zum Hauptinhalt

© Daniel Wetzel

Kammermusik im Kühlhaus: Das Festival „Intonations“ kehrt zurück

Vergangenes Jahr schien es, als sei es das gewesen. Doch am kommenden Samstag wird „Intonations“, das Berliner Kammermusikfestival, an neuem Ort wiederauferstehen.

Es war dann doch nicht das Ende, als im April 2022 „Intonations“ zum letzten Mal im Jüdischen Museum an der Lindenstraße stattfand – in einer bemerkenswerten, von Dankbarkeit und Wehmut getränkten Atmosphäre. Zehn Jahre hatte eines der wenigen Festivals in Berlin, die explizit der Kammermusik gewidmet sind, im Frühjahr den Glashof des Museums verzaubert, durch diese typische Aura, die sich hier regelmäßig einstellt. Pianistin und Festivalleiterin Elena Bashkirova besitzt ein sehr dickes Adressbuch, regelmäßig lädt sie befreundete Musiker und Musikerinnen ein, die dann gerne auch mal den Zeitrahmen eines Konzerts überziehen: Im Mittelpunkt steht die Kunst, nicht das Abendessen. Auch Ehemann Daniel Barenboim und Martha Argerich waren aufgetreten. 

Nach zehn Jahren war Schluss

Doch dann: Schluss. Sponsor Evonik hat sich die Verpflichtung gegeben, alle zehn Jahre seine Unterstützung neu auszurichten, und auch das Jüdische Museum selbst – einst war „Intonations“ auf Anregung von Gründungsdirektor W. Michael Blumenthal entstanden – verfolgte andere Prioritäten.

„Doch ich wusste immer, dass es weitergehen würde“, erzählt Elena Bashkirova im Wohnzimmer ihres Hauses in Dahlem. Viele Stimmen hätten sie zudem darin bestärkt, nicht aufzugeben, das Festival nicht sterben zu lassen. Nach mehrmonatiger Suche hat sie jetzt einen Ort gefunden, an dem es wiederauferstehen wird, vorerst für nur einen Tag: das Kühlhaus am Gleisdreieck, um 1900 errichtet, mit märkischer Backstein-Neogotik außen an der Fassade und damals moderner, amerikanischer Stahlskelettbauweise im Inneren.  

„Es war immer klar, dass ein klassischer Konzertsaal nicht in Frage kommt“, erklärt sie. Denn so ein Festival muss sich unterscheiden, muss auch äußerlich demonstrieren, dass es den normalen Lauf der Dinge unterbricht. Es braucht einen besonderen Ort, um zu funktionieren.

Vom Kühlhaus und seiner backsteinernen Industrieanmutung war Bashkirova sofort fasziniert, sagt sie – es sei wie bei einer Wohnungsbesichtigung: „Man muss dem ersten Moment vertrauen und sollte nicht sofort anfangen, zu reflektieren.“ Das Zentrum des Kühlhauses wird von einem quaderförmigen Saal mit mehreren Rängen gebildet, der variabel bestuhlt werden kann, die Akustik sei hervorragend.  

Elena Bashkirova
Elena Bashkirova

© Foto: Monika Rittershaus

Schon immer spielt das architektonische Raumerlebnis bei „Intonations“ eine wichtige Rolle – auch beim Mutterfestival in Israel, dem Jerusalem International Chamber Music Festival. Dort erklingen die Konzerte schon seit über 20 Jahren im Auditorium des Jerusalemer YMCA, einem modernen und dennoch mystikdurchzogenen Bau des frühen 20. Jahrhunderts, der Ornamente und Symbolik aller drei im Nahen Osten konzentrierten Weltreligionen vereint und zu einer Synthese führt.

Und natürlich war auch der von Daniel Libeskind in Form einer jüdischen Laubhütte gestaltete Glashof in Berlin immer ein besonderer Ort, vor allem abends, wenn draußen die Dunkelheit lagert und drinnen Licht und Musik die Sinne verführen. Das wird im Kühlhaus schon allein deshalb anders sein, weil es keine Fenster gibt. Der Glashof hatte allerdings einen anderen Nachteil: „Wir konnten immer nur im Frühjahr spielen. Im Winter ist es dort zu kalt, im Sommer bekommt man keine Luft.“ 

Die Zeit war dieses Jahr zu knapp, um einen neuen Sponsor zu finden, deshalb wird es dieses Jahr nur ein eintägiges Festival am kommenden Samstag, dem 10. Juni geben, mit zwei langen Konzerten um 15 Uhr und um 19.30 Uhr: quasi ein Hallo, eine Housewarming-Party. Für 2024 sind dann wieder mehrere Tage geplant.  

Langjährige Bekannte treten auf, von denen viele praktischerweise in Berlin leben. So sind Madeleine Carruzzo oder Emmanuel Pahud dabei, sie Bratschistin, er Flötist bei den Berliner Philharmonikern. Aber auch wieder Debütanten wie die französische Pianistin Nathalia Milstein, die bei András Schiff an der Barenboim-Said-Akademie studiert hat.

Gemeinsam mit Emmanuel Pahud wird sie ein Duo für Flöte und Klavier von Clara Schumann spielen. Musik der Romantik und des frühen 20. Jahrhunderts (darunter Elliot Carter) steht im Mittelpunkt, die Wiener Klassik wird nur mit Schuberts „Arpeggione“ vertreten sein – gespielt von Pahud und Elena Bashkirova selbst. Und am Ende natürlich, wie jedes Jahr, das Oktett von Felix Mendelssohn Bartholdy. 

Gewisse Dinge ändern sich als, zum Glück, nicht. Das gilt auch für Bashkirovas „großes“ Kammermusikfestival in Jerusalem im Herbst. „Die Region ist so voller Dramen und Tragödien, aber wir bilden einfach eine Konstante, jedes Jahr aufs Neue“, sagt sie nicht ohne leisen Stolz. Dieses Jahr – und dann vielleicht auch 2024 in Berlin – sollen Werke von Emigranten einen Programmschwerpunkt bilden.

Angesichts der drohenden, so genannten „Justizreform“, die Israels Regierung plant, freut sie sich, dass der liberale, progressive Teil der Bevölkerung endlich seine Passivität abgelegt hat und aufsteht: „Jede Woche gibt es Demonstrationen, auch jetzt, da die Reform angeblich auf Eis gelegt ist. Ich finde das großartig.“ Manchmal ist es eben doch ganz gut, wenn sich etwas ändert. 

Zur Startseite