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Was tun mit toten Körpern? Performance-Film „One Big Bag“ von Every Ocean Hughes.

© Every Ocean Hughes

Licht und Schatten im Forum Expanded: Die ungewöhnlichsten Filme der Berlinale

Mehr als Kino: Das Forum Expanded der Berlinale zeigt Filme, die die Grenzen des Kinos sprengen. Einige Highlights im Überblick.

Die Filme des Berlinale-Forum Expanded gehören zu denen, die vielleicht am wenigsten ins Kino passen. Entweder benötigen sie mehrere Bildschirme, viel Raum, sind zu still, zu poetisch oder in ihrer Ästhetik zu ungewöhnlich, um im kommerziellen Kino zu funktionieren.

Die ausgewählten Beiträge aus aller Welt werden teils in Screenings teils in Ausstellungen präsentiert. „Closer to the Ground“, „Sich näher am Boden bewegen“, lautet die Überschrift in diesem Jahr. Das Unerkannte, Ungesehene samt dessen Gegenteil, dem Licht, bildet den roten Faden im diesjährigen Forum Expanded.

Am Hauptausstellungsort, im Silent Green in Wedding, geht man zunächst eine breite, steinerne Rampe hinab. Und dann, unter Tage, wo früher einmal ein Krematorium untergebracht war, beschäftigen sich gleich mehrere Filminstallationen mit der Politik des Lichts; und den damit verbundenen Technologien.

Wer hat die Macht über das Licht?

Der Beiruter Künstler Haig Aivazian untersucht in seinem 18-Minuten-Film „All of the stars are but dust on my shoes“ die Geschichte des künstlichen Lichts. Die Orte, an denen er sich bewegt sind so unterschiedlich beleuchtete Städte wie New York, Paris, Beirut oder Aleppo. Helligkeit ist eine ambivalente Angelegenheit: Sie sorgt für Sicherheit – und ermöglicht Überwachung.

Aivazian beginnt mit der Öllampe und führt mit unterschiedlichem filmischem Material über die Zündhölzer, zu den LEDs und bis zur vernetzten Smart City, in der es nur noch dort hell sein muss, wo sich Menschen bewegen. Er verbindet Erklärvideos und Animationen, Aufnahmen mit der eigenen Handykamera mit Interviewsequenzen, wie dem Bericht eines Mannes, der zwei Jahre lang ohne Licht in einer Zelle eingesperrt war. Man sieht Straßenschlachten in Syrien, Stromausfälle, Verdunkelungen und Ausgangssperren.

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Wie bei vielen Filmen im Forum Expanded zielen die Bilder nicht auf eine lineare Erzählungen ab, sondern auf ein fühlendes, oft auch körperliches Gewahrwerden von Dingen, die man kaum wahrnimmt, weil sie so alltäglich sind. Künstliches Licht mit all seinen Auswirkungen auf unsere Körper, auf Ressourcen, Natur und Arbeit gehört dazu.

Sehen oder Nicht-Sehen-Wollen

Ohne Licht kein Bild. Jede Foto- und Filmkamera arbeitet mit Licht, zeigt und verbirgt. Wie sich Rassismus, etwa die Diskriminierung von dunkler Hautfarbe, in der Technik niederschlägt - und sich im digitalen Zeitalter fortsetzt - macht der Filmemacher Musquiqui Chihying zum Thema. Der in Berlin beheimatete Künstler, der sich in vorhergehenden Filmen etwa mit kolonialen Berliner Straßennamen beschäftigt hat, ist nun schon eine Weile in Togo unterwegs, untersucht die asymmetrischen, wirtschaftlichen Verflechtungen zwischen Afrika und China.

Szene aus Musquiqui Chihyings Film „The Lighting“.
Szene aus Musquiqui Chihyings Film „The Lighting“.

