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Aktzeichnen mit Modell: In Saudi-Arabien verboten, sogar wenn die Frau aus Plastik ist. In dem Video „Aniconism“ nehmen sich die Künstler diese Freiheit.

© Gharem Studio

Der saudische Künstler Abdulnasser Gharem: Kunst statt Terrorismus

Der saudische Künstler Abdulnasser Gharem sucht Freiräume in der Diktatur.

Eine Schaufensterpuppe aus Plastik, feinsäuberlich in Scheiben zerlegt, mit diesem Trick schaffte es der saudi-arabische Künstler Abdulnasser Gharem eine Schaufensterpuppe in sein Heimatland einzuführen. In Saudi Arabien herrscht ein strenges Bilderverbot. Schaufensterpuppen gibt es dort nur ohne Kopf. Und wenn Künstler sich im Aktzeichnen üben wollen, können sie das höchstens anhand von Fotos tun. Gharem organisierte in Riad eine Aktzeichnen-Session mit saudischen Künstlern, bei der die zerlegte und wieder zusammengebaute Puppe als Modell zum Einsatz kam. In dem Video „Aniconism“, was so viel bedeutet wie „Bilderverbot“ sieht man Männer im traditionellen arabischem Gewand an Staffeleien stehen und kurvige Formen zeichnen. Die Szenerie erinnert an ein Sittengemälde aus dem 17. Jahrhundert.

Abdulnasser Gharem, 42 Jahre alt, ist einer der erfolgreichsten Künstler des Mittleren Ostens. Seine Skulptur „Message, Messenger“ verkaufte sich bei einer Auktion von Christies im Jahr 2011 für sagenhafte 842000 Dollar, so viel war zuvor noch nie für das Werk eines lebenden Künstlers aus den Golfstaaten bezahlt worden. Auch seine ornamentalen Gemälde von Panzern, Raketen und Soldaten, mit einfachen Gummistempeln gemacht, stoßen im Westen auf Interesse.

Das Geld aus der Kunstauktion spendete Gharem, dessen Werke bereits im British Museum oder im Berliner Martin-Gropius-Bau zu sehen waren, für die künstlerische Ausbildung junger Saudis. Mittlerweile hat der umtriebige Künstler, der bis vor kurzem im Hauptberuf als Oberstleutnant in der saudischen Armee tätig war, in Riad das „Gharem Studio“ eingerichtet, einer von ganzen wenigen Orten, an dem junge Menschen, Männer und Frauen, unbehelligt gemeinsam kreative Projekte machen können. „Es hat ewig gedauert, bis wir passende Räume gefunden haben. In Riad kann man normalerweise kein Atelier einrichten, weil die Nachbarn das nicht tolerieren“, sagt Gharem beim Interview via Skype.

Das Gharem-Studio ist in einer alten Villa untergebracht, von einem großen Garten umgeben. Es gibt dort ein Fotolabor, Gruppenräume, eine Bibliothek, ein Modeatelier, einen Raum für Konzerte und Proben. „Montags kommen die Modeschüler, dienstags die Musiker. Wir haben auch elf Studenten, die täglich kommen. Die haben sich mittlerweile als Künstler etabliert und wir stellen gemeinsam aus“, erzählt Gharem, der im Moment eine Ausstellungstour mit saudischen Künstlern durch Amerika plant. Unterstützt wird er dabei auch von der deutschen Botschaft und dem Goethe-Institut. Nur im eigenen Land auszustellen, das geht nicht.

Zeitgenössische Kunst, zumal wenn sie aktuelle Themen, wie Korruption, Bürokratie, die Rolle der Religion oder die Situation von Frauen anspricht, ist in Saudi-Arabien tabu. „Die Situation für Künstler ist absurd. Es dauert sehr lange bis man die Erlaubnis bekommt, eine Ausstellung zu machen. Und wenn die Genehmigung da ist, wird ein Großteil der Werke abgelehnt. Es macht keinen Sinn, hier eine Ausstellung auf die Beine zu stellen. Sie verschwenden nur Zeit und Energie“, sagt Gharem.

Dass Kunst etwas bewirken kann, glaubt er trotzdem. „Die jungen Menschen hier haben viel Energie aber sie wissen nicht wohin damit“, sagt Gharem. Kunst sieht er auch als Alternative zum Terrorismus. Orte wie das Gharem Studio, das mittlerweile auch von der Regierung toleriert wird, würde er am liebsten in weiteren saudischen Städten etablieren. „Das könnte Hoffnung geben“, so Gharem. Am 15. April wird der Künstler bei der Diskussionsveranstaltung bei „Menschen bewegen“ in Berlin anwesend sein.

Weitere Artikel zur Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik finden Sie auf unserer Themenseite.

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