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Kollegen, Freunde, Feinde: Andrew Garfield und Julia Roberts in „After the Hunt“.

© Sony

MeToo-Thriller „After the Hunt“: Julia Roberts zwischen den Kulturkampf-Fronten

Cancel Culture, Identitätspolitik, MeToo: Luca Guadagnino stürzt sich mit „After the Hunt“ mitten in aktuelle Debatten – doch hat leider erstaunlich wenig beizutragen.

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Hegel hatte seinen „kleinen Hegel“ nicht unter Kontrolle und Freud war sowieso misogyn. Das sind die Small-Talk-Themen der Intellektuellen, die sich zur Soirée im schicken Wohnzimmer der Philosophie-Professorin Alma (Julia Roberts) zusammengefunden haben. Der Wein fließt in Strömen, während Almas Freund und Kollege Hank (Andrew Garfield) sich über „diesen oberflächlichen kulturellen Moment“ aufregt.  

„Eure ganze Generation hat Angst davor, etwas Falsches zu sagen“, beschuldigt er Almas Lieblingsstudentin Maggie (Ayo Edebiri), unfreiwillige Repräsentantin der Gen Z. „Seit wann ist jemanden zu beleidigen eine Todsünde?“ Ein anderer Student ist sich sicher: Wenn zwischen Alma und Hank entscheidet werden soll, wer die begehrte Professur auf Lebenszeit an der Yale-Universität bekommen wird, dann hat Hank schlechte Karten. Der „heterosexuelle, weiße, cis Mann“ sei schließlich ein Feindbild, auf das sich derzeit alle einigen könnten.

Wer ist privilegierter?

Wir sind direkt mittendrin in den Themen, um die es in Luca Guadagninos pseudo-provokativem Thriller „After the Hunt“ geht: Cancel Culture, Identitätspolitik – und MeToo. Nach der Party begleitet ein sichtlich betrunkener Hank Maggie nach Hause. Die erzählt Alma tags darauf, dass es zu einem sexuellen Übergriff gekommen sei. Hank wiederum schwört, dass Maggie die Vorwürfe erfunden habe, weil er sie auf angebliche Plagiate in ihrer Doktorarbeit angesprochen habe.

Eine Getriebene: Julia Roberts als Alma in „After the Hunt“.

© Sony

Alma muss sich entscheiden, wem sie glaubt – und was sie nach außen hin darstellt. Letzteres ist wichtiger, denn, und das scheint eine zentrale Botschaft von Guadagninos Film zu sein: In der Welt der Elite-Universitäten ist sich jeder selbst der Nächste und Alma möchte auf keinen Fall ihre Chancen auf die Professur auf Lebenszeit schmälern.

Was in der Nacht wirklich passiert ist, ist letztlich egal – Alma und scheinbar auch dem Regisseur und der Drehbuch-Schreiberin Nora Garrett.

Erstaunlich viele Themen werden mit erstaunlich wenig Erkenntnisgewinn angeschnitten. Verschiedene Diskriminierungsformen etwa, denn Maggie ist schwarz und lesbisch, aber auch sehr wohlhabend – ihre Eltern sind Großspender für die Yale-Universität. Hank hingegen ist zwar der besagte weiße, heterosexuelle cis Mann, hat sich aber aus eigener Kraft nach oben gekämpft.

Wer ist nun privilegierter? Eine spannende Frage, auf die der Film keine Antwort gibt, auch weil Maggies Charakter undefiniert bleibt.

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Auch um Generationenkonflikte im Feminismus geht es. Frauen wie Alma und ihre Freundin, die Psychologin und Studierendenbeauftragte (Chloë Sevigny), haben sich in einer misogynen Welt behauptet, alles hinuntergeschluckt und wenig Verständnis für ihre verwöhnten Studierenden, die sich ständig beschweren. „Nicht alles dreht sich um dein Wohlgefühl“, schleudert Alma Maggie in einer Schlüsselszene entgegen.

Um ihr eigenes Wohlgefühl kümmert sich Alma herzlich wenig. Besessen von der Festanstellung trinkt sie zu viel, schluckt Pillen und ist geplagt von Magengeschwüren, die sie sich vor Schmerz krümmen und übergeben lassen. Ein arg konstruiert wirkendes Ereignis aus ihrer Vergangenheit holt sie nun, da sie sich inmitten eines MeToo-Skandals befindet, ein.

Maggie mit ihrer Mentorin: Ayo Edebiri und Julia Roberts in „After the Hunt“.

© Sony

Julia Roberts ist stark als Protagonistin, so überspannt, dass es sie jederzeit zerreißen kann. Auch Michael Stuhlberg als der ihr scheinbar treu ergebene, aber sie stets genau analysierende Ehemann Frederik überzeugt. Doch die schauspielerischen Leistungen können diesen Film nicht retten, der außerdem schwer mit dem bisherigen Werk Guadagninos in Einklang zu bringen ist.

Dystopisches Bild der Elite-Unis

Der italienische Regisseur hat viele großartige, sinnliche Filme über Begehren gedreht, von „Call Me by Your Name“ über „Bones and All“, „Challengers“ und „Queer“. Da rinnt der klebrige Fruchtsaft über die Finger, der Schweiß tropft auf die Kamera, das Blut quillt im Namen der Erotik.

Alma (Julia Roberts) in ihrem Seminarraum.

© Sony

Im Gegensatz dazu wirkt „After the Hunt“ geradezu anämisch. Das Einzige, was hier aus jeder Szene trieft, ist Guadagninos offenbare Verachtung der Welt der Academia: Das Licht ist kalt, die Ethik-Lehrenden moralisch verdorben, der Yale-Dekan gibt offen zu, ihm gehe es um Optik, nicht um Substanz. Und Veranstaltungen tragen Titel wie „Die Zukunft des Jihadismus ist weiblich“ – ein Bild der Elite-Universitäten, wie es vom Trump-Lager nicht dystopischer gezeichnet werden könnte.

Dazu kommen allerlei bedeutungsschwangere Details und wiederkehrende Motive: eine laut tickende Uhr, wie bei einer Zeitbombe, oder ein ständiger Fokus auf Hände, die Kameramann Malik Hassan Sayeed in Nahaufnahme zeigt. Immer wieder sehen wir, wie Frederik Alma zwei Kapseln auf den Nachtschrank neben ihr Buch legt, die „Buddenbrooks“ von Thomas Mann, natürlich im deutschen Original. Man könnte diese Inszenierung, bis hin zum atonalen Soundtrack von Trent Reznor und Atticus Ross, wohlwollend als Meta-Kunst interpretieren. So prätentiös wie der Elfenbeinturm, den Guadagnino in seinem Film darstellen will.

„After the Hunt“ bleibt so sehr in Ambivalenzen verwoben, dass das Provokanteste an dem Film der Vorspann ist: Von der Schriftart bis zu den Schauspielern in alphabetischer Reihenfolge erinnert er an die Opening Credits von Woody Allens Filmen – einem Regisseur, der bisher trotz im Raum stehender Vorwürfe nicht gecancelt wurde. Ein Troll-Move, der dann so gar nicht dem Ton des darauffolgenden Films entspricht. Der hat über diesen „kulturellen Moment“ leider nichts von Substanz beizutragen.

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