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Kultur: Leise klirren meine Schritte

Schon durchs Treppenhaus dröhnt Musik: eingängiger Pop, zu dem sich riesenhaft vergrößert der auf zwei Wände projizierte Kopf der Künstlerin dreht. Mit jeder Umkreisung hat Ana Laura Alàez ein neues Outfit, eine andere Perücke, einen anderen grellen Lidschatten.

Schon durchs Treppenhaus dröhnt Musik: eingängiger Pop, zu dem sich riesenhaft vergrößert der auf zwei Wände projizierte Kopf der Künstlerin dreht. Mit jeder Umkreisung hat Ana Laura Alàez ein neues Outfit, eine andere Perücke, einen anderen grellen Lidschatten. Die narzisstischen Selbstumdrehungen der jungen Spanierin halten gefangen. Ihre zwischen Clubkultur und Identitätssuche oszillierende Performance gibt das eine Extrem zeitgenössischer spanischer Kunst. Auf das andere stößt der Ausstellungsbesucher sogleich im Entree des Hamburger Bahnhofs. Dort hat Javier Pérez seinen Klangturm errichtet: ein meterhohes Metallregal, in dem sich verschiedene Glasbehältnisse befinden, die zart klirren, sobald man das Innere der Konstruktion betritt.

Skulptur hier, Video dort; mal von subtilen Klänge begleitet, mal vom Discosound getragen. Spanische Kunst heute deckt die ganze Spannbreite internationaler Produktion ab. Nur schafft sie häufig nicht den Sprung über die Grenze hinaus. Das spanische "Kunstvermittlungswunder", von dem Generaldirektor Peter Klaus Schuster bei der Eröffnung sprach, ist zum größten Teil aufs Land beschränkt geblieben. Die spanische Ratspräsidentschaft der Europäischen Union im ersten Halbjahr 2002 ist deshalb eine günstige Gelegenheit, um auch im Ausland auf die junge spanische Szene hinzuweisen. Denn seit dem politischen Übergang zur Demokratie in den siebziger und achtziger Jahren setzt Spanien programmatisch auf die katalysatorische Kraft zeitgenössischer Kunst. Nacheinander wurden dafür in Madrid, Valencia, Las Palmas, Barcelona, Bilbao ambitionierte Kunsthäuser eröffnet. Bis auf die großen Stars Eduardo Chillida, Antoni Tàpies oder Julio Gonzales blieben die Künstler des Landes jedoch eher blass.

Das soll nun anders werden mit "Big Sur", einer Ausstellung neuer spanischer Kunst im Hamburger Bahnhof. Die von einem Buch Jack Kerouacs entlehnte Überschrift deutet schon die ironische Brechung des Unternehmens an. Ähnlich wie Kerouacs Held am kalifornischen Küstenort Big Sur vergeblich die innere Ruhe zu finden hofft, geht auch die jüngste spanische Künstlergeneration auf Abstand zu repräsentativen Vereinnahmungen. Sie sperrt sich gegen Kategorisierungen, was sie jedoch mit aktueller Kunst rund um den Globus gemeinsam hat. Dennoch sucht man das spezifisch Spanische in ihren Werken. Kurator Joachim Jäger entdeckt es in den Dingen des Alltags, die Vertreterfunktion für Träume, Wünsche, Verdrängungen einnehmen. Eine andere Lesart wäre der Hang zur Übertreibung, Exaltiertheit, Maskerade, wie man sie aus den Filmen Pedro Almodovars kennt. Ein weiterer Hinweis darauf ist das biografische Moment in vielen Arbeiten. So agiert Carles Congost in seinem Video als Hauptdarsteller, Marina Nunez malt sich in ihren Wandgemälden selbst in der Pose der Hysterikerin, Pilar Albarracin tritt persönlich in der Rolle der grotesken Flamenco-Tänzerin auf.

Mögen klassische Skulptur und Zeichnungen, die man früher vor allem mit Spanien verband, zurückgedrängt sein, so bleibt die Malerei als traditionelle Gattung dennoch eine starke Position. José Manuel Ballester gehört mit seinen Stadtansichten dabei zu den bemerkenswerten Vertretern. Die kleinen Ölgemälde "New Tate" oder "Sommerterrasse" etwa spielen mit der Möglichkeit zur Abstraktion. Beachtenswert auch seine Fotografie, mit der er Farbräume im urbanen Umfeld aufspürt. Bei dem leuchtend "roten Tunnel" handelt es sich letztlich um einen mit Kunststoff überdeckten Fußgängerweg entlang einer Baustelle. Gegen solch delikate Farbuntersuchungen kann Victoria Civeras Großformat "Die Landschaft verlassend" trotz aller Bezugnahme auf Caspar David Friedrich nur abfallen. Auch Antoni Abad, wie Civera als Mittvierziger zu den Veteranen der jungen Szene zählend, hinterlässt mit seinen am Computer generierten Fliegen, die alle paar Sekunden Worte wie "Ich" bilden, eher einen schwachen Eindruck. Ein technischer Gag, mehr nicht.

Ein Geschoss höher könnte ihn Daniel Canogar lehren, was Projektion noch zu sein vermag: In seiner beklemmenden Installation "Teratologie" lässt er via optischer Kabel Aufnahmen von ansteckenden Krankheitserregern an die Wand werfen. Ein lebendes Bild beklemmender Schönheit entsteht und straft das Klischee einer Fun-Generation Lügen.

Vom einheitlichen Bild junger spanischer Kunst wird man sich nach "Big Sur" ohnehin verabschieden müssen. Aus dem Süden Europas kommen zwar alle sechzehn Künstler; wie Kerouacs Big Sur ist allerdings auch ihr Herkunftsort weniger geografisch als in der Vorstellung zu fassen. Mit ihrer Berliner Ausstellung haben sie jedoch eine beredte Visitenkarte hinterlassen.

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