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Keine filmt für sich allein: Vor 50 Jahren forderten Frauen in Berlin ihren Platz auf dem Regiestuhl ein

1973 fand im Kino Arsenal das erste Internationale Frauenfilm-Seminar statt. Die Regisseurin Vibeke Løkkeberke war mit der Kamera dabei, jetzt ist das Ergebnis erstmals zu sehen.

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Hat man sich da gerade verhört? „In Amerika ist die Situation für Schwangere, die abtreiben wollen, ziemlich gut“, sagt eine junge Frau 1973 ins Mikrofon. Aber sie hat ja Recht: Als die norwegische Regisseurin Vibeke Løkkeberke vor mehr als fünfzig Jahren Frauen in Berlin nach ihrem Kampf für Gleichberechtigung fragte, hatte der Oberste Gerichtshof wenige Monate zuvor mit der Grundsatzentscheidung zum Abtreibungsrecht, bekannt als Roe v. Wade, einen Meilenstein in der Frauenbewegung gesetzt.

Auch Vibeke Løkkeberke hatte das Thema Schwangerschaftsabbruch nach Berlin geführt. Die damals 28-Jährige zeigte dort ihren mittellangen Film „Abortion“, der vom Leidensweg einer jungen Frau erzählt, deren Arzt am Ende allein entscheiden kann, ob er ihr eine Abtreibung gewährt, oder nicht.

45 Filme aus sieben Ländern

Der Film war Teil eines besonderen Festivals, das im November 1973 im Kino Arsenal stattfand – auch wenn es aus Fördergründen nicht so heißen durfte. Stattdessen: das erste Internationale Frauenfilm-Seminar, organisiert von den Filmemacherinnern Helke Sander und Claudia von Alemann. Für vier Tage kamen in der Welserstraße in Schöneberg Frauen aus der Film- und Fernsehbranche zusammen, um sich über ihre Werke und vor allem die Bedingungen, unter denen sie entstanden waren, auszutauschen.

Løkkeberke wollte die Veranstaltung dokumentieren, reiste mit Kamera- und Tonmann an, um anschließend einen Film über dieses erste Festival seiner Art im norwegischen Fernsehen zeigen zu können.

15 internationale Filmemacherinnen waren eingeladen, 45 Dokumentar- und Spielfilme aus sieben Ländern wurden vorgeführt. Sie alle hatten eine klare politische Agenda und waren in vier Themenbereiche unterteilt: Frauen am Arbeitsplatz, die Repräsentation von Frauen in den Medien, die Frauenbewegung in Europa und Amerika sowie Abtreibung, Sexualität und Genderrollen.

„Es war eine sehr entspannte Atmosphäre“, erzählt Løkkeberke am Telefon, „Die meisten von uns waren keine Militantinnen, wir fingen gerade erst an. Wir waren hoffnungsvoll, wir fühlten uns, als wären wir auf direktem Wege in den Himmel. Wir glaubten daran, dass wir eine Chance hatten.“

Als die Regisseurin zurück in Norwegen den öffentlich-rechtlichen Senderverantwortlichen Ausschnitte des Materials zeigte, winkten sie ab.

Banden und Verbände, die bis heute bestehen

„Ich hatte schon viel für diesen Sender gedreht, auch zu umstrittenen Themen mit dem Fokus auf Frauen“, sagt Løkkeberke. Kritik an der eigenen Branche war dagegen offenbar nicht erwünscht.

Die Filmemacherin ließ die Sache hinter sich und konzentrierte sich auf ihr nächstes Projekt – die Aufnahmen blieben unangetastet. Bis sie 2019 im Archiv der norwegischen Nationalbibliothek wiederentdeckt und restauriert wurden. 2022 sichtete dann auch Løkkeberke das Material – und beschloss, 50 Jahre nach dem Dreh einen Film daraus zu schneiden. Dieser ist nun bei der Berlinale zu sehen und es erschließt sich schnell, wieso die norwegischen Fernsehmänner die Ausstrahlung damals ablehnten.

Es sind Szenen der Solidarität, schöne Fragmente, die Løkkeberke zu einer bruchstückhaften Erinnerung montiert. Junge Frauen, die sich umarmen, miteinander lachen und rauchen, zwischendurch auch kurz leidenschaftlich streiten, um dann einander wieder konzentriert zuzuhören. Und die trotz Sprachbarrieren schnell feststellen, dass sie alle mit ähnlichen Hindernissen zu kämpfen haben.  

Ob sie vom Filmemachen leben könne, will die Regisseurin von der damals 30-jährigen Claudia von Alemann wissen. „Nein. Ich könnte, aber ich will die Verhältnisse, in den ich es könnte, nicht länger akzeptieren“, antwortet sie und erzählt von Dokumentarfilmen über Frauenthemen, die männliche Kollegen vor der Fernsehausstrahlung bis zur Unkenntlichkeit verändert hatten.

Dann ist die 16-Millimeter-Filmrolle durchgelaufen, die beiden sprechen auf Schwarz weiter. „Wenn man als Frau anders arbeiten will als Männer, weniger autoritär, wird man als dumm und unfähig abgestempelt“.

Einige Sätze könnten heute noch genau so fallen. Dass sich Frauen für den gleichen Erfolg wie Männer immer wieder „beweisen, beweisen, beweisen“ müssen zum Beispiel, dass ihnen Emotionen als Schwäche ausgelegt werden und dass sie überall dort, wo die großen Entscheidungen getroffen werden, unterrepräsentiert sind.

„Die Situation für Frauen in der Filmbranche ist heute nicht so viel anders als damals“, sagt Løkkeberke. Sie nimmt nach Jahrzehnten des Fortschritts wieder einen Rollback wahr. Und das nicht nur in Bezug auf die Filmbranche. Roe v. Wade ist seit zwei Jahren wieder Geschichte.

Das Seminar wurde damals in der Öffentlichkeit kaum wahrgenommen, doch die Effekte waren nachhaltig. Die Filme zogen weiter in kleinere Kinos in ganz Westdeutschland, ihre Macherinnen bildeten Banden und Verbände, die teilweise bis heute bestehen. Die Berlinale ist der richtige Ort, um daran zu erinnern.  

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