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Jazz: Wenn ich eine Wolke wäre

Die Berliner Jazz-Sängerin Defne Sahin hat auf ihrem Debütalbum "Yasamak" den großen türkischen Dichter Nâzim Hikmet vertont. Ein Porträt.

Tiefes Neukölln, ein Hinterhof, dritter Stock, eine Wohnzimmerbühne mit Sofas und Sesseln. Der Raum ist gut gefüllt, das Publikum studentisch, ein paar Erasmusler lümmeln herum. Mittendrin sitzt ein älterer türkischer Herr, ganz gerade, still und andächtig. Der Mann sagt, dass er wegen Nâzim Hikmet gekommen sei, dem berühmtesten Dichter der Türkei, den er verehre und der 1963 im Moskauer Exil 61-jährig starb. Der andere Grund aber, wegen dem er da ist, wiegt sich vorne auf der Bühne zwischen Klavier und Schlagzeug: eine hochaufgeschossene, elegante Frau mit dunklen Augen unter weitgeschwungenen Brauen und langen schwarzen Locken, die ein neugieriges, neugierig machendes Gesicht rahmen. Defne Sahin singt zu einem swingenden Kontrabass, betont jedes Wort: „Yasamak bir agaç gibi, tek ve hür ve bir orman gibi, kardesçesine, bu hasret bizim“ – „Leben wie ein Baum, einzeln und frei, und brüderlich wie ein Wald, das ist unsere Sehnsucht.“

Es ist das Titelstück von Sahins Debütalbum „Yasamak“ auf dem sie die Gedichte von Nâzim Hikmet frisch vertont hat, und sie singt sie natürlich nicht auf Deutsch, sondern auf Türkisch, was nicht nur weniger sperrig ist, sondern mit seinen dunklen Um- und zarten Sch-Lauten auch perfekt zur fliehenden Struktur des Jazz passt.

Nach dem Stück bedankt sich Defne Sahin artig beim Publikum, das zu ihren romantisch-getragenen Kompositionen für Schlagzeug, Bass und Piano konzentriert schwelgt und Bio-Pils trinkt. Sahin spricht über Nâzim Hikmet: der habe immer sehr einfache Worte gefunden, die im Zusammenspiel so viel mehr ausdrücken würden. Auch die 27-Jährige gibt sich unkompliziert, nicht als Diva, sie versteht sich als Profimusikerin. Das fing schon mit anderthalb Jahren an, erzählt sie später in ihrer aufgeräumten Einzimmerwohnung in Schöneberg, in der das größte Möbelstück ein blitzblankes Klavier ist, das sie ihr „zweites Instrument“ nennt – „das erste ist meine Stimme“.

Defne Sahins Weg zum Jazz ist ein ziemlich gerader. Im Kindergarten wurde sie musikalisch früherzogen, mit fünf saß sie am Piano und sang im Kinderchor. Dann ging sie auf eine Ganztagsschule in Kreuzberg, in der gemeinsam gesungen wurde und dann auf das deutsch-englische Sophie-Charlotte-Gymnasium in Charlottenburg. „Ja, ja, ich weiß“, sagt Sahin, „ich bin eure Kulturtürkin. Es gibt ja immer noch Leute, die loben mein gutes Deutsch.“ Er scheint nicht aus den Köpfen herauszukriegen zu sein, der Sarrazinkomplex. Aber Sahin, die Berlinerin, fühlt sich eigentlich von dieser Debatte nicht angesprochen, denn das sind ja auch zwei verschiedene Welten, der geizig-verkniffene Herr Sarrazin und die offenherzige Sahin, für die das Leben zwischen zwei, drei Kulturen kein Phänomen von einem anderen Planeten ist, sondern Alltag. Sahins Eltern kamen in den Siebzigern als Lehrer nach Berlin, sie hatten sich beim Germanistikstudium in Ankara kennengelernt und musizierten zusammen - ihr Vater spielt die Langhalslaute Saz, ihre Mutter Mandoline. „Na, ja“, sagt sie und will das Thema abschließen, „die Leute, die keine Ausländer kennen, kommen zu mir, um alles mit mir aufzuarbeiten“.

Defne Sahin redet lieber über Nâzim Hikmet, der in den siebziger Jahren ein Liebling der deutschen Linken war, eine Art türkischer Pablo Neruda, wenn man so will. Der Liedermacher Hannes Wader hat Hikmet vertont, und auch heute noch wird in Grundschulen dessen „Lasst uns die Erde den Kindern übergeben“ gesungen. Es war dieses Gedicht, das Defne Sahin als Kind auf einer Beschneidungsfeier hörte, seitdem hat der Poet sie nicht mehr losgelassen. Kleine, hübsche Szenen hat die Musikerin nun um Hikmets Verse herum komponiert und sich dabei von deren Klang und Inhalt leiten lassen. Das Lied „Wenn ich eine Wolke wäre“ etwa scheint selbst abzuheben. Es beginnt mit einem schwebenden Basslauf und einem federleichten Becken, Sahins feste, helle Stimme kommt hinzu, dann setzt ein Piano die Komposition auf einen fliegenden, immer dichter gewebten Teppich. Das ganze Album ist eher zart-vorsichtig als knallig, aber nie verschwurbelt oder selbstgefällig: bluesig, orientalisch, balladesk.

Was ihr an Hikmet so gut gefalle, sagt Sahin, sei neben den Beschreibungen der Natur die große Ruhe seiner Gedichte, die immer nach etwas suchten, „aber mit großer Gelassenheit“. Nâzim Hikmet saß wegen seiner kommunistischen Überzeugungen 15 Jahre lang in türkischen Gefängnissen und floh 1951 nach Moskau, wo er auch begraben liegt. Erst 2009 gab die Türkei ihrem wichtigsten modernen Dichter die Staatsbürgerschaft zurück.

Daran gedacht, Hikmets Gedichte auf Englisch oder sogar Deutsch zu singen und sie so einem größeren Publikum zugänglich zu machen, hat Sahin nie. Türkisch sei perfekt für den Jazz geeignet, sagt sie. In der Türkei habe Jazz auch einen ganz anderen Stellenwert, dort höre ihn vor allem die Elite.

Am Ende ihres Neuköllner Wohnzimmerkonzerts gibt es großen Applaus für Sahin und ihre Band, aus der der 21-jährige Pianist Elias Stemeseder aus Salzburg mit mitreißenden Soli und cooler Begleitung herausragt. Seit Februar touren die vier schon durch größere und kleinere Städte Deutschlands, und haben dabei die kulturell unterversorgte Provinz schätzen gelernt. Dort seien die Menschen noch begeisterungsfähig.

Während ihres Studiums am Jazzinstitut der UdK trat Sahin in Brasilien, Südafrika und den USA auf. Nun arbeitet sie an einem „berlinISTanbul“ betitelten Projekt, will neue Gedichte über Istanbul vertonen und traditionelle türkische Instrumente verwenden. An einer Stelle des Albums hat Sahin eine Originalrezitation von Nâzim Hikmet untergebracht: „Bir yolculuk üstüne“ – „Über eine Reise“, nennt sich das Gedicht: „Wir öffnen die Türen. Wir schließen die Türen. Wir gehen durch die Türen hindurch.“ Defne Sahin sagt: „Ich bin keine Deutsche, ich bin keine Türkin, ich bin Berlinerin. Und ich spiele Jazz.“

Record-Release-Konzert: A-Trane, Bleibtreustraße 1, Mittwoch, 30.11., 22 Uhr

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