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Don Diego (Daniel Giménez Cacho) wartet sehnsüchtig auf seine Versetzung in die Heimat.

© Grandfilm

Kino: Werkschau von Lucrecia Martel: Driften im kolonialen Brackwasser

Die Argentinierin Lucrecia Martel gehört zu den wichtigsten Regisseurinnen des Weltkinos. Das Kino Arsenal widmet ihr eine Werkschau, nächste Woche startet ihr Historienepos „Zama“.

Von Andreas Busche

Der spanische Edelmann steht in voller Montur am Strand und blickt aufs Wasser. Sein Blick ist dialektisch, einerseits voller Stolz auf die Kolonialgeschichte der Krone, die er in seiner Funktion als Offizier repräsentiert. Aber auch erfüllt von der fast schon zwanghaften Sehnsucht, diesen gottverlassenen Flecken Erde im südamerikanischen Sumpfland zu verlassen und nach Buenos Aires zurückzukehren, wo seine Frau und seine drei Kinder auf den Eroberer warten.

Don Diego de Zama ist der Protagonist in Lucrecia Martels viertem Spielfilm „Zama“, aber es wäre Zuviel des Guten, ihn deswegen auch als Subjekt zu bezeichnen. Er ist der geborene Befehlsempfänger: Die Versetzung des Juristen hängt vom Gutwillen der wechselnden Gouverneure in der entlegenen Provinz ab, für die der Posten am Ende der Welt lediglich eine Durchgangsstation bedeutet. Don Diego sieht sie kommen und gehen. Seine Identität ist aber auch kulturell vertrackt, wie ihm sein Adjutant nach einem Urteilspruch zu Ungunsten einer Indio- Familie vorhält: Don Diego ist zwar in Südamerika geboren, ein americano, aber er fühlt sich weiterhin den Traditionen Spaniens verpflichtet. Für die respektlose Bemerkung setzt es Prügel, woraufhin der vorlaute Untergebene, um einen Skandal zu vermeiden, versetzt wird. Wieder hat Don Diego das Nachsehen.

Begehren schlägt um in Gewalt

Der Kolonialist ist in „Zama“ eine tragikomische Figur: ausgestattet mit unerhörten Machtbefugnissen, aber äußerlich scheinbar im Zustand einer geistigen Ohnmacht. Sein Verhältnis zur einheimischen Bevölkerung ist von Unverständnis für die in seinen Augen fremde Kultur geprägt, gleichzeitig spürt er ein Unbehagen in seiner Machtposition. Am Strand beobachtet Don Diego (Daniel Giménez Cacho) Indio-Frauen heimlich beim Baden, vielleicht ein Ritual. Als sie ihn bemerken, machen sie sich über den „Spanner“ lustig, eine stellt ihn. Als die beiden sich gegenüberstehen, wird er wieder handgreiflich. Der Kolonialist und die nackte Frau: Uneingestandenes Begehren schlägt um in Gewalt.

Die Szene ist typisch für das Kino von Lucrecia Martel, das immer schon das Verhältnis der weißen Ober- zur indigenen Unterschicht Argentiniens verhandelt hat – und die sexuellen Spannungen, die unter der phlegmatischen Oberfläche der Klassengesellschaft brodeln. Das Kino Arsenal widmet der argentinischen Regisseurin, einer der wichtigsten Vertreterinnen des gegenwärtigen Weltkinos, anlässlich des deutschen Kinostarts von „Zama“ am 12. Juli eine kleine Reihe, zu der Martel auch persönlich anwesend ist.

Der Protagonist ist ein unzuverlässiger Erzähler

„Zama“ ist ein Novum im überschaubaren Gesamtwerk der Filmemacherin, das aus gerade mal vier Filmen besteht. 2001 debütierte sie mit „La Ciénaga“ (Der Morast) auf der Berlinale, wo sie den Alfred Bauer-Preis für das beste Erstlingswerk gewann. Mit „Zama“, ihrer ersten Regiearbeit seit fast zehn Jahren, hat sich Martel erstmals eines historischen Stoffes angenommen, der Film basiert lose auf Antonio Di Benedettos gleichnamigem Roman von 1956. In der Stream-of-Consciousness-Form der Vorlage erweist sich Don Diego als eher unzuverlässiger Erzähler, Martel setzt der männlich-europäischen Binnenperspektive nun einen dezidiert feministischen Blick entgegen, unter dem die Privilegien des spanischen corregidor medusenartig zu bröckeln beginnen.

