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Janet Jackson, hier im April 2023 in Hollywood, Florida, ist auf der Bühne immer noch ein Energiebündel.

© Getty Images for Janet Jackson/Kevin Mazur

Janet Jackson in Berlin: Zuchtmeisterin der Rhythmus-Nation

Nach elf Jahren tritt Janet Jackson erstmals wieder in Berlin auf. Doch ihr atemloses Konzert wirkt fast schon wie die Rückschau auf eine einmalige Karriere.

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Wiedervereint. Man darf den Titel von Janet Jacksons zehnter Tour, die am Dienstag ihren vorletzten Stopp in der Mehrzweckhalle am Ostbahnhof einlegte, in vielerlei Hinsicht interpretieren. Benannt nach ihrem größten Hit – in einer an Hits wahrlich nicht armen Karriere – hat die „Together Again“-Tour einerseits etwas von einem Comeback; zuletzt war Jackson 2011 in Europa.

Der Titel ist aber auch stolzer Ausdruck der eigenen Stärke: Die vergangenen Jahre haben es mit einem der größten weiblichen Popstars nicht gut gemeint. In den 1990er Jahren befand sich Jackson, die ihr fünftes Album nur noch schlicht „Janet.“ (wichtig: mit Punkt) genannt hatte, auf Augenhöhe mit der Queen of Pop Madonna. Am Dienstag ist der Innenraum der Uber Arena locker bestuhlt, die Oberränge sind abgehängt. Nur knapp 10.000 Fans jubeln Jackson zu.

Sie ist also wieder da. Einige andere stehen dagegen nicht mehr an ihrer Seite. Vater Joe starb 2018, Bruder Tito gerade erst vor einigen Wochen. Und Michael, in dessen übermächtigem Schatten Janets imposante Karriere immer gestanden hat, hinterließ ihr und der Popmusik ein ambivalentes Vermächtnis.

Generalprobe für eine Las-Vegas-Show

Sie alle sind an diesem Abend dennoch anwesend. Michael steigt noch einmal für ein virtuelles Duett herab, der auftosende Jubel für ihren gemeinsamen Hit „Scream“ übertrifft alle Reaktionen auf die Songs von Janet. Und zu „Together Again“ schweben auf einer LED-Leinwand Kindheitsbilder mit Vater Joe und Bruder Tito über der Bühne: ein Lied über das Sterben, eingehüllt in diesen unwiderstehlich-erhebenden Disco-House-Beat.

Es ist der bewegende Schlusspunkt eines Auftritts, der schon ein wenig an eine Lebensbilanz erinnert. Wie die Generalprobe für eine Las-Vegas-Residenz, zu der sich Jackson im Dezember tatsächlich verpflichtet hat.

Jackson hat die Bürde ihres Familiennamens ein Leben lang mit sich herumgeschleppt, sich mit ihrem dritten Album „Control“ vom prügelnden Vater emanzipiert, mit dem Nachfolger „Rhythm Nation 1814“ die Popmusik in ein gleißend helles Stahlbad aus Funk getaucht und dabei den Erwartungsdruck stets mit eiserner Disziplin kompensiert.

Man sieht es ihrer perfekt choreografierten Live-Show immer noch an: Die 58-Jährige hält ihre vier deutlich jüngeren Tänzer über fast zwei Stunden auf Trab, zeigt selbst aber kaum Ermüdungserscheinungen.

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Dieses Konzert will unbedingt als Leistungsschau verstanden werden. Schon die Anzahl der Songs – 39 spielt sie auf dieser Tour – erinnert noch einmal daran, dass ihre Musik in den 1980er und 1990er Jahren omnipräsent war.

Allerdings hat Jackson sich dazu entschieden, ihre Hits (sowie einige obskure Stücke) in einem atemlosen Medley aneinanderzureihen, das einzelnen Songs wenig Raum zur Entfaltung lässt und eher an ein Jukebox-Musical denken lässt.

„Got ‘til It’s Gone“, einer ihrer schönsten Songs, blitzt nur kurz mit einer Zeile des Rappers Q-Tip und dem berühmten Joni-Mitchell-Sample auf, bevor die Nummernrevue weiterzieht. Die Verschwendung vom hymnischem Material und eingängigen Hooks ist ärgerlich, aber Janet Jackson hat eine andere Agenda. Es geht darum, schon mal das eigene Vermächtnis zu definieren.

Karriereknick nach sexistischem „Nipplegate“

Die Gründe, warum Janet Jackson in der Popwelt in Ungnade gefallen ist, haben zweifellos mit dem sogenannten „Nipplegate“-Skandal zu tun. Nach der inzwischen berüchtigten Superbowl-Halbzeit-Show 2004, in der Jackson das „Dekolleté verrutschte“, offenbarte sich wieder einmal der ganze Sexismus der Musikbranche. Die Karriere ihres Gesangspartners Justin Timberlake hat von diesem Malheur eher noch profitiert, Jacksons dagegen sollte sich nie wieder erholen. Auch gegen diese Schmach singt sie heute an.

Zur Einordnung des Lebenswerks lässt sich am ehesten die Auswahl der Songs heranziehen; die meisten stammen an diesem Abend von den Alben „Janet.“ und „Rhythm Nation“. Der perkussive Maschinenfunk letzteren Großwerks, geschmiedet vom Produzentenduo Jam & Lewis und in Berlin von einer fünfköpfigen Live-Band so brachial wie furios eingespielt, dominiert die beiden letzten der vier Akte des Konzerts.

Zuchtmeisterin Janet, die zu diesem Zeitpunkt einen schwarzen Lackmantel trägt, darunter die Fetisch-Interpretation einer militärischen Uniform, treibt ihre Tanzpartner im großen Finale zum Stakkato-Groove von „State of the World“, „The Knowledge“ und dem Titelsong über die Bühne. Danach kann es eigentlich nur wieder heller, leichter werden; mit „Whoops Now“ und „Together Again“ wird das Publikum in die Nacht entlassen.

Auf der Suche nach Antworten, warum Janet Jackson heutzutage nicht die Würdigung erfährt, die ihr gebührt, landet man schnell bei Beyoncé, im Grunde ihre natürliche Nachfolgerin als erfolgreiche schwarze Sängerin und Geschäftsfrau. Aber Jackson hat, vielleicht auch wegen der traumatischen Bürde ihres Namens, nie die kulturelle Strahlkraft einer Beyoncé Knowles entwickelt. Es hätte sie 2004 nach „Nipplegate“ möglicherweise vor Schlimmerem bewahrt.

Janet Jackson wird als sagenhafte Hitmaschine in Erinnerung bleiben, nicht als Pop-Phänomen mit gesellschaftlicher Relevanz. Es ist erst wenige Wochen her, da irritierte sie eine Journalistin des britischen „Guardian“ mit der Bemerkung, Kamala Harris habe ja gar keine afroamerikanische Familiengeschichte – schlimmste Trump-Propaganda.

Solche Aussagen tragen nicht gerade zum eigenen Legendenstatus bei. Jackson war ihre gesamte Karriere hindurch vor allem eine Kämpferin in eigener Sache. Fast 40 Jahre nach ihrem Album mit dem programmatischen Titel „Control“ ist sie zumindest diesem Ziel sehr nah gekommen.

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