zum Hauptinhalt
Plattencover der Karajan-Aufnahme von Strawinskys "Sacre du printepms" und Bartoks "Konzert für Orchester".

© Universal

Jubiläums-CD-Box der Deutschen Grammophon: Sternstunden der Schallplattengeschichte

Seit 100 Jahren arbeiten die Deutsche Grammophon und die Berliner Philharmoniker zusammen. Nun durften Fans eine Jubiläums-Box mit ihren Lieblingsaufnahmen zusammenstellen.

Berlin, im November 1913: Die Musiker drängen sich vor einem riesigen Schalltrichter, Arthur Nikisch hebt den Taktstock – und Beethovens Fünfte beginnt. Über eine Membran gelangen die Schallwellen der Instrumente zu einem Schneidestichel im Nebenraum, der Rillen in eine Wachsmatrize ritzt. Kurze Zeit später erscheint die erste Gesamteinspielung der „Schicksals-Sinfonie“, auf vier Schelllack-Platten.

Seit 100 Jahren nehmen die Berliner Philharmoniker für die Deutsche Grammophon auf. Zunächst ist der Prozess mehr als mühselig, das Ergebnis klanglich kaum befriedigend. Ab 1925 kann dann endlich mit Hilfe von Mikrofonen aufgezeichnet werden. 1935 ermöglicht die Erfindung des Magnet-Tonbandgeräts einen weiteren Qualitätssprung, 1962 legt das Orchester mit Herbert von Karajan die erste Stereo-Gesamteinspielung aller Beethoven-Sinfonien vor, im Dezember 1980 schließlich beginnt das CD-Zeitalter mit der ersten Digitalaufnahme von Richard Strauss’ „Alpensinfonie“, natürlich wieder unter der Leitung des Technik-Avantgardisten Karajan.

100 Jahre gemeinsamer Aufnahmegeschichte – wie stellt man da eine Jubiläums-Box zusammen? Die Grammophon delegierte die heikle Aufgabe an die Fans: Aus einer Liste von 280 Stücken durfte jeder seine Lieblinge auswählen. 37 000 Stimmen wurden abgegeben, Publikumssieger wurde Leonard Bernsteins einzige Philharmoniker-Aufnahme, Mahlers 9. Sinfonie. Es folgt Nikischs Fünfte von 1913, Claudio Abbado und Maurizio Pollini belegen mit Beethovens 5. Klavierkonzert den dritten Rang, gefolgt von Carlo Maria Giulinis Verdi-Requiem und Rafael Kubeliks Interpretation der Neunten von Dvorak. Auch wenn sich Karajan nicht unter den Top 5 findet, so steht der Langzeitchef immerhin quantitativ ganz vorne: 15 der 50 CDs tragen seine Handschrift.

Sieht man davon ab, dass Wilhelm Furtwängler auch als Komponist vertreten ist – mit seiner 2. Sinfonie, in eigener Interpretation von 1951 – präsentiert sich die aus der Massenbefragung hervorgegangene Werkauswahl recht konventionell. Gleich dreimal taucht die „Moldau“ auf, ebenso Beethovens Fünfte, je doppelt sind dessen Neunte und das Dvorak-Cellokonzert vertreten. Dazu viel Brahms, Mahler, Bruckner, Strauss, Mozart, das klassische Kernrepertoire eben.

Doch das sagt natürlich nichts über die Qualität der einzelnen Aufnahmen aus. Wer sich auf die historische Klangreise begibt, entdeckt Sternstunden der Schallplattengeschichte. Oder er entdeckt sie wieder. In den ganz frühen Beispielen sind Werk und Interpretation oft nur zu erahnen, doch schon die Furtwängler- Aufnahmen vermitteln ein klares akustisches Bild von der Art, wie der für seine auratische Intensität berühmte Maestro mit dem Orchester musiziert hat. Faszinierend, welche Tempo-Freiheiten sich Shura Cherkassy 1951 bei Tschaikowskys 1. Klavierkonzert nimmt. Überwältigend der wild entschlossene Zugriff von Igor Markevitch auf Mussorgskys „Bilder einer Ausstellung“ 1953.

Nichts von seiner mitreißenden Kraft hat die Einspielung des Ravel-Klavierkonzerts aus dem Jahr 1967 mit Martha Argerich und Claudio Abbado verloren. Beglückend, wie französisch Karajans „Carmen“ von 1982 klingt, im Sprachlichen wie Musikalischen absolut authentisch. Und auch bei der 1977er Aufnahme von Strawinskys „Sacre du printemps“ greift das Vorurteil vom Schönklang-Maestro nicht: Expressionistisch-scharfkantig dirigiert Karajan hier, absolut modern.

Viel wäre noch zu berichten, zu schwärmen über einzelne Aufnahmen aus dieser „Jahrhundertedition“. Das Beste an der schwergewichtigen Box aber ist am Ende doch: der Preis. 80 Euro für 50 CDs – noch nie war es so günstig, Philharmoniker-Fan zu werden.

Zur Startseite