
© Across Nations/Camille Moltzen
„Mit der Faust in die Welt schlagen“ im Kino: Irgendwie muss die Wut ja raus
In ihrem Regiedebüt „Mit der Faust in die Welt schlagen“ zeichnet Constanze Klaue ein unversöhnliches Portrait vom Aufwachsen zweier Brüder in der sächsischen Provinz.
Stand:
Eine Lehrerin zu Schuljahresbeginn vor der neuen fünften Klasse. Wenzer ihr Name, mit „e“. Als sie das „e“ an der Tafel unterstreichen will, bricht die Kreide ab, sie bückt sich, legt den Finger auf den Mund, als ein Lacher ertönt. Dann zieht sie aus ihrer Tasche eine Handpuppe, eine Katze namens Mimi.
Die Handpuppe wird, mit verstellter Stimme, Teil des Kennenlerngesprächs mit einem Schüler, in dem es um familiäre Verhältnisse geht, und das nicht leicht zu ertragen ist. Denn Mimi entpuppt sich nicht als toller pädagogischer Trick, sondern als verzagtes Medium prekär gewordener Autorität. Am Ende wird sich die Gewalt gegen die liegengebliebene Handpuppe richten.
Empfohlener redaktioneller Inhalt
An dieser Stelle finden Sie einen von unseren Redakteuren ausgewählten, externen Inhalt, der den Artikel für Sie mit zusätzlichen Informationen anreichert. Sie können sich hier den externen Inhalt mit einem Klick anzeigen lassen oder wieder ausblenden.
Ich bin damit einverstanden, dass mir der externe Inhalt angezeigt wird. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr Informationen dazu erhalten Sie in den Datenschutz-Einstellungen. Diese finden Sie ganz unten auf unserer Seite im Footer, sodass Sie Ihre Einstellungen jederzeit verwalten oder widerrufen können.
Die Sequenz ist ein Beispiel dafür, was an Constanze Klaues Kinodebüt „Mit der Faust in die Welt schlagen“ brillant ist. Die Verfilmung von Lukas Rietzschels gleichnamigem Roman von 2018 spielt zu Beginn der Nullerjahre, um am Ende ins Jahr 2015 zu springen.
Aufwachsen in der sächsischen Provinz
Sie handelt vom Aufwachsen in der sächsischen Provinz Jahre nach der Euphorie von 1989/90, vom Leben in einer Art Katerzustand, den manche mit Alkohol betäuben, andere mit Gewalt. Im Mittelpunkt stehen die Brüder Zschornack, Tobias ist der in der fünften Klasse, Philipp, der ältere, auf derselben Oberschule. Das Gymnasium ist woanders, die Arzttochter, mit der Tobias sich gut versteht, nur deshalb nicht da, weil die Busverbindung dorthin noch nicht eingerichtet ist.
Regisseurin Klaue inszeniert mit ungerührtem Blick, der die von Steffi Kühnert gespielte Lehrerin nicht auffängt, aber auch nicht verrät. „Mit der Faust in die Welt schlagen“ hält viel aus in seinem Gestus der Unmittelbarkeit (Kamera: Florian Brückner) und mutet dem Publikum damit einiges zu.
Die Lehrerin ist ein Beispiel für den Verlust von Autorität nach dem Ende der DDR. Sie beherrscht noch ein paar alte Gesten, so wie in den Kinderkörpern mit akkurat verschränkten Armen ein Rest der Disziplin steckt, die das repressive Regime früher verordnen konnte. Das Vakuum an Stabilität und Orientierung füllen nun andere. Neonazis.
„Mit der Faust in die Welt schlagen ist“ ein präzises Gesellschaftsportrait, gerade weil nicht alles erklärt werden soll; fast auch das bessere Andreas-Dresen-Kino, weil nichts versöhnt werden muss. Das Szenenbild von Uli Friedrichs und Michael Schindlmeier und Sophie Friedrichs’ Kostüm setzen die Nullerjahre unaufdringlich, aber treffend ins Bild, die Musik von PC Nackt hackt manchmal nur auf zwei Tönen rum wie auf verzweifelter Suche nach Harmonie und Takt, die hier nicht sind.
Der Busfahrer macht Judenwitze
Der Film erzählt elliptisch und geschickt nebenher – das vordergründige Mimi-Theater fördert etwa zutage, dass die Mutter des Jungen als Arbeitsmigrantin in Stuttgart lebt. Der Schulbusfahrer macht Judenwitze, an denen sich niemand stört.
Beim Kaffeetrinken mit den Nachbarn geht es um Menorca und Mallorca, was Opa (Hilmar Eichhorn) schlecht versteht, und Oma (Swetlana Schönfelder) erklärt, dass für die Zschornacks der Urlaub ausfallen muss, solange das Einfamilienhaus nicht fertig wird.

© Across Nations Filmverleih
Die Größe solcher, im ersten Moment banal wirkender Szenen verdankt sich auch dem durchweg überzeugenden Spiel. Anja Schneider stattet die Zschornack-Mutter Sabine mit einem gut dosierten Überschuss an Wollen und Kümmern aus, der lange nicht raus darf in der Ehe mit Stefan, den Christian Näthe am Rand von Scheitern und Versagen entlang balanciert, ohne der Figur ihre Würde zu nehmen. Beeindruckend sind die Kinderdarsteller der Brüder – Camille Moltzens staunend-checkender, sensibel scheinender Tobias und Anton Frankes von den „Großen“, die hier Neonazis sind, faszinierter Philipp mit dem nasalen, unfertigen Ton eines Teenagers.
Auf diese Weise gelingt „Mit der Faust in die Welt schlagen“ eine differenzierte Beschreibung des Lebens im „Osten“, das häufig hinter medialen Klischees verschwindet. Und die nur deshalb ein wenig an Wirkung verliert, weil es sich um eine Vorgeschichte zu heute handelt. Zu sehen, wo die Neonazis herkamen, hilft einem auch nicht weiter angesichts der gesellschaftlichen Rechtsdrift.
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid: