
© Privatsammlung, Brüssel. Foto: Vincent Everarts
Mehr frische Luft: Die belgische Neo-Impressionistin Anna Boch in Oostende
Das Mu.ZEE im belgischen Oostende ehrt die belgische Malerin Anna Boch zu ihrem 175. Geburtstag endlich mit einer umfangreichen Ausstellung auch als Sammlerin, Mäzenin und Musikerin.
Stand:
„Doch neben seriösen Qualitäten mangelt es der Künstlerin daran … kein Mann zu sein“, schrieb der belgische Schriftsteller und Großkritiker Émile Verhaeren in „Le National belge“ am 5. Mai 1884 über das Werk der Malerin Anna Boch (1848-1936). In Verhaerens Weltbild und das seiner männlichen Zeitgenossen passte es nicht, dass eine Frau, die keinen Zugang zu einer akademischen Ausbildung hatte, eine große Künstlerin sein konnte. Doch gerade das war Anna Boch, wie eine aktuelle Ausstellung aus Anlass ihres 175. Geburtstages im Mu.ZEE im belgischen Seebad Oostende zeigt.
Am Eingang zur Ausstellung „Anna Boch, eine impressionistische Reise“ empfängt den Besucher ein überlebensgroßes Foto, das die leidenschaftliche Malerin als junge Frau an ihrer Staffelei zeigt. In der Vitrine liegen ihre ersten Skizzenbücher von Reisen als Sechzehnjähriger mit ihrer Familie durch Frankreich, Deutschland, Luxemburg, die Schweiz, aber auch an die belgische Küste.
Anna Boch stammte aus der Keramikdynastie Villeroy und Boch, die einst ihr Großvater mitgegründet hatte. Ihr Vater Victor Boch hatte 1844 das Zweigwerk im belgischen La Louvrière aufgebaut, wo die Familie in einer schlossähnlichen Villa wohnte. Der Vater erkannte früh Annas Talent. Sie bekam eine umfassende private Ausbildung in Literatur, Musik und Kunst. Mit 22 Jahren veröffentlichte sie Reisebücher mit ihren Lithografien.

© Lucien Arkas Collection. Foto: Hadiye Cangokce.
Entscheidend für Annas Weg als Malerin war der Privatunterricht bei Euphrosine Beernaert, einer bekannten belgischen Landschaftsmalerin. Mit dem belgischen Maler Isidore Verheyden verband sie eine tiefe Freundschaft. Sie besuchte 1874 sein Atelier und begeisterte sich für dessen Plein-Air-Malerei. Gemeinsam zogen sie ins Gelände und malten im Freien. Darin unterscheidet sich Boch von den wenigen bekannten impressionistischen Frauen wie Berthe Morisot und Mary Cassatt, die im Wesentlichen häusliche Szenen und Stillleben malten.
Kunstkritiker hatten Boch zu Lebzeiten ein Schülerin-Lehrmeister-Verhältnis zu Verheyden angedichtet, doch er und Boch malten auf Augenhöhe, wenngleich sie sich von ihm inspirieren ließ. Sie porträtierten sich gegenseitig. Sie kaufte Werke von ihm und malte dann in seinem Stil, emanzipierte sich aber rasch und entwickelte eine eigene Handschrift.
Anna Bochs Palette war anfangs dunkel so wie die Verheydens, aber sie hellte sich bald auf, wie auf ihrem Gemälde „Im Juni“ von 1894 zu sehen ist. Eine Dame im weißen Kleid unter einem weißen Schirm betrachtet gedankenverloren Blumen, ein wunderbares Porträt einer Dame der Oberschicht, das das Mu.ZEE auch als Plakat ausgewählt hat und das ihr Können zeigt, aber nicht eigentlich typisch für Anna Boch ist.
Sie fühlte sich zum Landleben hingezogen, malte einfache Bauern, Bäuerinnen und Fischer bei der Arbeit, Schafhirten im gleißenden Sommerlicht. Ihre Thematik verrät eine soziale Ader, ganz im Gegensatz zu Morisot und Cassatt, die auch thematisch ihrer Gesellschaftsschicht verbunden blieben.
Anna Boch, die Vingtistin und Frauenrechtlerin
Über Verheyden kam sie in Kontakt mit der Brüsseler Kunstszene und über ihren Cousin Octave Maus, Redakteur bei „L’Art moderne“, lernte sie bald Theo van Rysselberghe, Fernand Khnopff, Constantin Meunier und James Ensor kennen, um nur einige zu nennen. Maus war Sekretär der avantgardistischen Künstlergruppe „Les XX“ (die Zwanzig), die 1883 gegründet wurde. Zwei Jahre später wurde sie mit Félicien Rops, dem „enfant terrible“ der belgischen Kunst, bei „Les Vingts“ oder auch „Les XX“ als einzige Frau aufgenommen.

© Privatsammlung, Binche. Foto: Vincent Everarts
„Vingtisten“ war in Belgien ein Schimpfwort wie Impressionisten, doch zu der Gruppe gehörten die bedeutendsten Maler ihrer Zeit. Boch hatte ein sicheres Gespür für die Qualität von Arbeiten anderer Künstler. Als einzige hatte sie zu Lebzeiten van Goghs ein Werk von ihm erworben und kurz nach dessen Tod ein weiteres. Über ihren malenden jüngeren Bruder Eugène Boch war sie in Kontakt mit ihm gekommen. Sie sammelte auch Georges Seurat, Paul Signac, Émile Bernard und Paul Gauguin, von denen auch Werke in Oostende zu sehen sind.
Anna Boch ließ sich von Signacs Pointillismus inspirieren, entwickelte ihn aber bald eigenständig fort, setzte eher Kommata als Punkte und war so im Ausdruck spontaner und freier. Nach „Les XX“ trat Anna Boch der Vereinigung „La Libre Esthétique“ bei, aber auch der Frauenrechtsvereinigung „La ligue belge du droit des femmes“.
Die Ausstellung im Mu.ZEE würdigt neben der Malerin auch die Sammlerin, die Mäzenin und die Musikerin Anna Boch. Mit ihren berühmten Hauskonzerten förderte junge Musiker. Sie reiste oft in die Bretagne und ins niederländische Zeeland nach Veere, für sie die „Bretagne der Niederlande“. Auch hier ging sie mit der Zeit. Sie kaufte sich ein Auto und ließ sich chauffieren, lernte Radfahren und fuhr gerne mit der Eisenbahn.
Anna Boch war ein rastloser, neugieriger Mensch, der bis ins hohe Alter malte – und verkaufte. Sie starb 1936 mit 88 Jahren in Brüssel.
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