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Das Prinzip der Desorientierung gehört zu Martels Markenzeichen. Mit ihrem langjährigen Sounddesigner Guido Berenblum hat sich für „Zama“ ein ganzes Repertoire surreal-diffuser, hypernaturalistisch-konkreter und schneidend-droniger Klänge entwickelt, die das somnambule Driften ihres zunehmend weltentrückten Protagonisten von einem Wahrnehmungszustand in den nächsten begleiten. Das Sounddesign nimmt Don Diego auch mit fortschreitender Dauer des Films als eigenmächtiges Subjekt aus dem Spiel.

Die Trance-Qualität der fein justierten Geräuschkulisse findet Entsprechung in den hypnotischen Bildern von Kameramann Rui Poças, die mit der erratischen Verité-Ästhetik von Martels früheren Filmen brechen. Das Fragment (Anschnitte im Close-up, Unschärfen, arbiträre Einstellungen) bleibt weiter das markanteste Bildelement, aber es wird in die höhere Ordnung eines um sich selbst wirbelnden Bewusstseinsstroms überführt, der irgendwann die Erzählung selbst in einer unwirklich anmutenden Endlosschleife arretiert. „Zama“ erfordert eine andere Aufmerksamkeit als Martels frühere Filme, in deren neurotischer Sprunghaftigkeit noch eine fiebrige Spannung lag.

Das Phlegma der Klassengesellschaft

Das Phlegma der bourgeoisen Ausflugsgesellschaft in „La Ciénaga“, die sich träge am Rand eines brackigen Pools volllaufen lässt, findet in „Zama“ seine reinste Form. Don Diego ist sozusagen der „Patient Null“ dieses sehr spezifischen Klassenrassismus, von dem letztlich alle Filme Martels erzählen. In „La Ciénaga“ beschuldigt die Matriarchin das indigene Dienstmädchen Isabel, mit dem ihr ältester Sohn vermutlich eine Affäre hat, des Diebstahls. So eindeutig werden Martels Filme zwar nie, aber das sexuelle Begehren ist bei ihr fast mit Händen zu greifen – wie auch die zum Schneiden dicke Luft in der subtropischen Sumpflandschaft.

Lucrecia Martel während der Dreharbeiten zu "Zama". Eine Szene aus dem Dokumentarfilm "Años Luz".
Lucrecia Martel während der Dreharbeiten zu "Zama". Eine Szene aus dem Dokumentarfilm "Años Luz".

© Arsenal Institut

In „Die Frau ohne Kopf“ von 2008 begeht die Protagonistin Vero auf einer verlassenen Landstraße einen Unfall mit Fahrerflucht. Wen oder was sie getroffen hat – ein Kind, glaubt sie, einen streunenden Hund, meint ihr Ehemann – bleibt unklar, aber die Schuld beginnt an ihr zu nagen und versetzt sie in eine Art Delirium, das ihre Kamerafrau Barbara Alvarez und Soundmann Berenblum audiovisuell sehr luzide ausstatten. Als in der Gegend schließlich ein Indio-Junge tot aufgefunden wird, hat Vero den Bezug zur Wirklichkeit längst verloren.

In „Zama“ gibt es eine Rückkopplung dieses gedankenlosen Rassismus. Don Diego findet seine Nemesis in der stummen Dienerin der von ihm angebeteten Luciana Piñares de Luenga. Sie lässt ihn ein, wohlwissend, dass sich die Hausherrin gerade mit einem anderen Liebhaber vergnügt. Selbst unter den Einheimischen macht sich Don Diego zum Gespött, schlimmer noch: Donna Luciana hat ihrer Sklavin die Freiheit geschenkt, auch sie wird die Provinz bald verlassen. Die Filmreihe im Arsenal bietet die schöne Gelegenheit, diese losen Fäden im schmalen Œuvre von Lucrecia Martel zu verfolgen. Die Regisseurin hat dazu sicher auch noch einiges zu erzählen.

Die Filmreihe läuft bis zum 12. Juli im Arsenal. „Zama“ startet am 12. Juli in den Kinos.

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