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Juliette Binoche als verliebte Professorin in „Celle que vous croyez“ von Safy Nebbou, die im Berlinale Special läuft.

© Diaphana Films

Berlinale-Jurypräsidentin 2019: Juliette Binoche: Die Feuertänzerin

Glamour und Coolness: Die französische Schauspielerin Juliette Binoche ist Jury-Präsidentin der Berlinale. Ein Porträt.

Von Andreas Busche

Man hat sich in der Ära Kosslick so an die Aura der großen Darstellerinnen des französischen Kinos gewöhnt, dass die Berufung von Juliette Binoche zur Jury-Päsidentin fast folgerichtig erscheint. Ein Blick in die Berlinale-Historie verrät dann aber zur eigenen Verblüffung, wie viele Jahre das letzte Festival unter dem Jury-Vorsitz eines französischen Filmstars bereits zurückliegt.

1992 saß Annie Girardot der Jury vor, neun Jahre zuvor die unergründliche Jeanne Moreau. Catherine Deneuve, Isabelle Huppert, Fanny Ardant, die gefühlt im Jahrestakt in Berlin über den roten Teppich laufen, wurde diese Ehre nicht zuteil. Und die diesjährige Ehrenbär-Preisträgerin Charlotte Rampling, die Jury-Präsidentin von 2006, ist ja „nur“ Wahl-Pariserin.

In Juliette Binoche vereinen sich Glamour und ein rigoroses künstlerisches Verständnis von Kino. Ohne sie wäre nicht nur das französische Kino der vergangenen 30 Jahren entschieden langweiliger gewesen. Ihre Auftritte sind untrennbar verbunden mit ihren Regisseuren und Regisseurinnen: Jean-Luc Godard, André Téchiné, Leos Carax, Olivier Assayas, Bruno Dumont, Claire Denis. Außerhalb Frankreichs arbeitete sie mit Krzystof Kieslowski, Michael Haneke, Abbas Kiarostami, David Cronenberg und Naomi Kawase, deren gemeinsamer Film „Die Blüte des Einklangs“ während der Berlinale in die Kinos kommt. Die Liste liest sich wie ein sorgfältig kuratiertes Who-Is-Who des internationalen Autorenkinos. Binoche mag äußerlich kontrolliert wirken – in Michael Hanekes paranoidem Familiendrama „Caché“ behält sie an der Seite von Daniel Auteuil kühl die Übersicht –, aber in ihrer Rollenwahl sucht sie stets das Wagnis. „Ich bin radikaler denn je“, erzählte sie vergangene Woche der „Zeit“.

Nacktszenen mag sie nicht besonders

Zuletzt drehte Binoche zweimal mit Claire Denis, die mit ihrem kompromisslosen Blick auf weibliche und männliche Körper eine Außenseiterin im französischen Kino geblieben ist. In dem Science-Fiction-Film „High Life“ entsteigt Binoche einer „Fickmaschine“, wie Robert Pattinson den Virtual-Reality-Sexsimulator einmal nennt, der auf einer interstellaren Gefängnisstation durchs All treibt. Die drastische Szene entbehrt nicht einer gewissen Komik, auch weil sie so gar nicht zu dem kultivierten Bild Binoches passt. Sie möge Nacktszenen nicht sonderlich, hat sie einmal gesagt, Sex habe in ihrem Leben keine Priorität. Sie wolle lieber begehrt werden.

Binoche wählte ihre Rollen auch in dieser Hinsicht mit Bedacht aus. Den altväterlichen Blicken des französischen Kinos auf junge Frauenkörper hat sie sich immer entzogen. Am offensivsten gleich in ihrer ersten großen Rolle in André Téchinés „Rendez-Vous“ von 1985, in dem die damals 21-Jährige eine angehende Schauspielerin verkörpert, die nach eigener Auskunft in den ersten drei Monaten im wuseligen Paris nie zweimal im selben Bett geschlafen hat. In der impulsiven Promiskuität ihrer Figur Nina schlummerte noch eine typisch französische Männerfantasie (unter anderem die von Jean-Louis Trintignant als ihr Mentor). Aber ihre bedingungslose Leidenschaft ist bei Téchiné – schon damals ein Meister im Erspüren jugendlicher Intensität – ein ungestümer Ausdruck von Emanzipation. 30 Jahre älter spielt Binoche in Claire Denis’ „Meine schöne innere Sonne“ eine ähnliche Rolle.

