
© 2025 Prisma Art Gallery
Kunstquartier Bethanien zeigt Bilder aus dem Knast: „Viele halten Kunst anfangs für überflüssig und unmännlich“
Kunst ist Resozialisierungsmaßnahme für Männer im Strafvollzug. Eine Ausstellung zeigt Gemeinschaftsbilder. Man erfährt viel Biografisches.
Stand:
Ein Schneemann, ein schwarzes Schaf, ein Labyrinth. Im dichten Nebeneinander reihen sich zudem Flugzeuge, 100-Dollar-Noten und Figuren auf. Symbole aus dem Alltag, aus Erlebnissen und der Mythologie. Es herrscht drängende Fülle auf der zwei Meter hohen und drei Meter breiten Leinwand. Manches bleibt verborgen unter diversen Farbschichten; wird unsichtbares, aber brodelndes Geheimnis.
Ein Bild ohne Zentrum, aber mit vielen Geschichten. Wie jene von dem Kind, das entlang einer berührend einsam wirkenden Landstraße geht oder die geradezu surreal anmutende Szene des Jungen, der sein Ebenbild küsst und als Spiegelfläche ein heißes Bügeleisen touchiert.
Gemeinschaftswerk aus Tegel
An diesem und sechs weiteren großformatigen Bildern, die derzeit in der empfehlenswerten Ausstellung „Jenseits von richtig und falsch. Vom Dunkeln ins Licht“ im Kunstquartier Bethanien zu sehen sind, haben etwa 40 Personen gemalt. Menschen mit besonderen Biografien, Männer aus dem offenen Strafvollzug oder der Justizvollzugsanstalt Tegel. Manche von ihnen zu Geldstrafen verurteilt, andere zu mehrjähriger oder auch lebenslänglicher Haft.
Prisma Art Gallery nennt sich das Projekt, das sich die Resozialisierung der Delinquenten mit künstlerischen Mitteln auf die Fahnen geschrieben hat. An drei Tagen in der Woche wird in vier Kursen in den Räumen des Vereins Freie Hilfe Berlin e.V., der seit 35 Jahren mit Gefangen arbeitet, jeweils drei Stunden lang gemalt und viel miteinander geredet. Therapeutische Ansätze an der Schnittstelle von Kunst und Heilung, ohne festgezurrtes Konzept, dafür mit Erfahrung, Prozess und Begegnung.
Kriminelle Biografien
Diese Form des Miteinanders und der Zusammengehörigkeit spiegeln die Bilder, die in den großzügigen Ausstellungsräumen von Erläuterungen ergänzt werden. Kollektive Arbeiten einer Gruppe, in der das Konfliktpotenzial unserer Gesellschaft wie in einem Brennglas aufscheint: heterogene Temperamente, Lebensläufe und Nationalitäten prallen hier aufeinander. Menschen mit kriminellen Biografien, die durch Macht, Gewalt und Kälte, von Krieg und Traumata geprägt wurden.
So haben die gemeinsamen Zusammenkünfte mitnichten den Charakter fröhlicher Freizeitbeschäftigung für Kunstsinnige, die an malerischen oder technischen Feinheiten interessiert sind. Die Teilnehmenden haben in der Regel nie Berührungspunkte zur Kunst gehabt, viele hielten sie anfangs für überflüssig und vor allem für unmännlich.
„Der Schlüssel ist nicht die Technik, sondern eine Haltung, die den Männern wieder Raum für ihre Selbstermächtigung gibt“, sagt Antje Kerl-Akkan. Die engagierte und empathische Leiterin der 2023 gegründeten Prisma Art Gallery wurde 1965 in West-Berlin geboren und kam als Assistentin von Künstlern zur Kunst.
Anpacken statt abheben
Zwölf Jahre reiste sie ab Ende der 1980er-Jahre durch die Türkei und afrikanische, arabische und asiatische Länder. Seither haben sich Spiritualität und Kunst wie ein roter Faden durch ihr Leben gezogen und sind bis heute ihre zentralen Kraft- und Arbeitsquellen. Wobei die schmale Frau mit den blonden Haaren und den blauen Augen – die seit 2018 im Strafvollzug tätig ist und mittlerweile ein Diplom in „Spiritual Healing“ erlangt hat – überhaupt nicht vergeistigt, sondern recht bodenständig wirkt.

© 2025 Prisma Art Gallery
Zwar dienen kunstwissenschaftliche Maßstäbe nicht als primäres Kriterium, doch wird in dieser im Beuys’schen Sinne Sozialen Plastik stets die Geschichte hinter dem Sichtbaren spürbar, entstehen kreative Transformationen und spannende symbolische Aufladungen der sowohl abstrakten als auch figurativen Bilder.
„Durch die künstlerischen Aktivitäten kommen die Teilnehmenden an innere Schichten und Erfahrungen, an die man rein sprachlich nicht herankommt“, sagt Jan-Philipp Fruehsorge. „Psychologen und Sozialarbeiter stellen andere Fragen und gehören zum Justizapparat, das löst Ängste vor negativen Beurteilungen aus.“
Der Kunsthistoriker, Autor und Kurator agiert seit über 20 Jahren in unterschiedlichen Positionen im Kunstbetrieb und unterstützt das Projekt seit einem Jahr im Hinblick auf eine Professionalisierung und Vernetzung in die Kunstszene.
Insofern steht das Prisma auch für den Perspektivwechsel. Einerseits der Straftäter; die anders auf sich selbst blicken und neue Facetten wahrnehmen, andererseits aber auch für Ausstellungsbesucher, die Dinge entdecken, die ihnen nicht bewusst waren.
Während in Großbritannien die Stiftung Koestler Arts, gegründet von dem ungarisch-britischen Schriftsteller Arthur Koestler, seit 1962 erfolgreich mit Gefangenen und renommierten Künstlern zusammenarbeitet, sind Angebote wie die von der Justiz unabhängige Prisma Art Gallery in Deutschland noch eher selten. Dabei erweisen sich Kunst und Kreativität als erfolgreiche Werkzeuge auf dem Weg zurück in die Gesellschaft. Die intuitive Malerei des Berliner Projekts legt davon in sieben bildgewaltigen Stationen Zeugnis ab.
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