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Ritual und Gemeinschaft. Trauernde legen an der Synagoge in Halle Blumen für die Opfer nieder. Zwei Menschen wurden erschossen.

© Soeren Stache/dpa

Kolumne „Spiegelstrich“: Die Trauer über den Anschlag von Halle muss uns zur Einsicht führen

Auf eine solche Schreckenstat ist Trauer eine wichtige Reaktion. Sie kann aber auch unbeholfen oder sogar gefährlich werden. Wie reagieren wir angemessen?

Klaus Brinkbäumer war zuletzt Chefredakteur des „Spiegel“ und arbeitet heute als Autor unter anderem für „Die Zeit“. Für den Tagesspiegel schreibt er seine wöchentliche Kolumne über Sprache und Politik.

Wie müssen, können, wollen wir trauern? Vor wenigen Tagen saß ich in New York mit meinem besten Freund Caner und dessen Lebensgefährtin Kerry zusammen; Kerry hatte sich quälend langsam von ihrem sterbenden Vater verabschieden müssen. Bei ihrer Trauerrede habe sie versagt: „Nur Äh und Oh und nichts als Tränen.“ Wie also geht das: in Momenten der Trauer angemessen zu reagieren?

Joan Didion schrieb, dass der Glaube, vom Tag der Beerdigung an werde die Trauer linear abnehmen, naiv sei: Trauer komme in wüsten Wellen. Trauer ist Unglaube. Trauer bringt uns aus der Fassung.

Nach dem Mordanschlag von Halle sprach die CDU-Vorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer von einem „Alarmzeichen“, was euphemistisch klang.

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier sagte „Tag der Scham und Schande“, was stimmte und mir doch seltsam erschien, da Alliterationen nicht zu jedem Anlass passen.

Außenminister Heiko Maas schrieb auf Twitter: „Ich bin es leid, immer wieder entsetzt und erschüttert sein zu müssen. Wann hört das auf? Warum geschieht das in unserem Land?“ Das war spontan, unbeholfen, missverständlich, also wohl ehrlich. War es gut? Kann Trauer gelingen?

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Was Online-Trauer angeht: nein, denn jeder Halbsatz wird sofort attackiert oder aber verkitscht. Wer trotzdem noch sein „RIP“ (rest in peace) hinzufügen muss, betreibt Selfietrauer.

Politische Trauer gelingt, sobald sich die Trauernden trauen, schwach zu sein. Als Barack Obama über die ermordeten Grundschulkinder von Sandy Hook reden wollte und von den eigenen Tränen gestoppt wurde, konnten wir Betrachter nur mitweinen.

Politische Trauer gelingt auch, wenn sie Einsicht bringt. Ein Anschlag wie der von Halle sollte uns sensibilisieren: Dass Täter wie Stephan B. in rechten Foren den Beifall finden, der sie glauben lässt, handeln zu müssen, ist nachgewiesen; der Einfluss von Sprache auf reales Handeln auch.

Wir sollten wahrnehmen, wie durch Pegida oder AfD, durch Sarrazin oder Maaßen unsere Sprache verroht. Rassismus und Ausländerfeindlichkeit werden dadurch enttabuisiert, dass Toleranz und Liberalismus als „elitäre Meinungsdiktatur“ diffamiert werden. Am Ende steht ein unscharfes „Wir“ gegen die gleichfalls unkonkrete Bedrohung: „die“.

Wir sind das Kulturvolk, das „überschwemmt“ oder „umgevolkt“ werden soll. Die, das sind „Kopftuchmädchen, alimentierte Messermänner und sonstige Taugenichtse“, wie Alice Weidel sagte. „Die“ sind die Anderen, jüdische Deutsche ebenso wie Flüchtlinge aus Syrien.

Und darum tut mir heute verblüffenderweise Mathias Döpfner leid, Springer-Vorstandschef, der angeblich trauerte, gleichzeitig wütete und im Ergebnis den (hoffentlich) lausigsten Essay seines Lebens verfasste: „Nie wieder‚ ,nie wieder’!“ auf der gesamten Seite 1 der „Welt“.

Döpfner raunt: gegen Ausländer und gegen irgendwie alle Medien, jedoch nicht gegen den Mörder von Halle, den NSU oder andere Rechtsextreme und auch nicht gegen „Bild“.

Es ist die Methode der Rechtspopulisten. Nichts ist konkret, doch alles bedroht „uns“.


[Unser Kolumnist ist per E-Mail klaus.brinkbaeumer@extern.tagesspiegel.de oder auf Twitter unter @Brinkbaeumer erreichbar.]

Lustig ist’s, wenn eine großväterliche Tadelstunde für die vermeintliche Lügenpresse mit einem Fehler („Kanzlerkandidatin“ AKK) im ersten Satz beginnt; sehr viel trauriger, nämlich angesichts unserer Geschichte tragisch vernebelnd ist es, wenn deutscher Antisemitismus Migranten angelastet wird.

Wir lernen: Trauer kann gedankliche Klarheit trüben. Darum sollte man Trauerreden gegenlesen lassen.

An jenem New Yorker Abend ergriff mein Freund Caner die Hand seiner Partnerin Kerry und sagte: „Ich muss auf einer anderen Veranstaltung gewesen sein. Alle um mich herum haben gelacht und geweint. Du hast uns bewegt. Dein Vater hat in deiner Rede gelebt – so, wie er war.“

Klaus Brinkbäumer

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