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Klischee und Klingelton: Hauptsache Spanien
„Carmen“, „Bolero“ und Co: Die berühmtesten iberischen Klassikwerke stammen von Franzosen. Ein echter Spanier könnte einem dagegen finnisch vorkommen.
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Wenn Klassikfans an spanische Musik denken, fallen den allermeisten zuerst Werke ein, die von Franzosen komponiert wurden: Die Oper aller Opern beispielsweise, also „Carmen“ von Georges Bizet (der nie in Spanien war, ebenso wenig wie Karl May im Wilden Westen), der Inbegriff des Musikalisch-Erotischsten, also der „Bolero“ von Maurice Ravel (seit dem 1979er Film „Die Traumfrau“ mit Bo Derek), oder auch „Espana“ von Emmanuel Chabrier (von Cindy und Bert brutal zum Schlager „Wenn die Blumen erblühen in Malaga“ ausgeschlachtet).
„Carmen“, „Bolero“ und Co.
Den Franzosen gelang es im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert tatsächlich, spanischer zu klingen als die Spanier selbst. Sie haben damals das Idiom des Nachbarlandes für sich gekapert, in einem Akt der Aneignung, mit nachhaltiger Wirkung. Von Léo Delibes’ hinreißendem Lied „Les filles des Cadix“ über Edouard Lalos „Symphonie espagnole“ bis zu Debussys „Iberia“ reicht das pseudospanische Repertoire made in France.
Orientierung gen Süden
Eine Mitschuld an dieser ästhetischen Orientierung gen Süden tragen übrigens auch die Deutschen. Richard Wagner vor allem, von dessen mythischen Musikdramen sich die Franzosen bewusst absetzen wollten, ganz besonders nach dem verlorenen Krieg 1870/71.
Natürlich gibt es auch iberische Komponisten, die bedeutende Musik geschrieben haben: Manuel de Falla, Isaac Albeniz oder Enrique Granados. Bis ins sinfonische Kernrepertoire oder in den Opernkanon allerdings ist keiner von ihnen vorgedrungen. Von einem spanischen Komponisten allerdings hat alle Welt immerhin ein paar Töne im Ohr, obwohl so gut wie niemand seinen Namen kennt: Francisco Tárrega.
In Kai-Ove Kesslers Buch „Die Welt ist laut“, einer hochseriösen Kulturgeschichte des Lärms von der Antike bis heute, lässt sich nachlesen, dass der Mobiltelefon-Hersteller Nokia 1994 als Standard-Klingelton für seine Geräte ein Werk eben jenes Senor Tárrega ausgesucht hat: Seine 1902 entstandene „Gran Vals“ wurde damit zur Erkennungsmelodie eines neuen Kommunikations-Zeitalters.
Und sie perlt auch wirklich hübsch, diese Kantilene, akustisch viel attraktiver als das nervige „Da-Da-Da-Di-Damm“ der Telekom. Spanische Musik also, die ausnahmsweise mal nicht von einem Franzosen komponiert wurde – und einem dann doch irgendwie finnisch vorkommt…
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