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Kultur: Käse kaufen fürs Konzert

Wenn in einem der großen Berliner Konzertsälen eine aufgekratzte Atmosphäre herrscht, wenn abgehetzte Abonnenten fehlen, wenn es irgendwie an Routine mangelt, dann könnte es sein, daß ein Jugendorchester auf dem Podium sitzt.Ein Fall, der häufiger eintritt, als man es der Jugendkultur von Techno-Berlin zutrauen würde: allein im Januar vier Mal.

Wenn in einem der großen Berliner Konzertsälen eine aufgekratzte Atmosphäre herrscht, wenn abgehetzte Abonnenten fehlen, wenn es irgendwie an Routine mangelt, dann könnte es sein, daß ein Jugendorchester auf dem Podium sitzt.Ein Fall, der häufiger eintritt, als man es der Jugendkultur von Techno-Berlin zutrauen würde: allein im Januar vier Mal.

Senior unter den Junioren ist das RIAS-Jugendorchester: 1948 als "RIAS-Schulfunkorchester" gegründet, wird es heute vom DeutschlandRadio gefördert."Hohes professionelles Niveau" heißt das Zauberwort des Ensembles, das sich für jede Arbeitsphase neu konstituiert; dafür kann man den Musikern auch ein kleines Honorar für ihren Auftritt bieten.Wer in dem Ensemble mitspielt, hat gewöhnlich bereits einige Semester Musikstudium hinter sich.

Tief unten im Haus des DeutschlandRadio liegt abgeschirmt der Probenraum, in dem sich die Mitwirkenden treffen.Die Musiker sind preußisch pünktlich, kaum sind die Instrumente ausgepackt, werden schon schwierige Läufe auf Hochglanz poliert, aber ein kurzer Ruf genügt, und es herrschen Stille und absolute Konzentration.Mit Elan und hörbarem Ehrgeiz geht es an das erste Adagio - bis Karl Leister, der Soloklarinettist der Berliner Philharmoniker, der die Einstudierung übernommen hat, doch abwinkt."Bitte etwas mehr - Gemütlichkeit."

An Ehrgeiz fehlt es auch nicht bei den Musikern der "Jungen Symphonie Berlin".Seit fast sechs Stunden sitzen sie an diesem Sonntag auf der Wochenendprobe beisammen.Der eine oder andere läßt die Geige schlaff in der Hand baumeln, doch die Augen sind starr auf den Probenleiter Andreas Schüller gerichtet.Der ist hellwach und möchte vor allem den Rhythmus noch präziser haben: "Gleiche Stelle nochmal! Jakatakatikataka - eins, und ...!" Konzentration ist nötig: Bela Bartóks "Konzert für Orchester" ist ein schwerer Brocken.Aber die jungen Musiker - die meisten von ihnen studieren an den Berliner Musikhochschulen - haben auch ihre Freude daran, wenn die Kenner vor dem Konzert skeptisch raunen: "Also, diesmal schaffen sie das nicht."

Bisher haben sie es noch immer geschafft: mit dem Konzert am morgigen Dienstag feiert das Orchester sein zehnjähriges Bestehen.Daß die Szene die Entwicklung des Orchester von den Anfängen als "Reinickendorfer Symphonieorchester" mit Spannung verfolgt, hat sicher mit der kontinuierlichen Leitung zu tun: Marc Piollet, der das Ensemble als Student gründete, hat trotz seines steilen Karriereaufstiegs immer eine Dirigierhand für sein Orchester frei gehabt.Das Jubiläumskonzert wird Marc Piollet wegen eines Trauerfalls in seiner Familie nicht dirigieren - eine zusätzliche Herausforderung für Piollets Assistenten Andreas Schüller.

