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Eulen aus Athen. Noch werden griechische Souvenirs in Euro verkauft.

© Nietfeld/dpa

Griechenlands Intellektuelle nach dem Referendum: Krieg der Köpfe

Zwischen Widerstandsgeist und Kapitulation: Griechenlands Intellektuelle teilen sich in zwei unversöhnliche Lager – für oder gegen Europa.

Dienstagmittag, es ist schwül in Athen. Am Kolonaki-Platz, im Herzen der Stadt, im einstigen Boheme-Viertel der sechziger und siebziger Jahre, sind die Cafés voll. Ein französisches Fernsehteam interviewt an der Skoufa-Straße einen jungen Vater, sein Sohn hört brav zu. Zwei Tage nach dem Referendum scheint die Stadt noch immer in fester Hand der 700 Berichterstatter aus aller Welt zu sein. Das Medienspektakel erinnert an 2004, das Jahr der Olympischen Spiele und der Fußball-Europameisterschaft. Doch war das eine Sommeridylle – im Vergleich zu den jüngsten, katastrophisch anmutenden Tagen, in denen sich auch die Intellektuellen bekämpften wie lange nicht.

Dieser Krieg der Köpfe begann im Juli 2012, kurz vor den Parlamentswahlen. Vassilis Vassilikos, Autor von „Z“ und „Glavkos Thrassakis“, schrieb an einem Gastbeitrag für die zu der Zeit noch existierende „Financial Times Deutschland“, er sollte „Die Mühen der Gebirge“ heißen. Doch er untersagte die Veröffentlichung seines Textes, nachdem die Zeitung den griechischen Wählern empfohlen hatte, die rechtsliberale „Nea Dimokratia“ zu wählen. Vassilikos Beitrag erschien dann in der „Süddeutschen Zeitung“. Er appellierte darin an die Solidarität der Europäer, anlehnend an seine Erfahrungen als Exilant in Italien, Frankreich und Deutschland sowie an seine Freundschaft mit Günter Grass und Uwe Johnson.

Angriff auf die Würde der Griechen

Vassilikos Text wurde von den Intellektuellen beider Länder größtenteils ignoriert. Griechische Kuriositäten wie der aufgeblähte öffentliche Dienst oder Bonuszahlungen an Beamte für pünktliches Erscheinen hatten Vorrang in der Berichterstattung. Von einem Dialog unter Kulturschaffenden konnte keine Rede sein. Den aber gab es jetzt, in den Tagen vor dem bizarren Referendum, umso heftiger. Er trug Züge eines Bürgerkriegs.

Die alte Garde der griechischen Intellektuellen, unter anderem die Byzantinistin Eleni Glykatzi-Ahrweiler, der Filmemacher Costa-Gavras oder die Schriftsteller Vassilis Vassilikos, Ionna Karystiani oder Petros Markaris, entzweite sich in der Debatte um das Referendum: Die einen fantasierten einen Angriff des konservativen Europas gegen die Würde der Griechen herbei. „Am Sonntag werden wir unsere Leben zurückgewinnen. Wir sagen ,Nein'“, so der Liedermacher Vassilis Papakonstantinou. Die anderen appellierten an die Notwendigkeit des Dialogs mit den europäischen Partnern. So wie es der Schriftsteller Christos Chomenidis vor dem Referendum gesagt hatte: „Wir werden unseren Kindern keine Ruinen überlassen. Ich werde ,Ja’ wählen, um das Land auch kurz vor dem Abgrund aufrechtzuerhalten.“

Ein "Ochi" für den Widerstandsgeist

Die jüngeren Kulturschaffenden wiederum, zumeist aus der einst blühenden Musikbranche und ganz der Tradition engagierter, linksorientierter Liedermacher verpflichtet, traten am vergangenen Freitag auf dem Syntagma-Platz auf, um mit genauso kämpferischen wie nostalgischen Liedern die Regierungskampagne für das „Ochi“ (Nein) zu unterstützen – als stolze Antwort der Griechen auf die „Diktatur der Märkte“ und das europäische Spardiktat.

Die Inszenierung dieser Auseinandersetzung zwischen pro- und antieuropäischen Kräften geht auf zwei wegweisende Momente in der jüngeren griechischen Geschichte zurück. Zum einen auf die Weigerung des Diktators Ioannis Metaxas am 28. Oktober 1940, ein italienisches Ultimatum zu akzeptieren, was den Eintritt des Landes in den Zweiten Weltkrieg zur Folge hatte. Zum anderen auf den Widerstand des griechischen Volkes zur Zeit der Militärdiktatur von 1967–1974.

Auch die Feuilletons der griechischen Zeitungen sind polarisiert. Hier die proeuropäischen der Mainstream–Medien, „Kathimerini“, „Vima“ und andere, dort antieuropäische linksgerichtete Zeitungen, die stark an Parteiorgane des vergangenen Jahrhunderts erinnern, „Efimerida ton Syntakton“ oder „Avgi“, im ungewohnten Gleichklang mit den Boulevardblättern. Das „Ochi“ sollte unmittelbar den Widerstandsgeist und -willen eines ungezähmten, ehrwürdigen Volkes symbolisieren, ein „Nai“ (Ja) wäre die Kapitulationserklärung gegenüber den Gläubigern gewesen, vor allem gegenüber der deutschen Vormachtstellung innerhalb der europäischen Völker- und Wirtschaftsgemeinde. Die einen fühlen sich von Europa im Stich gelassen, die anderen von ihren Landsleuten, die die Kooperation mit Europa heraufbeschwören und die Heimat „verraten“.

"Keiner weiß mehr"

Den Gegner dämonisieren, das Übel leichten Herzens personifizieren – dies ist eine griechische Spezialität. Das Böse muss einen Namen tragen. Wolfgang Schäuble. Jeroen Dijsselbloem. Oder Christine Lagarde vom IWF, den Varoufakis als „kriminelle Bande“ bezeichnete. An Stelle des Anti-Amerikanismus der sechziger und siebziger Jahre ist der Anti-Germanismus getreten, der womöglich markanteste Paradigmenwechsel in der modernen griechischen Geschichte. Nüchterne Stimmen, sachliche Argumente – alles Fehlanzeige.

Und wenn es sie gibt, so wie in dem von Ulf-Dieter Klemm und Wolfgang Schultheiß herausgegebenen Sammelband „Die Krise in Griechenland“ mit Beiträgen griechischer und deutscher Akademiker, Publizisten und Politiker, dann verhallen sie gleichfalls folgenlos. Selbst das Goethe-Institut in Athen kam nicht auf die Idee, das Buch rechtzeitig vorzustellen. Geschweige denn, dass es in den griechischen Feuilletons wahrgenommen und debattiert wurde. Momentan erinnert in Griechenland vieles an den Titel des Alexander-Kluge-Films „Die Artisten in der Zirkuskuppel: ratlos“. Oder an Rolf-Dieter Brinkmanns Roman „Keiner weiß mehr“.

Der Autor ist Schriftsteller und Journalist. Er lebt in Athen und manchmal auch in Deutschland.

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