© Musquiqui Chihying

Seine neue Videoinstallation „The Lighting“ ist im Silent Green auf drei großen, runden Screens zu sehen. Musquiqui Chihyings Ausgangspunkt ist eine Beobachtung, die er in Togo gemacht hat. Viele benutzen dort ein taiwanesisches Handy, dessen Kamera dunkle Haut heller aussehen lässt. Die drei Kreise, in die er seine Filmszenen projiziert, erinnern an die dreiteilige Kamera heutiger Smartphones.

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Darin verschränken sich die verschiedenen Ebenen des Films: eine togolesische Kamerafrau berichtet, mit welchen Tricks sie schwarze Gesichter belichtet und so den mechanischen Rassismus der Kamera ausgleicht. Ein Software-Spezialist erklärt, warum dunkle Hauttypen und asiatische Gesichter vom Algorithmus missinterpretiert werden.

Vietnamesisches Waisenkind wird in eine von südkoreanischem Pop inspirierte polnische Tanzgruppe aufgenommen: „Revolution is a Sickness“ beim Forum Expanded.
Vietnamesisches Waisenkind wird in eine von südkoreanischem Pop inspirierte polnische Tanzgruppe aufgenommen: „Revolution is a Sickness“ beim Forum Expanded.

© Diane Severin Nguyen

Verschränkt wird das Ganze mit einem Helden des 70er Jahre Kinos. Chihyings Team hat eine Deep-Fake-Version von Bruce Lee entwickelt, die zwar aussieht wie er, aber nicht echt ist und mit Voice-Decoder-Stimme rassistische Witze und Slogans erzählt, von dunklen Objekten, die man im Dunkeln nicht sehen kann.

[Forum Expanded Ausstellung im Silent Green, Gerichtstr. 35, Wedding, bis 20.2., täglich 10–20 Uhr; 22.2.–13.3. Di–So 14–19 Uhr, Tickets: 8 / 6 Euro, Zeitfensterbuchung erforderlich]

Chihying erzählt Filmgeschichte, Technikgeschichte und Materialgeschichte zwischen Europa, Asien und Afrika in humorvoller, subjektiver und trotzdem faktenbasierter Weise. Man folgt im Film seiner weitverzweigten Recherche. Das ist im wahrsten Sinne des Wortes: erhellend. Einfache Wahrheiten gibt es aber auch in diesem Werk nicht, der Film ist eher Anregung zur Diskussion. Die soll es im Silent Green auch geben.

Chaos auf der Insel der Ungerechtigkeit

Die Ausstellung bietet Raum für besondere Inszenierungen. Die poetische Videoinstallation „The Wake“ vom Haitianischen Künstler:innen-Kollektiv „The Living and the Dead Ensemble“ verschwindet hinter einem roten Vorhang, die 35-minütige Meditation über das Gehen „The Path is made by Walking“ von der brasilianischen  Filmemacherin Paula Gaitan ist von einer Empore aus zu betrachten. Weitere Werke laufen in kuratierten Filmprogrammen im Silent Green oder im Arsenal (Programm hier.).

Wie weit das Expanded Cinema gehen kann, zeigt unter anderem der gelungene Film „One Big Bag“ der Regisseurin und Künstlerin Every Ocean Hughes (EOH). Die Künstlerin selbst tritt in dem Film als Performerin auf (läuft nochmal am Mo 14.2., 20 Uhr und Sa 19.2., 14 Uhr).

Als moderne Sterbebegleiterin, als „Todes-Doula“, bewegt sie sich auf einer Bühne zwischen Utensilien, die man bei der Waschung und Vorbereitung eines toten Körpers braucht. Ein „mobiles Leichen-Set“ hängt von der Decke mit Stoffen, Kleber, Gummihandschuhen, Windeln, Glöckchen und etwas zum Basteln für die Hände der Angehörigen.

Den Tod begreift und verarbeitet man am besten über den Kontakt mit dem Körper, ist aus dem schnellen Monolog der Performerin zu erfahren. Und noch so vieles andere über das Sterben. EOH’s Film ist trotz der direkten Worte eine zärtliche Einladung zum Hinsehen, wie das Forum Expanded insgesamt.

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