Die teuersten Plätze sind, wie bei jedem Auftritt der Jungen Symphonie Berlin, bereits vergeben - sie befinden sich nämlich auf dem Podium.200 Mark gibt im Schnitt jeder Mitspieler pro Konzert aus: Saalmiete, Werbung und vor allem die obligatorische Orchesterprobenfahrt wollen bezahlt werden - da reicht auch die Unterstützung des neuerlich geworbenen Hauptsponsors noch lange nicht aus.Und als wären das nicht genug Opfer für die Kunst, wandern nach der Probe auch noch die Mitglieder des "Organisationskommitees" wie das leibhaftige schlechte Gewissen von Pult zu Pult, um Handzettelverteiler, Kartenverkäufer und Instrumententräger zu rekrutieren.Selbst der Reporter kann sich da nur knapp der Wunsch entziehen, nach der Veranstaltung die Pauke wegzuräumen.

Wer auch immer nach dem jüngsten Konzert der deutsch-skandinavischen Jugendphilharmonie das Schlagzeug weggeräumt hat, er muß viel zu schleppen gehabt haben - galt es doch bei der Berliner Erstaufführung der Saga-Symphonie des Isländers Jón Leifs auch auf Steine, einen eisernen Amboß und Schilde einzuschlagen.Verantwortlich für den nordischen Akzent in der Berliner Jugendorchesterszene ist Andreas Peer Kähler.Begonnen hatte alles bei einem geradezu legendären Workshop, den Kähler zur Jahreswende 1980 / 81 als Student mit angehenden Musikern aus Deutschland und Skandinavien veranstaltete - die Unkosten des improvisierten Abschlußkonzertes wurden bestritten, in dem man in den Proben übriggebliebene Verpflegung während der Pause kurzerhand an das Publikum verkaufte.Kähler erinnert sich mit Vergnügen an den "eingeschweißten, richtig billigen Käse", der die Gründung der deutsch-skandinavischen Jugendphilharmonie und des Berliner Sibelius-Orchesters finanzieren half.

Auch das Berliner Sibelius-Orchester hat noch immer einen Platz für Musik aus dem hohen Norden in seinen Programmen parat, obwohl Kähler es schon seit über zehn Jahren nicht mehr dirigiert.Zusammengestellt wird das Programm in lebhaften gruppendynamischen Prozessen der Orchestermitglieder, die meisten von ihnen Studenten aller Fakultäten und junge Berufstätige.Ohne staatliche Förderung kommen so von Semester zu Semester Programme zustande, die eine gute Balance zwischen Unbekanntem und Populärem, Forderndem und Fetzigem halten.Nur die allerneueste Komponistengeneration um die 25 bleibt auch hier außen vor."Zu kompliziert", "zu hohe GEMA-Gebühren" heißt es - oder haben die Nachwuchstonsetzer ihren Altersgenossen keine spielbare Werke anzubieten? Richtig jung ist beim nächsten Konzert immerhin der Dirigent: Leo Siberski, Jahrgang 69, Trompeter in der Staatskapelle Berlin und gleichzeitig Dirigierschüler an der Hochschule für Musik Hanns Eisler.Als Profimusiker lockt ihn der Reiz "das Unmögliche zu versuchen".Noch ein Grund? "Die sind so viel geduldiger als Berufsmusiker", meint Siberski, was aus dem Orchester allerdings sogleich ironisch gekontert wird: "Wir stellen ihn auch vor ganz andere Schwierigkeiten!" Fishing for compliments? Als man bei der Probe der Rienzi-Ouvertüre Tagesbestform erreicht, verrät das unverhohlen vergnügte Gesicht des Dirigenten: auch ein Vollprofi kann reinen Genuß am Spiel von Amateuren haben.Die Berliner Klassikfreunde sollten das wohl auch können - natürlich nur, wenn sie nicht allzu routiniert sind.

Die "Junge Symphonie Berlin" spielt am 26..1.um 20 Uhr in der Philharmonie.Das "Berliner Sibelius-Orchester" folgt am 30.1.um 20 Uhr im Kammermusiksaal.

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