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Nedjma (Lina El Arabi, links) und Zina (Esther Rollande) in „Besties“.

© Salzgber/Denis Manin 

Coming-of-Age-Film „Besties“: Jung und queer in der Banlieue

Marion Desseigne Ravels Debütspielfilm „Besties“ erzählt von zwei Mädchen aus rivalisierenden Banlieue-Cliquen, die sich ineinander verlieben. Mitreißend gespielt und glaubwürdig inszeniert.

Stand:

Die Neue hat einen fatalen Fehler gemacht: Sie hat sich, ohne um Erlaubnis zu bitten, auf die pinke Bank gesetzt. Weil diese von Nedjmas Clique beansprucht wird, gibt es Zoff. Schimpfend versuchen die Jugendlichen, das fremde Mädchen von der Bank zu zerren. Zina, die Neue, kann von Glück sagen, dass gerade ihre Cousine Carine mit ihren Mädels um die Ecke biegt, um ihr zu helfen. Eine Rauferei beginnt, am Ende behauptet sich Carines Gang und breitet sich triumphierend auf der pinken Bank aus. Nedjma (Lina El Arabi) und ihre Gefolgschaft ziehen sich zurück, doch sie hecken eine fiese Aktion aus, um den Ruf von Zina (Esther Rollande) zu ruinieren.

Das System der sozialen Kontrolle ist streng

Für die Jugendlichen des Hochhausviertels am Rande von Paris, in dem Marion Desseigne Ravels Debütspielfilm „Besties“ angesiedelt ist, gehört der eigene Ruf zum Wichtigsten, was sie haben. Neben ihren Mobiltelefonen, mit deren Hilfe sie sich in den sozialen Medien gegenseitig beobachten und kontrollieren.

Die etwa 17-jährige Nedjma, aus deren Sicht das Coming-of-Age-Drama erzählt ist, gehört zu den Stützen dieses rigiden, auch gewaltbereiten Systems. Ihre jüngere Schwester Leila (Kiyane Benamara) bekommt das immer wieder zu spüren. Etwa als sie mit einem neuen freizügigen Top das Haus verlassen will und Nedjma handgreiflich wird. „Ich schlage dich nicht, ich erziehe dich“, sagt sie zu Lejla.

Die Schwestern wachsen ohne Vater auf, die Mutter (Fadela Bouanati)kam einst aus Algerien nach Frankreich, weil ihr das Land zu eng war. Dass ihre Töchter, die zwar keine Kopftücher tragen, nun auf den Koran schwören und ihren „Ruf schützen“, macht sie fassungslos. Von der Freiheit weißer Französinnen ist Nedjma tatsächlich noch weiter entfernt als die Basilika Sacré-Cœur de Montmartre, die einmal am Horizont aufscheint. Nedjma hat sich nämlich in Zina verknallt, die im gleichen Haus wohnt. Auf einen spontanen Kuss im dunklen Hausflur folgt bald mehr – vor allem riesige Probleme.

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Die Mischung aus erstem Liebeskummer und knallharter Ausgrenzung, unter der Nedjma leidet, setzt Regisseurin und Drehbuchautorin Marion Desseigne Ravel glaubhaft in Szene. Ihre sozialrealistische „Romeo-und-Julia“-Variation erinnert dabei ein wenig an Céline Sciammas „Bande de Filles“, ebenfalls ein weißer Blick auf migrantische Banlieue-Jugendliche. Desseigne Ravel hat als Studentin jahrelang als Freiwillige für ein Jugendprojekt in einer armen Pariser Gegend gearbeitet. Wie sie in einem Interview erzählt hat, sind die „Besties“-Figuren von dieser Erfahrung inspiriert.

In Lina El Arabi hat sie eine ausdrucksstarke Hauptdarstellerin, die sowohl die Toughness als auch die Verletzlichkeit ihrer Figur auf überzeugende Weise verkörpert. Wenn Nedjma bei den ersten Begegnungen mit Zina ganz leise zu lächeln beginnt oder sie beim Kopfhörerteilen verstohlen von der Seite anschaut, scheint sie selbst überrascht von ihrer schüchternen Verliebtheit. Ihre zarten Gefühle stehen im Kontrast zur Queerfeindlichkeit ihrer Umgebung. Sie bekommt zu spüren, wie sich das früher von ihr mitgetragene System gegen sie wendet.

Waren Coming-Out-Filme in den vergangenen Jahren schon fast aus dem westeuropäischen Coming-of-Age-Kino verschwunden, gingen die jungen Charaktere in Filmen wie „Siebzehn“ oder „Call me by your Name“ doch ganz selbstverständlich mit ihrer Queerness um. „Besties“ nun entwirft eine Art Anti-Genre-Update. Wobei Zina und Nedjma ebenfalls kein Problem mit ihrem Begehren an sich haben, sich aber erst den Raum erkämpfen müssen, es zu leben. Eine heftige Mission, aber als Hochhausbewohnerinnen wissen sie: Der Himmel ist das Limit.

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