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Mala Emde spielt die 18-jährige Vera Brandes, die 1975 das Kölner Konzert des Jazzpianisten Keith Jarrett ermöglichte.

© Wolfgang Ennenbach / One Two Films

„Köln ‘75“ auf der Berlinale: Vera rennt

„Köln ‘75“ nutzt die Geschichte des legendären Auftritts von Keith Jarrett, um ein rasantes Loblied auf die damals 18-jährige Konzertveranstalterin Vera Brandes anzustimmen.

Stand:

Keith Jarrett hasst dieses Konzert. Der Pianist wollte es damals nicht spielen und er will heute auch nicht seine Musik für einen Film über das Konzert zur Verfügung stellen. Dabei ist die Platte „The Köln Concert“ seine erfolgreichste Aufnahme - und die erfolgreichste Solo-Jazz-Aufnahme überhaupt. So erzählt der Film „Köln ‘75“ von diesem Abend in der Kölner Oper, ohne auch nur einen Ton des Konzerts erklingen zu lassen. 

Aber das ist okay, denn in „Köln ‘75“ geht es um das Gerüst drumherum. So formuliert es der Journalist Michael Watts (Michael Chernus), die Erzählerfigur, eingangs des Films: Wie ein Gerüst vor einem halben Jahrtausend Michelangelo dazu befähigt hat, sein Deckengemälde in der Sixtinischen Kapelle zu erschaffen, so hatte auch Jarrett vor einem halben Jahrhundert ein „Gerüst“, das den Auftritt in Köln Realität werden ließ. Dieses „Gerüst“ heißt Vera Brandes: Konzertveranstalterin, Jazz-Fanatikerin und damals geradeso volljährig.

„Köln ‘75“ ist ihr Film. „Eine wahre Geschichte – wie sie Vera Brandes erzählt“ heißt es zu Beginn. Regisseur und Drehbuchautor Ido Fluk zeigt in den schönsten Braun- und Ockertönen des Zeitkolorits, wie Brandes (Mala Emde) dank ihrer Kühnheit schon mit 16 einen ersten Auftrag als Jazz-Promoterin ergattert. Wie sie gegen den Widerstand ihrer Eltern, gespielt von Ulrich Tukur und Jördis Triebel, Konzerte organisiert und nach Berlin zu den Jazztagen reist. Dort sieht sie Jarrett (John Magaro) zum ersten Mal live – und es ist um sie geschehen. 

Sie will ihn unbedingt nach Köln holen, in die Oper. Ein Irrsinn, nicht nur, weil das Haus 10.000 Mark dafür im Voraus verlangt. Jazz liegt Mitte der Siebziger im Sterben. Die hippe Jugend hört Krautrock, Punk explodiert in die Musikwelt hinein, am Horizont dämmert bereits die Disco-Ära herauf. Und genau an diesem Punkt wird Fluks Film erst richtig interessant. Er erzählt eben nicht einfach in biederer Biopic-Manier die Stationen von Brandes’ Leben nach, hin zum wichtigsten Abend ihrer Karriere. Er weist über den Rahmen hinaus.

„Sei ruhig, Fließbandbaby“

„Köln ‘75“ spiegelt die Leidenschaft seiner Hauptfigur. Man spürt, wie sehr auch Regisseur Fluk – ein Israeli, der in New York zu Hause ist und früher in Punk- und Indie-Bands gespielt hat – die Musik liebt. Er gibt ihr großen Raum: lässt die Figuren ausgiebig CAN hören, präsentiert Kölner Raritäten wie den Song „Sei ruhig, Fließbandbaby“ von Floh de Cologne und baut am Ende gar ein Stück der Bee Gees ein.

Fluk nimmt sich angenehm viele Freiheiten im Erzählen. Nicht nur Brandes, auch der Journalist Watts darf sich direkt ans Kino-Publikum wenden. Er erteilt ihm sogar eine Lektion in Sachen Jazz-Evolution. Der Regisseur selbst hat erklärt, dass sich der Film wie Jazz anfühlen solle. Das ist ihm streckenweise durchaus gelungen. Vielleicht nicht wie Free Jazz, aber doch wie ein frisch variierter Standard.

Hingabe an den Moment

In der Mitte führt Fluk einen zweiten Handlungsstrang ein: Er lässt Watts – eine fiktive Figur, zusammengesetzt aus existierenden Journalisten – zu Jarrett und seinen Manager (Alexander Scheer) ins winzige Auto steigen, um mit ihnen vom Auftritt in Lausanne nach Köln zu fahren. So bekommt er Gelegenheit, das widerwillige Genie – von Magaro mit Zurückhaltung und Präzision zum Leinwandleben erweckt – zum Wesen seiner Musik zu befragen. Jarrett improvisiert jeden Abend komplett. Keine vorgegebene Songstruktur, an der er sich orientieren, kein Mitmusiker, an den er sich halten könnte. Die reine Hingabe an den Moment.

Als er jedoch vor dem defekten Proben-Flügel steht, den ihm die Kölner Oper für das Konzert bereitgestellt hat, ist bei ihm Schluss mit der Hingabe. Auftakt für das letzte Filmdrittel, das die Stunden bis zum Konzert in „Lola rennt“-Manier als Thriller erzählt. Wird Brandes es schaffen, den Künstler umzustimmen und das Klavier repariert zu bekommen? Die Antwort ist natürlich bekannt, aber dennoch verfolgt man gebannt, wie sich Mala Emde (bekannt aus dem Antifa-Drama „Und morgen die ganze Welt“) mit Inbrunst und vollem Körpereinsatz in die Rolle der Brandes wirft.

„Köln ‘75“ schafft es nicht nur, die Liebe zur Musik zur transportieren. Der Film macht vor allem den Elan jener spürbar, die die Musik derart lieben, dass sie sie zu ihrem Lebensinhalt und Beruf machen. Und sei es auch nur als Gerüst. 

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