch. 

© Friederike von Rauch

Von ihr stammen die Porträts von Wirtsleuten, die laut Schweiger die Identität einer Kneipe vorgeben. Beispielsweise Chefin Gunni, die im „Chez Hardy“ mit feuerrotem Schopf und blassblauem Blick am Tresen sitzt und ins Nirgendwo schaut. Oder Leydicke-Wirt Raimon Marquardt, der die Hände in die Hüften stemmt, wie sich das für ein Zentralfigur der Kiezkultur gehört. Nichts weniger ist er, haben die Fotografinnen festgestellt. Matthias, Wirt der Bornholmer Hütte in Prenzlauer Berg, ist gar mit einem eigenen Videointerview vertreten, in dem ideale Gäste so beschreibt: „Die sollen trinken, es nicht übertreiben und sich benehmen.“

Magendoktor, 2022, von Friederike von Rauch und Stefanie Schweiger.
Magendoktor, 2022, von Friederike von Rauch und Stefanie Schweiger.

© Friederike von Rauch/Stefanie Schweiger: Magendoktor 2022, Video Still

An der Längsseite des Treppenhauses sind weitere der von den Fotografinnen eingesammelte Kneiperzitate zu lesen. „Spielsucht ist schlimmer als Alkoholismus“ lautet eins. Beides sind oft anzutreffende Bestandteile eines Stammgastlebens, die die Funktion der Gastwirtschaft als Treffpunkt nicht schmälern, aber auch gegen seine Romantisierung stehen. Die jedoch haben die Künstlerinnen ebenso wenig im Sinn wie die Demontage der mythischen Institution.

Gunni, 2022, von Stefanie Schweiger. 
Gunni, 2022, von Stefanie Schweiger. 

© STEFANIE SCHWEIGER

Die Kneipe als Ort der Verheißung, als ein in die nächtliche Stadt hinausleuchtendes Versprechen ist am ehesten in den farbstarken Nachtbildern von Anna Lehmann-Brauns zu finden. Die auf die Überhöhung menschenleerer Innenräume spezialisierte Fotografin inszeniert einen von Stickern und Graffitigekritzel bedeckten Billardraum als Memory einer Kultur und schwelgt in der theatralischen Aura der Samtvorhänge und Leuchtschilder - von „Imma uff“ bis „Zum Hecht“.

Ihre Kollegin Friederike von Rauch fotografiert sonst eigentlich abstrakte Architekturen und hat vor wenigen Jahren einen großartigen Band über Klosterbauten publiziert. Und jetzt Kneipen? „Klöster und Kneipen haben eine Gemeinsamkeit“, sagt sie, „die extreme Gemeinschaft“. Und das Bierbrauen hat ja ehedem auch im Klöstern begonnen, fällt einem da gleich als nächste Analogie ein. Beim Betrachten von Rauchs puristischen Tageslicht-Stillleben mit Gilbgardine, Ascher, Mobiliar kann man den Raum förmlich riechen. Keinesfalls jedoch Gemütlichkeit.

Reich an Atmosphäre sind die drei Bewegtbild-Meditiationen, die Rauch und Schweiger auf Video gebannt haben. In den statischen Einstellungen, die als Loop zusammengeschnitten und mit dem jeweiligen Kneipensound unterlegt sind, eröffnen sich kuriose Einblicke in Räume, durch die nur kurzzeitig Menschen huschen.

Der Blick geht hinaus aus dem Fenster, auf das Flaschenregal, den Wackelpinguin am Tresen, das abgeschabte Klavier, die flackernde Lampe, die AC/DC und St.Pauli-Sticker an der Wand. Kurz auf die Essenz dessen, was von fröhlichen oder tristen Kneipenabenden übrigbleibt.

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