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"Judas and the Black Messiah" im Kino: Schwarze Exzellenz made in Hollywood

Vom FBI unterwandert: "Judas and the Black Messiah" über den Black-Panther-Aktivisten Fred Hampton erzählt ein unbekanntes Kapitel der Bürgerrechtsbewegung.

Von Andreas Busche

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Der Krieg des FBI gegen die Bürgerrechtsbewegung begann lange vor dem Aufstieg Martin Luther Kings zum nationalen Heilsbringer. Bereits Mitte der fünfziger Jahre standen schwarze Gemeinden im Süden der Vereinigten Staaten unter Beobachtung, es war das Werk eines Mannes: FBI-Chef Edgar J. Hoover, der 48 Jahre die Bundesbehörde leitete.

Unter seiner Ägide entstand 1956 das Counter Intelligence Program (Cointelpro), das politische Gruppen systematisch observierte. Die Bürgerrechtsbewegung sah Hoover als besonders gefährlich für die öffentliche Ordnung an. Er fürchtete die Ankunft eines „schwarzen Messias“, der die Kommunisten, die Gegner des Vietnamkriegs und die Neue Linke zu einer Protestbewegung vereinen könnte.

Der Titel von Shaka Kings zweiter Regiearbeit „Judas and the Black Messiah“ über das kurze Leben des Black-Panther-Aktivisten Fred Hampton, der 1969 im Alter von 21 Jahren bei einer nächtlichen Razzia von der Chicago Police regelrecht exekutiert wurde, bezieht sich auf Hoovers Fantasma eines schwarzen Anführers als Amerikas Staatsfeind Nummer eins.

Der Regisseur nimmt Hoovers geflügeltes Wort aber auch in seiner politischen Dimension ernst. Martin Luther King stand der kommunistischen Partei bis zu seinem Tod 1968 skeptisch gegenüber, auch wenn er sich – schon aus Freundschaft zu dem jüdischen Anwalt Stanley Levison, den das FBI bereits in den fünfziger Jahren im Visier hatte – nie von kommunistischen Idealen distanzierte.

Selbst Martin Luther King wurde abgehört

Doch Martin Luther King sah die Emanzipation der schwarzen Bevölkerung nur bedingt in einem größeren Zusammenhang mit den sozialen Bewegungen seiner Zeit. Das war die Utopie Fred Hamptons.

In einer FBI-Besprechung am Anfang von „Judas and the Black Messiah“ fällt ein berühmter Satz Hamptons, der seine Gefährlichkeit für Amerikas unterstreicht: „Wir werden den Kapitalismus nicht mit schwarzem Kapitalismus bekämpfen. Wir bekämpfen den Kapitalismus mit Sozialismus.“ Die Antwort auf das System weißer Herrschaft lautet nicht, sich die Waffen des Feindes anzueignen. Sondern Solidarität.

Hampton sucht in seiner Heimatstadt Chicago Koalitionen mit den schwarzen Gangs, die schon an der Seite von Martin Luther King standen, mit der Latino-Community und den Young Patriots, jungen Linken aus den Südstaaten, die sich noch vor der Konföderiertenflagge versammeln.

Das Motto der Black Panther im Kampf gegen das Establishment lautete: mehr Bildung, kostenlose Essensprogramme für Kinder, bessere Gesundheitsversorgung – notfalls mit Waffengewalt. Doch Hampton war auch so gefährlich, weil er Charisma besaß. Daniel Kaluuya spielt ihn mit bulliger Intensität, was ihm den verdienten Oscar einbrachte.

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US-Geschichte aus afroamerikanischer Perspektive

Es ist faszinierend, wie in jüngster Zeit Bilder aus der Bürgerrechtsbewegung in den populären Medien kursieren: der im Gerichtssaal geknebelte und gefesselte Black Panther Bobby Seale in Aaron Sorkins „The Trial of the Chicago Seven“. Eine Gerichtszeichnung von Seale ist kurz auch in „Judas and the Black Messiah“ zu sehen.

