
© Bettina Stöß
Legendärer Intendant: Götz Friedrich, der Visionär
Als Götz Friedrich 1981 die Leitung der Deutschen Oper übernahm, sprühte er nur so vor Ideen. Und das bezog sich nicht allein auf die Werke, die er an der Bismarckstraße inszenieren wollte.
Stand:
Ich muss mein Regal mit den Fachbüchern durchforsten. Wir ziehen bald um, und in der neuen Wohnung gibt es deutlich weniger Stellfläche für Gedrucktes. Für mich bedeutet das puren Stress, denn ich kann mich generell schwer von vertrauten Dingen trennen. Aber der Zwang zur Reduktion hat natürlich auch sein Gutes. Denn ich muss mir die Frage stellen, was ich von den unzähligen Bänden wirklich brauche.
Fast wäre Götz Friedrich aussortiert worden. Ich wollte den schmalen Band aus der Serie „Westermanns Monatshefte“ über die Deutsche Oper Berlin schon weglegen, nahm ihn dann aber noch einmal zur Hand, wegen Dietrich Fischer-Dieskau, dessen 100. Geburtstag ja letzte Woche gefeiert wurde, und der auf dem Titel als „Figaro“-Graf zu sehen ist – in Götz Friedrichs legendärer Inszenierung, die bis heute an der Bismarckstraße gespielt wird.
Von Barock bis Musical
Offiziell war die Publikation 1981 zum 20-jährigen Jubiläum der Wiedereröffnung der Deutschen Oper erschienen, das Datum fiel jedoch mit dem Start von Friedrichs Intendanz zusammen. Als ich zum Interview blätterte, in dem er seine Vision für das Haus erläutert, war ich wie vom Blitz getroffen.
Denn da steht genau all das, was heute als „state of the art“ in Sachen Spielplangestaltung und gesellschaftliche Relevanz gilt. Unglaublich! Schon vor 44 Jahren wünscht sich Friedrich ein „Kommunikationszentrum“ gegenüber der Oper, in dem sich Künstler und Publikum begegnen können: mit Experimentierbühne, „Stampe“ (ich musste nachschauen: so nannte man einst Kneipen) und Bibliothek.
Und er sagt: „Wir können auch mobil werden, in die Stadteile gehen“. Außerdem möchte er die Infrastruktur seines Hauses „experimentierfreudigen Leuten“ zur Verfügung stellen, für „Alternativ-Projekte“: „Nicht die Verweigerung, sondern Zusammenarbeit bringt uns weiter in dieser Stadt und in dieser Oper!“
Auch künstlerisch gibt sich der Neue maximal offen, will Barockopern spielen, „Populäres auf hohem szenischem Niveau“ und ja, sogar „neue Musicals aus Amerika – oder aus Berlin“. Götz Friedrich, der Visionär.
In die Realität umgesetzt hat er dann allerdings nur einen Bruchteil seiner Pläne, da erging es ihm nicht besser als vielen anderen Menschen mit guten Ideen. Das Bändchen wandert wieder zurück ins Regal, als Zeitdokument.
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