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Voodoo-Gospel. Moor Mother und DJ Haram sind zusammen 700 Bliss.

© CTM

Club Transmediale in Berlin: Jeden Tag ein Weltuntergang

Computerlärm, eine dysfunktionale Eisenbahn und Sci-Fi-Horror gegen Rassismus: Die Clubtransmediale verwandelt Berlin wieder in ein abgedrehtes Klanglabor.

DJ Haram wollte als Kind immer Schlagzeug und Synthesizer spielen, um für American Idol zu üben, was ihr als Mädchen einer konservativen Familie mit libanesischen Wurzeln verboten war. „Aber mein Verlangen, Dinge zu kreieren, die ich in meinem Musikuniversum vermisst habe, war hartnäckig“, sagt die Musikerin aus Philadelphia, die beim diesjährigen CTM-Festival gleich zweimal auftritt. Damit passt sie schon mal hervorragend zum Festival-Motto „Persistance“, womit freilich auch die Beharrlichkeit gemeint ist, mit der die Festivalmacher seit 20 Jahren der Forderung nach festen Grenzen und starren Ordnungssystemen eine Vielfalt entgegensetzen, die aus der ursprünglich als Begleitprogramm zum Medienkunstfestival Transmediale gedachten Veranstaltung längst eine eigenständige Musikreihe für exklusive Klangabenteuer und globale Clubkultur gemacht hat.

Auch für die Jubiläumsausgabe, die am Samstag unter anderem mit einer wilden Show der Baile-Funk-Performerin Linn da Quebrada aus Brasilien im HAU ihren Ausgang nahm, haben die Veranstalter wieder ein buntes Programm zusammengestellt, bei dem an zehn Tagen eine kaum zu überblickende Fülle an Künstlerinnen und Künstlern auftritt. Neben den Konzerten und Clubnächten in diversen Locations gibt es zudem wieder mehrere Klanginstallationen und Ausstellungen zu bestaunen. Eine urkomische Attraktion ist zudem die dysfunktionale Eisbahn im Berghain, während daneben im gut beheizten Konzertsaal andere Abenteuer stattfinden. Etwa die unheilig geknödelte Kantate „Kill“ von John Bence aus Bristol, der am Dienstag mit einem wahnsinnig anmutenden Blick am Bühnenrand steht und wild mit den Armen fuchtelt, während sein elektronisch verfremdeter Gesang wie ein Choral der Finsternis über den Köpfen schwebt und das Publikum im Stile apokalyptischer Moritaten mit schlingpflanzenartiger Sogwirkung ins tiefe Wasser zieht.

Bellydance-Party-Beben

Einen Tag später kann man den nächsten Weltuntergang erleben: „I Just Can’t Avoid the Void in Avoid“ nennt sich die Klangcollage des Berliner Punkrock-Soziologen Tim Tetzner, der mit sekundenkurzen Gitarren-Feedback-Soundfetzen aus mehr als 1500 Hardcore-Stücken dem Phongott der singenden Sägen und bulligen Rückkopplungen huldigt.

Weniger konzeptuell geht es beim Auftritt von Caleph8 und Nonplus aus Manila zu, die sich mühsam durch ein basswummerndes Maschinengerumpel schleppen, bevor gegen Mitternacht DJ Haram auf die Bühne steigt, um mit der Spoken-Word-Poetin Moor Mother als 700 Bliss eine afrofuturistische Voodoo-Ritual-Musik zu entfesseln. Dabei verbindet das fulminante Duo aus Philadelphia den spirituellen Brennstoff einer Gospel-Predigt mit digitalem Computerlärm und arabischen Trommel-Samples zu einem Bellydance-Party-Beben, bei dem die zerbrochenen Hip-Hop-Beats von DJ Haram wie Spraydosen eingesetzt werden, die verstümmelte Zeichen an die Wände kritzeln. Währenddessen überführt Moor Mother, die eine silberne Alienmaske mit grün leuchtenden Augen trägt, den Protest gegen Rassismus und Unterdrückung von Minderheiten fauchend in die surrealen Ebenen des Sci-Fi-Horrors: „Ring the Alarm! Kill the races in your head!“.

Fluchen im Namen der Menschenwürde

Ein großartiger Auftritt, der das Publikum komplett aus den Socken hebelt, bevor die belgische Punkband Cocaine Piss einen energetischen „Glittershitstorm“ von der Rampe schleudert und dabei loslegt wie ein wild um sich schlagendes Riesenbaby. Straighter Crust-Punk mit einer überdrehten Frontfrau im schwarzen Gymnastikdress, die gerne Ausflüge ins Publikum unternimmt, um den Leuten ihre „Fuck You!“-Texte direkt ins Gesicht zu brüllen. Nicht gerade der allerneueste Ansatz, doch beim CTM-Festival ist alles erlaubt. Auch dass man dem verdatterten Publikum beharrlich den Mittelfinger entgegenstreckt. Irgendwie dient das hier der Menschenwürde.

Noch bis zum 3. Februar

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