Oder das „Bureau“, das Coretta Scott King Informationen über die Seitensprünge ihres Mannes zukommen ließ: Dieser Nebenstrang in Ava DuVernays Historiendrama „Selma“ wurde gerade in der Dokumentation „MLK/FBI“, dank der Öffnung der FBI-Geheimakten aus den Sechzigern, in seiner ganzen Tragweite beleuchtet.

Daniel Kaluuya wurde für seine Rolle als Fred Hampton mit dem Oscar ausgezeichnet.
Daniel Kaluuya wurde für seine Rolle als Fred Hampton mit dem Oscar ausgezeichnet.

© Warner Bros.

Dass diese Geschichten heute erzählt werden können, schreibt Regisseur Shaka King dem black excellence industrial complex zu, der in den vergangenen Jahren die Perspektive des US-Kinos auf die afroamerikanische Geschichte neu justierte. Ava DuVernay gehört genauso zu diesem Komplex wie „Black Panther“-Regisseur Ryan Coogler, der als Produzent von „Judas and the Black Messiah“ fungiert.

Aber auch Kings eindrucksvolles Ensemble: Daniel Kaluuya, sechs Jahre jünger als Denzel Washington damals in seiner großen Rolle als Malcolm X. In solchen Maßstäben dürfte auch Kaluuya seine Karriere planen, er gehört mit Filmen wie „Get Out“ und „Queen & Slim“ schon jetzt zu den wichtigsten schwarzen Darstellern im US-Kino. Oder die Entdeckung Dominique Fishback als Hamptons Frau Deborah, die die Poesie des Emanzipationskampfes in den Reden ihres Mannes erkennt. Und natürlich LaKeith Stanfield, der den titelgebenden Verräter spielt.

Thriller, Politik und Biopic in Dramaform

Selbst heute muss man in Hollywood das Leben einer integralen Persönlichkeit wie Fred Hampton noch als Thriller erzählen, hatte King in einem Interview geklagt. Aber wie er und sein Drehbuchpartner Will Berson Genre, Politik und Biografie zusammenführen, ohne eine bloße Hagiografie abzuhandeln, ist bemerkenswert klug.

Bill O'Neal (Stanfield) ist ein Kleinkrimineller, der erwischt wird, als er sich bei seinen Betrügereien als Agent ausgibt – und im Gegenzug vom FBI-Mann Roy Mitchell (Jesse Plemons) dazu erpresst wird, als Maulwurf die Black Panther zu infiltrieren. Auch O'Neal kann die Leute für sich einnehmen, er bringt es bis zum Posten als Hamptons Sicherheitschef, zerbricht dabei aber fast an seinem Gewissen.

Seine Geschichte, ein fast vergessenes Kapitel der Bürgerrechtsbewegung, wurde bereits 1990 medial aufgearbeitet, in der Dokumentarserie „Eyes on the Prize“. O’Neal erzählt darin seine Version eines Verrats, die zum Tod von Hampton führte. King inszeniert das Interview zu Beginn von „Judas and the Black Messiah“ mit Stanfield nach – und zeigt am Ende das Originalmaterial.

Die Szenen dienen als dialektische Klammer, erst ganz am Schluss versteht man, warum der Judas im Titel an erster Stelle genannt wird. Hampton war ein politisches Opfer. Doch gerade die Rolle O'Neals ist zum Verständnis, wie strategisch die Regierung die Bürgerrechtsbewegung spaltete (mit Gewalt, durch eine Drogenflut in schwarzen Vierteln, durch Manipulation), auch in psychologischer Hinsicht aufschlussreich.

In „Eyes on the Prize“ erklärte O'Neal sich noch zum Teil der Bewegung, obwohl er auch nach Hamptons Tod weiter als FBI-Informant arbeitete. Die Tragik dieser Lebenslüge ist Shaka King eine lapidare Texttafel am Schluss wert. 1990 nahm sich Bill O'Neal in der Nacht der Erstausstrahlung das Leben. 20 Jahre wirkte das Trauma nach. (In sechs Berliner Kinos, auch OV und OmU)

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