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Melancholie und Gefahr: Madonna

© Universal

"Madame X" von Madonna: Die ewige Spielerin

Madonna hüpft auf ihrem neuen Album „Madame X“ durch die Stile und Rollen. Über ein solides Mittelmaß kommt sie dabei nicht hinaus.

Enttäuschender noch als Madonnas Gesangsleistung beim Eurovision Songcontest vor drei Wochen war ihre anschließende Bockigkeit. Erst stellte sie ein Aristoteles-Zitat und ein Bild von sich mit zugehaltenen Ohren ins Netz, um dann eine akustisch geschönte Version ihrer verhauenen Darbietung von „Like A Prayer“ zu veröffentlichen. Ende Mai legte sie noch mal nach und lud bei Instagram ein kurzes Video hoch, in dem sie den alten Hit zusammen mit einem Gospelchor singt – und natürlich jeden Ton trifft. Dazu schrieb sie „Fuck You bitches“. Souveränität geht anders.

Madonna ist eine Perfektionistin und ein Kontrollfreak mit einem extrem hohen Anspruch. Deshalb war es ihr nicht möglich, einfach zu sagen: „Hey Leute, ich hatte einen schlechten Tag, das kommt sogar bei mir vor.“ Und deshalb konnte sie sich auch nicht darüber freuen, dass sie nach dem Abend deutlich mehr Aufmerksamkeit bekam als der ESC-Sieger.

Doch letztlich war das Debakel eine perfekte Werbung für ihr neues Album, von dem sie einen Song in der Halbzeitshow präsentiert hatte. Für Gesprächsstoff sorgen, Neugierde wecken – Madonna hat das allerdings auch verdammt nötig, nachdem von ihren letzten drei Alben höchstens das letzte halbwegs überzeugen konnte. Für ihre Verhältnisse zu wenig.

Mirwais führt bei sechs Songs Regie

Ihr am kommenden Freitag erscheinendes 14. Studioalbum „Madame X“ kann diese Serie nicht beenden. Es stellt einen weiteren verzweifelten Versuch der Pop-Legende dar, irgendwie zeitgemäß zu klingen, allerdings kommt sie dabei nicht über solides Mittelmaß hinaus. Mitunter landet sie sogar weit darunter, etwa bei dem Stück „Killers Who Are Partying“, dessen erste Zeilen lauten: „I will be gay if the gay are burnt/ I’ll be Africa if Africa is shut down/ I will be poor if the poor are humiliated“. Wie eine heterosexuelle weiße Multimillionärin das anstellen will, erwarten Homosexuelle, Obdachlose und ganz Afrika schon mit großer Spannung.

Nur ein Sprachbild? Ja, aber ein extrem geschmackloses, anmaßendes, in dem sich die Sängerin in eine Jesus-gleiche Position imaginiert. Zu Akustikgitarren, Handclaps und einem portugiesisch gesungenen Refrain kommen weitere Zeilen aus der Abteilung Fremdscham-Alarm hinzu: „I’ll be Islam if Islam is hated/ I’ll be Israel if they’re incarcerated/I’ll be Native Indian if the Indian has been taken“.

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Ein guter Produzent hätte die 60-jährige US-Amerikanerin vielleicht dazu gebracht, diesen Text zu ändern. Doch Mirwais Ahmadzaï war dazu nicht in der Lage. Der 1960 geborene Franzose ist ein alter Vertrauter von Madonna, der für sie das tolle „Music“ (2000) aber auch den nachfolgenden Flop „American Life“ (2003) produzierte. Bei ihrem neuen Werk führte er bei sechs der 13 Songs Regie, wobei Madonnas Maßgabe offenbar lautete, dass aktuelle Trends und Einflüsse ihres zeitweiligen Wohnortes Lissabon aufgegriffen werden sollen. So singt sie ab und an auf Portugiesisch, es gibt ein wenig Fado-Melancholie, Trap-Beats und Reggaeton, für den sie sich den kolumbianischen Superstar Maluma engagiert hat. Prominent vertreten bereits auf der ersten Single „Medellín“, ist er zudem bei „Bitch I’m Loca“ dabei, das trotz seines machtvollen Boller-Beats weder ihm noch ihr neue Fans einbringen wird.

"Crave" ist ein schöner, moderner Popsong

Richtig peinlich ist ihr kurzer anzüglicher Dialog am Song-Ende („You can put it inside“). Der 25-jährige Sänger kichert danach leicht hysterisch. Als sei es ihm doch ein bisschen unangenehm, dass er sich hat einkaufen lassen, um „Madame X“ etwas vom spätestens seit Luis Fonsis Überhit „Despacito“ omnipräsenten Reggaeton-Flair zu verleihen. Allerdings hält sich Madonna nicht lange damit auf und hüpft munter weiter durch die Stile. Das von Diplo produzierte „Future“, das sie mit dem Rapper Quavo in Tel Aviv sang, ist ein Reggaesong mit knalligem Bläsersatz, bei „Faz Gostoso“ begibt sie sich an der Seite von Brasiliens Superstar Anitta in Baile-Funk-Gefilde, um sich schließlich in „Crazy“ zu Akkordeon und Streichern in eine Eifersuchtsballade zu werfen.