Entfesselter Tanz durch Paris

Ein anderer Regisseur, der Binoche früh prägte, war Leos Carax. Mit ihm war sie auch eine Weile privat liiert. „Die Liebenden von Pont-Neuf“, eine Liebesgeschichte im Pariser Obdachlosenmilieu, rauschte damals wie ein Komet in das bürgerliche französische Kino. Juliette Binoche und Denis Lavant – sie spielt eine erblindete Malerin, er einen Feuerspucker – besaßen, beide auf ihre unnachahmliche Weise, eine impulsive Körperlichkeit, die kongenial Carax’ überbordender Vorstellung von Melodramatik entsprach. Ihr entfesselter Tanz durch Paris vor dem imposanten Feuerwerk zu den 200-Jahr-Feierlichkeiten der Französischen Revolution gehört zu den unvergesslichen Kinomomenten. Carax, erzählte Binoche später, habe ihr gezeigt, welche Kraft das Kino besitzen kann. Die Produktion entpuppte sich damals als einzige Katastrophe, aber Binoche kämpfte für den Film. Es sollte nicht das letzte Mal sein, dass sie sich für ein Projekt einsetzte, das ihr am Herzen lag.

Hollywood ist Juliette Binoche dagegen immer suspekt geblieben, obwohl sie dort ihre größten Erfolge feierte. 1997 gewann sie für ihre Rolle der aufopferungsvollen Krankenschwester im Kriegsmelodram „Der englische Patient“ einen Oscar als beste Nebendarstellerin (auf der Berlinale war sie bereits mit dem Silbernen Bären ausgezeichnet worden), in Lasse Hallströms kulinarischer Petitesse „Chocolat“ durfte sie Johnny Depp mit Schokokonfekt um den Finger wickeln. Es waren rückblickend sicher nicht ihre stärksten Figuren, Jahre später kritisierte sie Steven Spielberg und Martin Scorsese für das rückständige Frauenbild in deren Filmen. Doch die beiden Regiegrößen konnten mit ihrem Vorwurf nichts anfangen. Ganz anders Olivier Assayas, der 2015 nur für sie „Die Wolken von Sils Maria“ schrieb: Eine Schauspielerin auf dem Höhepunkt ihrer Karriere wird mit einer früheren Rolle konfrontiert und verfällt darüber in eine persönliche Krise.

Kritischer Blick auf weibliche Rollenbilder

Binoche hat nicht nur aus eigener Erfahrung einen kritischen Blick für weibliche Rollenbilder im Kino, insofern ist sie eine ideale Wahl als Jury-Präsidentin in einem Jahr mit sieben Regisseurinnen im Wettbewerb. Vor zwei Jahren gehörte sie neben Jessica Chastain, Freida Pinto und Catherine Hardwicke zu den Gründerinnen der Produktionsfirma „We Do It Together“, die Regisseurinnen bei ihren ersten Filmen finanziell unterstützt. Die erste Produktion soll im Mai in Cannes Premiere feiern.

Ein anderes Herzensprojekt erfüllte sie sich 2013 mit „Camille Claudel 1915“ über die letzten Jahre der französischen Bildhauerin in einer psychiatrischen Anstalt. Sie wollte der verkannten Künstlerin endlich Gerechtigkeit wiederfahren lassen. In dem Regisseur Bruno Dumont fand sie einen ebenbürtigen Partner, der ihrer radikalen Vision folgen wollte. „Camille Claudel 1915“ wurde in Cannes abgelehnt und lief auf der Berlinale. Juliette Binoche hat Dieter Kosslicks Einsatz nicht vergessen. Mit ihrer Jury-Präsidentschaft gibt sie das Engagement nun zurück.

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