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Arm, aber sexy. Tobias Moretti (Mackie Messer), Hannah Herzsprung (Polly) und die Bettler von Berlin.

©  Wild Bunch Germany/Stephan Pick

Kinofilm "Mackie Messer": Als Brecht versuchte, die „Dreigroschenoper“ zu verfilmen

Bertold Brechts Verfilmung seines Klassikers wurde nie realisiert. Joachim A. Langs "Mackie Messer" macht die Geschichte dieses Scheiterns zum Kino-Drama.

Die Reise ins Herz einer verrotteten Gesellschaft führt durch die eisblaue Iris ihres größten Verbrechers. So assoziiert es zumindest die effektpralle, auf großes Kino gebürstete Titelsequenz von „Mackie Messer – Brechts Dreigroschenfilm“. Die blauen Augen gehören Tobias Moretti, der bei der Generalprobe der „Dreigroschenoper“ am 31. August 1928 im Theater am Schiffbauerdamm als Macheath, genannt Mackie Messer, auf der Bühne steht und mit schnarrendem R die Ballade „Wovon lebt der Mensch?“ mit dem Satz „Erst kommt das Fressen, dann kommt die Moral“ intoniert.

Die chaotischen Umstände der Produktion und der alsbald ausbrechende Probentumult, an dessen Ende Darsteller, Autor und Komponist türenknallend das heutige Berliner Ensemble verlassen, um dann ein paar Stunden später eine sensationelle Uraufführung hinzulegen, sind so legendär wie das Stück insgesamt. Gilt die „Dreigroschenoper“ doch als eines der erfolgreichsten Theaterstücke des 20. Jahrhunderts. Niemand hatte im Geringsten damit gerechnet. Der Theaterunternehmer Aufricht wollte einen kommerziellen Erfolg, ein unterhaltsames Stück, die Autoren suchten nach einer aktuellen Theaterform. Sie bekamen alles.

Im damaligen Berlin löst das Drama mit der Musik von Kurt Weill, das sich als Vorlage vor allem bei der „Beggar’s Opera“ von John Gay bedient, ein „Dreigroschenoper“-Fieber aus, das bald die ganze Welt infiziert. Brecht und Weill und die immer als Co-Autorin unterschlagene Elisabeth Hauptmannn schufen einen Berliner Mythos. Seit nunmehr 90 Jahren verheben sich Nachwuchs-Crooner und Chansonetten an der Mackie-Messer-Moritat und der „Seeräuber- Jenny“. Und doch existieren überraschend wenige Verfilmungen.

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Ein frühes Tonfilmmeisterwerk ist die Adaption von G. W. Pabst von 1931 mit Carola Neher, Lotte Lenya, Valeska Gert und Ernst Busch. Zu Unrecht vergessen die von Wolfgang Staudte aus dem Jahr 1962, in der Curd Jürgens, Hildegard Knef, Gert Fröbe und Lino Ventura von einem swingenden Moritatensänger namens Sammy Davis Jr. flankiert werden. Der „Dreigroschenfilm“, für den Brecht selbst das Exposé schrieb, sich wegen des provokanten politischen Touchs mit dem Produzenten überwarf, schließlich als „soziologisches Experiment“ den „Dreigroschenprozess“ anstrengte und später den „Dreigroschenroman“ schrieb, wurde nie realisiert.

Das hat den SWR-Redakteur Joachim A. Lang nicht ruhen lassen. Der Brecht-Experte, der sich schon in seiner Germanistik-Dissertation mit dem epischen Theater befasste und mehrere Brecht-Dokus vorgelegt hat, gibt mit dem von seinem Haussender koproduzierten Film im Film über die erste gescheiterte Leinwandadaption nun seinen Einstand als Kinoregisseur.

Alles, was Eidinger sagt, stammt tatsächlich von Brecht

Der Clou des von Lang verfassten Drehbuchs: Alle druckreifen Sentenzen, die der Dramatiker spricht, stammen von Brecht. Dass diese Werktreue nicht gänzlich papieren rüberkommt, ist Lars Eidinger zu verdanken, der die neunmalklugen Zitate mit größter Selbstverständlichkeit im Zigarrenqualm des Theatergenies wegspricht und unterspielt. Sein Brecht ist ein herrlich arroganter Sarkast, der die Kunst als Überlebensmittel in einer von sozialer Ungleichheit und politischen Krisen geschüttelten Welt ansieht. Wenn er in Begleitung des Filmproduzenten Seymour Nebenzahl (Godehard Giese) von oben in die Kulissen schaut und zusieht, wie der Dreh der Filmszene abrollt, die er gerade skizziert hat, mutiert er zum allmächtigen Puppenspieler, zum Gott.

