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Der einzige deutsche Spielfilm im Programm: "Hedi Schneider steckt fest" von Sonja Heiss.

© Komplizen Film / Pandora Film 2015

Berlinale: Forum im Überblick: Kafka in der Mongolei

Fremde Ufer, wilde Frauen und träumende Androiden: Das FORUM der Berlinale lädt in verbotene Räume. Mit dabei: Ein deutscher Spielfilm - und eine Krisen-Etüde auf Basis der Blade Runner-Geschichte.

So viel Meer gab’s noch nie. Das Meer als Arbeitsplatz, als Lebensraum und Sehnsuchtsort, als Naturgewalt und bedrohte Ressource: Von Rabo de Peixe aus Portugal bis Exotica, Erotica, Etc. aus Griechenland spielen gleich fünf Forums-Beiträge an der See, Schauwert garantiert! 43 Filme hat das Team dieses Jahr fürs Hauptprogramm ausgewählt, viele mit multinationaler Herkunft – weshalb auf Länderangaben verzichtet wird.

Religionskriege, Fundamentalismus, Antisemitismus: Vielleicht – welch utopisch schöner Gedanke – hilft ja das Umschreiben der Bibel. Judas war kein Verräter, sondern der beste Freund Jesu – Zeit, die überlieferte Geschichte mal anders zu sehen: Histoire de Judas von Rabah Ameur Zaïmeche aus Frankreich. In Superwelt, dem zweiten Film des Schauspielers Karl Marcovics, trifft die Supermarktverkäuferin Gabi niemand Geringeren als Gott. Frauen, die es aus der Bahn wirft, starke, wilde Heldinnen gibt’s auch in Sascha Polaks niederländischem Roadmovie Zurich – nach einem Lebensschock vagabundiert Nina über Autobahnen und Truckerparkplätze – und in Hedi Schneider steckt fest (siehe Foto), dem einzigen deutschen Spielfilm im Programm. Darin versucht Regisseurin Sonja Heiss den Panikattacken ihrer Heldin mit komödiantischen Mitteln zu begegnen. Die Doku Freie Zeiten wiederum erkundet das merkwürdige Freizeitverhalten der Deutschen. 2014 war Regisseurin Janina Herhoffer übrigens als Cutterin des Wettbewerbsfilms „Jack“ dabei.

Auf Basis der Blade Runner-Story

Ein Schwerpunkt, genau wie im Panorama: junges lateinamerikanisches Kino, vom Experimentalspektakel Brasil S/A über Familien- und Beziehungsgeschichten aus Chile bis zur eindringlichen Gewaltstudie Violencia aus Kolumbien. Ebenfalls auffallend: die zahlreichen Filme über Filme, Literaturklassiker und andere Ikonen der Kulturgeschichte. Die Künste denken über sich selbst nach. K aus China siedelt Kafkas „Schloss“ in der Inneren Mongolei an, der US-Indie H. verlegt Homers „Ilias“ nach Troy, N.Y., mit gleich zwei Helens, denen Übernatürliches widerfährt. Und. The Boda Boda Thieves erzählt „Fahrraddiebe“ auf ugandisch, diesmal wird ein Motorrad-Taxi geklaut. Die spanische Krisen-Etüde Sueñan los androides wiederum basiert auf der gleichen Short Story von Philip K. Dick wie einst Ridley Scotts „Blade Runner“.

Das Forum ist traditionell die ästhetisch wagemutigste Festivalreihe, präsentiert aber auch Dokus zu sozialen und politischen Sujets. Hotline von Silvina Landsmann porträtiert unerwünschte afrikanische Flüchtlinge in Israel, Flotel Europa Flüchtlinge aus Bosnien und Herzegowina in einem Containerschiff Richtung Dänemark – ein Found-Footage-Film.

Udo Kier im ersten Film

Den Startschuss gibt am 6. Februar der kanadische Kino-Exzentriker Guy Maddin: The Forbidden Room mit Udo Kier, Charlotte Rampling, einer U-Boot-Crew, Kindersoldaten, Wegelageren – ein fantastisch-anarchischer Albtraum voller verschollener Stummfilmschnipsel.

Bei den FORUM SPECIALS erinnern die beiden südafrikanischen Blaxploitation Filme Joe Bullet und Umbango an ein vergessenes Stück Filmgeschichte: Produktionen von Schwarzen mit Schwarzen für Schwarze in Zeiten der Apartheid. Tatiana Brandrup huldigt dem Filmhistoriker Naum Kleiman, der das legendäre Eisenstein-Archiv leitete und 2014 als Chef des Moskauer Filmmuseums abgesetzt wurde – trotz internationaler Proteste. Der Film Cinema: A Public Affair zeichnet die Chronik dieses Skandals auf. Als Mini-Retro laufen drei Filme des japanischen Meisters Kon Ichikawa.

Leserjury des Tagesspiegels wählt Favoriten

Zehn Jahre FORUM EXPANDED, das wird an neuer alter Spielstätte gefeiert, der Akademie der Künste am Hanseatenweg (wo das Forum schon bis 1999 zu Hause war). Ausstellung, Filme, Installationen – unter dem Titel To the Sound of the Closing Door. Etwas geht zu Ende, etwas Neues entsteht, es ist der Mechanismus von Utopien. Etwa in der Videoinstallation Beauty and the Right to the Ugly über ein ungewöhnliches Projekt in den Niederlanden, ein Gemeindezentrum ohne Trennwände und Türen. Zur Eröffnung am 4.2. wird die Performance Love Letters to a Union präsentiert.

Last but not least ist beim Forum auch die Leserjury des Tagesspiegels wieder unterwegs. Neun Unerschrockene wählen aus allen Uraufführungen des Forums-Programms – 31 an der Zahl – ihren Favoriten aus. Den Sieger-Film präsentiert die Jury gemeinsam mit Forums-Chef Christoph Terhechte am Sonntag, den 16.2. um 19 Uhr in der Akademie der Künste am Hanseatenweg. Tickets gibt’s ab 2.2.

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