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Auf den Schultern von Riesen: Harry Hachmeisters „Arkadischer Jüngling (nach Goethe)“ von 2015.

© Harry Hachmeister, Courtesy of the Artist. © VG Bild-Kunst, Bonn 2025

Mannsbilder im Georg-Kolbe-Museum: Als der Bildhauer noch Giovanni, Francesco, Antonio porträtierte

War Georg Kolbe homosexuell? Eine Ausstellung kombiniert seine Skulpturen mit den elegischen Aufnahmen des Fotografen Herbert List aus Griechenland und lässt Harry Hachmeister intervenieren.

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Diesmal ist das Atelier des Bildhauers voller Männer. Sie stehen, schreiten, stürzen, straucheln. Manche verhärten sich in voller Muskelmasse zu martialischen Kämpfern, erstarren in Posen. Die stammen aus der NS-Zeit, als Georg Kolbe sich dem Zeitgeist mit einem neuen Figurenideal andiente.

Ein junger Mann sinkt, tödlich getroffen, mit hängenden Flügeln nieder wie ein moderner Ikarus: ein abgeschossener Flieger aus dem Ersten Weltkrieg, technoid stilisiert für ein Denkmal. Ein anderer tanzt: der Ballettstar Nijinsky, den Georg Kolbe nach einem Auftritt in Berlin als grazilen Körper in Bewegung erfasste, für immer schön.

Kolbes Männerdarstellungen passten immer perfekt in die Zeit

Die Ausstellung stellt ihm das Video einer auratischen Choreografie von Maurice Béjart zur Seite. Zu den Klängen des sich steigernden „Boléro“ von Ravel entfaltet der Tänzer alle Emotions- und Ausdruckslagen des Mannseins emphatisch, auf rundem Podest. Das war revolutionär: Hier emanzipierte sich ein Tänzer von der herkömmlichen Männerrolle im Ballett, statt immer nur Träger einer Ballerina zu sein.

In Kolbes Werk sind sie enorm wichtig, die Männer. Anhand einer Fotostrecke kann man seine Stilentwicklung des Maskulinen etappenweise nachverfolgen: von den frühen androgynen Gestalten über den gestählten Zehnkämpfer von 1933 bis zu den gebrochenen Heroen der Nachkriegsära, die sich wiederum perfekt in ihre Zeit fügen.

Ansicht der Ausstellung „Liaisons“ im Georg-Kolbe-Museum mit Skulpturen von Georg Kolbe und an der Wand Fotografien von Herbert List

© Enric Duch

Ein feines Netz aus Assoziationen und Wahlverwandtschaften spinnt Kuratorin Elisa Tamaschke um Kolbes Werke. Sie will bewusst machen, wie sehr Körperbilder an politische Kontexte, persönliche Umstände und gesellschaftliche Zuschreibungen gebunden sind. Die Ausstellung ist der zweite Teil der Kolbe-Erkundungen zum 75. Museumsjubiläum. Die erste Schau hatte die Gründung im Jahr 1950 mit einer Rekonstruktion der damaligen Eröffnungspräsentation beleuchtet und kritisch befragt.

Einige Exponate daraus durften stehen bleiben. Die meisten Frauen zogen aus. Die Männerriege wurde aufgestockt. Kolbes lebensgroßen Gipsen und Bronzen sind Medizinbälle vor die Füße gerollt, eine Intervention von Harry Hachmeister: als hätten die hüllenlosen Heroen gerade noch wie im Gym mit Fitnessgeräten trainiert. Dazu platziert der Künstler ironisch aus der Form geratene Hanteln.

Der todkranke Kolbe empfing List im Atelier

Vor allem treten Schwarz-Weiß-Fotografien von Herbert List hinzu. Auch er nahm vorzugsweise Männer in den Blick. Ein einziges Mal sind sich der Bildhauer und der Fotograf begegnet. Der schon todkranke Kolbe empfing den aus dem Exil zurückgekehrten List im Herbst 1947 in seinem Atelier in der Sensburger Allee, dem jetzigen Museum. Der Fotograf hatte Deutschland 1936 verlassen, weil er jüdische Vorfahren hatte und homosexuell war.

Ein kleinformatiges Porträt, bei diesem Fotoshooting entstanden, entdeckte Kuratorin Tamaschke im Museumsarchiv. Es bildete die Keimzelle der Ausstellung. Beide Männer verband eine Freundschaft mit dem Galeristen Curt Valentin. Persönliche Postkarten von ihm an Kolbe, etwa aus Griechenland oder von anderen Orten, tauchen hier und da an den Wänden auf: Nur ein Pfad von vielen, die sich hier verfolgen lassen.

1937 fotografierte Herbert List die Statue von Antikythera in Athen.

© Herbert List/Magnum Photos

Lists Fotografien und Kolbes skulpturale Körper umspielen unterschiedliche Vorstellungen von Männlichkeit. Antike Idealbilder von schönen Jünglingen spukten beiden im Kopf herum. Der junge Kolbe modellierte seine ersten plastischen Werke in Rom, Porträtköpfe junger Männer namens Giovanni, Francesco und Antonio.

List inszenierte Jungs aus seinem Bekanntenkreis beim lässigen Sonnenbaden an mediterranen Küsten. Oder er bannte seine nackten Modelle zeitlos vor griechischen Ruinen ins Bild. Zart streicht das Licht über die Haut, macht lebende Körper zur Skulptur. Darin schwingt auch die Sehnsucht nach dem Ideal einer Gesellschaft mit, die das Homosexuelle nicht kriminalisiert.

Auch die Begeisterung für Michelangelo teilten Kolbe und List. Der Fotograf setzte die Skulpturen des Renaissancekünstlers so feinfühlig ins Licht, dass sie zu atmen scheinen. Einen ramponierten Gipsabguss des berühmten „Gefesselten Sklaven“ fotografierte er in einem kriegszerstörten Museum als brüchige Männlichkeit.

Kolbe wiederum lief, inspiriert von den muskulösen Körperdarstellungen Michelangelos, beim Zeichnen nach männlichem Aktmodell zu Höchstform auf. Immer musste das Modell sich bewegen. Mit schwungvollen, breiten und heftigen Kohlestrichen folgte der Zeichner den Körperformen, sie vibrieren vor Spannung. Drückt sich in diesem Nachspüren mehr als künstlerisches Studieninteresse aus?

Für Kuratorin Tamaschke bleibt es eine interessante Frage, wie Kolbe zu seiner eigenen Sexualität stand. Sie hat sich in den umfänglichen Nachlass vertieft, der ständig neue Erkenntnisse abwirft. Eine Antwort gibt es noch nicht. Viele Schwule zählten zum Bekanntenkreis des Bildhauers, das belegen Briefe.

Ein Beispiel ist der mit einer Grafik vertretene Erich Moebes: Er wandte sich 1937 Rat suchend als 17-Jähriger an den Bildhauer, weil er wegen Paragraf 175 von der Schule geflogen war. Die Antwort Kolbes ist nicht erhalten. Aber man blieb in Kontakt.

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