Die Sängerin hat diese Sprunghaftigkeit zum Konzept erhoben, denn die titelgebende Madame X hat verschiedene Identitäten von der Spionin über die Professorin bis hin zur Prostituierten oder Nonne. Madonna, die Rollenspielerin – das ist allerdings keine sonderlich frische Idee. Vamp, Cowgirl, Domina, das kennt man von ihr seit Jahrzehnten. Was einst cool wirkte, erscheint aber inzwischen wie ein nervöses Ausprobieren. Vielleicht ist ja zufällig ein Treffer dabei. Und die gibt es durchaus auf „Madame X“, vor allem, wenn Madonna wie sie selber klingt, etwa in der Achtziger-Disco-Nummer „I Don’t Search I Find“ oder der Ballade „I Rise“, bei der ihre Stimme zumindest in der ersten Hälfte relativ wenig bearbeitet wurde und deren Refrain Erinnerungen an „Ray Of Light“-Zeiten erweckt.

Auch das sehnsuchtsvolle „Crave“, ein Duett mit mit dem Rapper Swae Lee vom Duo Rae Sremmurd, das eine gezupfte Akustikgitarre elegant mit dem Sirren der Trap-Hi-Hats verbindet, ist ein schöner, moderner Popsong. Allerdings kein Hit, auch sonst findet sich keiner auf „Madame X“. Und das ist ein Problem, denn Madonna hatte schon lange keinen richtigen Hit mehr. Dabei haben Hits sie immer definiert und ihr zum Titel Queen of Pop verholfen. Der letzte Knallersong gelang ihr 2005 mit „Hung Up“ vom „Confessions On A Dancefloor“-Album, ihrer letzten wirklich starken Platte.

Madonna tut sich schwer, im Pop von heute ihren Platz zu finden

Madonna hat über Jahrzehnte zahllose Künstlerinnen wie Britney Spears, Miley Cyrus oder Lady Gaga beeinflusst. Doch die Popwelt hat sich schon wieder viele Male weitergedreht. Den Ton geben gerade andere an, jüngere Musikerinnen wie Billie Eilish, Lorde oder Ariana Grande. Auch eine Taylor Swift hängt Madonna auf Youtube inzwischen locker ab, wenn sie ein neues Lied veröffentlicht.

Es gibt ohnehin – sieht man von Beyoncé einmal ab – keine alles überstrahlenden Königinnen mehr, auf die sich alle einigen können, sondern viele, viele spannende Künstlerinnen, die die Fans auch alle gleichzeitig anhimmeln können. Der heutige Pop ist in seiner Ausdifferenziertheit und Schnelllebigkeit nicht zu vergleichen mit der Ära, in der Madonnas Stern aufging und in der sie neben Prince und Michael Jackson einen unanfechtbaren Status genoss.

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Sie tut sich sichtlich schwer, in der neuen Zeit ihren Platz zu finden, hat nicht mehr das instinktive Gefühl für die richtigen Mitstreiter und Sounds. Wie unsicher sie ist, zeigte letzte Woche ihre Reaktion auf ein Porträt im „New York Times Magazine“. Auf Instagram schrieb sie, dass sie sich davon vergewaltigt fühle, was eine viel zu drastische Wortwahl darstellt für einen nicht sonderlich brillanten, aber keineswegs bösartigen Text. Er enthalte „endlose Äußerungen über mein Alter, das niemals erwähnt worden wäre, wenn ich ein Mann gewesen wäre“, schreibt Madonna, die in letzter Zeit häufig davon spricht, dass sie aufgrund ihres Alters und ihres Geschlechts diskriminiert werde.

Sicher herrscht auch im Popbusiness ein Doppelstandard für Frauen und Männer. Doch wer im Sektor Jugendkultur tätig ist, muss sich schon mal fragen lassen, ob er da noch reinpasst, ob er die nachkommenden Generationen noch erreicht. Es ist verständlich, dass Madonna dünnhäutig geworden ist, zumal sich kaum alternative Optionen für sie aufdrängen. Jazzsängerin oder Singer-Songwriterin – hier spielt Alter eine kleinere Rolle – wird sie nicht mehr werden.

Einen möglichen Ausweg deutet sie auf „Madame X“ an: Der Song „Dark Ballet“ ist ein durchgeknallter experimenteller Quatsch, der so klingt, als hätte sie zusammen mit Liberace zu viel Ecstasy genommen. Leider deuten Text und Video darauf hin, dass das gar nicht witzig, sondern todernst gemeint ist. Schade, etwas mehr Humor könnte Madonna weiterbringen.

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