Distanz herstellende Verfremdungseffekte gehören sich selbstredend, wenn einer Meister Brecht verfilmt. Also typisiert Lang brav die Figuren, lässt sie direkt in die Kamera sprechen, sie anpinseln oder gar dagegen laufen. Die radikalen Stilbrüche von einst gerinnen zu putzigen Reminiszenzen. Kameramann David Slama pflegt einen für die viktorianische Verbrecherwelt im Londoner Soho angemessen düsteren Look und dramatisiert die betont kulissenhaften Bilder mit farbigen Filtern und gewollten Unschärfen. Die Seeräuber-Jenny erscheint als rot gewandete, schmollmundige Sirene (Britta Hammelstein), wie durch den Boden einer Weinflasche gefilmt.

Trotz dieser ästhetischen Ambitionen schafft „Mackie Messer“ nur wenige große Kinobilder. Die Kadrage wirkt eng und fernsehhaft, die Kamera rückt stets nah an Körper und Gesichter. Und das, obwohl Langs betont theaterhafte Inszenierung durchaus prachtvolle Sets wie den hallenartigen Firmensitz des Bettlerkönigs Peachum (Joachim Król) und das kafkaeske Polizeipräsidium von Tiger Brown (Christian Redl) kennt. Prompt stammt das schönste, an die Seine- Ufer-Tanzszenen aus „Ein Amerikaner in Paris“ erinnernde Panorama aus dem Computer. Da fahren Macheath (Tobias Moretti), das romantische Abbild des verbürgerlichenden Räubers und seine Angebetete Polly (Hannah Herzsprung) auf der nächtlichen Themse Boot und singen ihr berühmtes Liebesduett. Am Himmel steht der Mond von Soho. Doch weil der Erzähler Brecht die Regieanweisung „ein bis zwei Monde“ ausgibt, klebt plötzlich ein zweiter am Himmel. Ein toller ironischer Effekt.

Eine Übung in historischer Aufführungspraxis

Ansonsten wirkt die unterkühlte Theatralik schmerzhaft versteifter Körper, die der Regisseur dem Allstar-Ensemble der musikalisch schmissig anzuhörenden „Dreigroschenoper“ verordnet, mitunter eher wie eine Übung in historischer Aufführungspraxis denn wie ein saftiges Musiktheaterstück. Herzsprung, Hammelstein und die stets eindrucksvolle Claudia Michelsen als versoffene Mrs. Peachum müssen soubrettenhaft quietschen. Und auch Joachim Król und Tobias Moretti, zwei Schauspieler mit reichlich Gesangserfahrung, quälen ihr Organ. Die Verderbtheit der Menschen will eben dissonant zu Gehör gebracht sein.

Der Bandit und der Bettlerkönig sind die Gegenspieler in der große Teile der Filmhandlung bestimmenden „Dreigroschenoper“. Kaum dass Macheath Peachums Tochter Polly geehelicht hat, bringt der ihn aus Rache ins Gefängnis, ja sogar an den Galgen, vor dem den angehenden Banker die am stabilen Gleichgewicht zwischen Arm und Reich interessierte, korrupte Staatsmacht rettet.

„Was ist ein Einbruch in eine Bank gegen die Gründung einer Bank?“ ist Brechts mit dem Bankencrash 2008 aufs Neue populär gewordene Frage, die Lang aus dem historischen „Dreigroschenoper“-Setting mitsamt Macheath, Peachum und Polly am Ende in eine eisblaue Bankerwelt von heute transferiert. Die kennt „Mackie Messer“ Tobias Moretti bereits aus Christian Schwochows Fernsehserie „Bad Banks“, wo er 2017 als Geldhai zu sehen war. Ein wenig ähnelt die Kapitalismuskritik in Langs Dreigroschenfilm derjenigen in dieser hoch gelobten Studie des Frankfurter Banker-Milieus: unterhaltsam verpackt, schick anzusehen und bestens konsumierbar.

Ab Donnerstag in elf Berliner Kinos

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