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Der alte Mann und das Meer. Der Regisseur Hark Bohm auf dem Fähranleger Teufelsbrück in Hamburg.

© dpa/Ulrich Perrey

Nachruf auf den Regisseur und Schauspieler Hark Bohm: Die Freiheit mit der Kamera einfangen

Der Regisseur Hark Bohm war das sozialdemokratische, gute Gewissen des deutschen Films. Seine Lebensgeschichte „Amrum“ ist gerade noch im Kino zu sehen. Nun ist er mit 86 Jahren gestorben.

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Als Hark Bohm das letzte Mal vor der Kamera stand, war bereits klar, dass hier Bilder für die Ewigkeit entstehen. Am Strand von Amrum filmte Fatih Akin vor zwei Jahren seinen Mentor, ohne genau zu wissen, was er mit den Aufnahmen später anstellen würde. Hark Bohm war zu diesem Zeitpunkt gesundheitlich schon stark angeschlagen, und Akin war klar, dass es vielleicht die letzte Chance sein würde, ihn noch einmal am Ort seiner Kindheit zu filmen.

Diese Rückkehr erwies sich rückblickend als mehr als nur ein symbolischer Akt. In der Schlusseinstellung von „Amrum“, basierend auf den Kindheitserinnerungen des Regisseurs, steht der 84-jährige Hark Bohm noch einmal vor der Brandung der Nordseeinsel und blickt ernst in die Kamera. Ein Zeitzeuge deutscher Geschichte, auch deutscher Kinogeschichte.

Das, was wir im Kino sehen und erleben, ist einfach Ausdruck des Zeitgeistes.

Nun sind diese letzten Bilder sein Vermächtnis, gefilmt von seinem Freund Fatih Akin. Am Freitag ist einer der profiliertesten Vertreter des Neuen Deutschen Films im Alter von 86 Jahren in Hamburg gestorben.

Dieser Weg war keineswegs vorgezeichnet. Der Vater war Jurist, also schlug der 1939 in Hamburg geborenen Hark zunächst ebenfalls diese Laufbahn ein und absolvierte sogar das erste Staatsexamen. Sein jüngerer Bruder Marquard, der im Münchner Szenebezirk Schwabing zu diesem Zeitpunkt schon mit den jungen Wilden Rudolf Thome, Klaus Lemke und Rainer Werner Fassbinder um die Häuser zog, überzeugte ihn jedoch davon, es eher mit dem Film zu versuchen. Ende der 1960er brach Hark sein Referendariat ab.

Die Bohm-Brüder machten Schwabing unsicher

Die Brüder mit den markanten Gesichtern – Marquard und seine Boxer-Visage, die er auch in den Filmen seines Bruders hinhielt, Hark und seine strenge hanseatische Physiognomie – waren die neue Attraktion von Schwabing. Mit Fassbinder drehte Bohm noch bis zu dessen Tod, unter anderem „Händler der vier Jahreszeiten“, „Angst essen Seele auf“ und „Lili Marleen“; mit Alexander Kluge „Willi Tobler und der Untergang der 6. Flotte“ und „Der starke Ferdinand“. Bohm bekam wegen seines Äußeren gerne mal die autoritären Figuren ab.

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Seine kurze juristische Karriere war auch ausschlaggebend dafür, dass er 1971 den Filmverlag der Autoren mitgründete, als künstlerische Gegenposition im deutschen Kino. Lange hielt es Bohm aber nicht in München, die Geschichten von Aufbruch und Freiheit zogen ihn zurück in den Norden – an die Seeluft. Und so entwickelte sich Hamburg, nicht zuletzt dank Hark Bohm, zum – neben Hamburg und München – dritten Zentrum des Neuen Deutschen Films.

Am Spiel mit filmischen Genres wie viele seiner Kollegen war er allerdings weniger interessiert. Bohm strebte wie sein Hamburger Kollege Roland Klick einen neuen sozialen Realismus an, der in den 1970er Jahren unter den ambitionierteren deutschen Filmemachern eher verpönt war.

Im sozialdemokratischen Klima der 1970er Jahre hatte er mit dieser Mischung aus Sozialkritik und Freiheitsethos aber durchaus Erfolg. Wohl auch im Rückblick auf seine eigene Kindheit auf Amrum, mit einem strengen, von der Nazi-Ideologie verblendeten Vater, schuf Hark Bohm eine Reihe von für ihre Zeit wegweisenden Coming-of-Age-Filmen, die die Entfremdung der Kinder von ihren Eltern thematisieren.

„Nordsee ist Mordsee“ (1976) wurde, nicht nur wegen der Musik des jungen Udo Lindenberg, schnell zu einem Kultfilm – und einem der schönsten Filme über Hamburg. Ohne pädagogischen Gestus erzählt er die Geschichte von zwei Außenseitern, die nach diversen gescheiterten Fluchtversuchen mit einem geklauten Segelboot zu ungewissen Abenteuern aufbrechen.

Die Hauptrollen spielten die beiden Elfjährigen Uwe Enkelmann und Dschingis Bowakow, der Sohn seiner späteren Frau Natalia Bowakow. Der Alltag der Kinder im Arbeiterviertel Wilhelmsburg wird ungeschönt gezeigt, ungewohnt für damalige Verhältnisse. Sie klauen und ritzen sich mit Stiften Tattoos in die Haut.

Eine produktive Partnerschaft mit Fatih Akin

Der junge, wohlstandsverwahrloste Protagonist in „Moritz, lieber Moritz“ (1978) schließt sich einer Rockband an, statt mit seinen Eltern in einem Hamburger Villenviertel zu leben. Mit Enkelmann und Bowakow drehte Bohm zwei Jahre später „Im Herzen des Hurrican“, da hatte er Uwe bereits adoptiert. Der damals 26-Jährige spielte 1988 auch die Hauptrolle in dem Drama „Yasemine“ um eine junge Deutschtürkin in Hamburg-Altona, die sich in einen Studenten verliebt.

Fatih Akin und sein Freund und Mentor Hark Bohm 2018 bei der Verleihung des Deutschen Filmpreises.

© dpa/Gregor Fischer

Dieser Film war es, der Faith Akin inspirierte, ebenfalls Regisseur zu werden. „Der Film hatte türkische Figuren. Da wusste ich: Ich muss gar nicht nach Hollywood, ich kann hier Filme machen“, erzählt er kürzlich in einem Interview. Akin studierte in dem von Bohm 1993 gegründeten Studiengang an der Universität Hamburg (heute Hamburg Media School) und freundete sich mit seinem Mentor an: eine der produktivsten Partnerschaft im jüngeren deutschen Kino.    

2018 wurde Hark Bohm beim Deutschen Filmpreis doppelt ausgezeichnet: für sein Drehbuch für Akins NSU-Drama „Aus dem Nichts“ und für sein Lebenswerk. In seiner Dankesrede kritisierte Bohm den deutschen Film für seine unpolitische Haltung. Er klang fatalistisch: „Das, was wir im Kino sehen und erleben, ist einfach Ausdruck des Zeitgeistes.“

Mit „Amrum“ – ein „Hark Bohm Film von Fatih Akin“, wie es in den Credits heißt – hat Bohm, auch wenn er den Film am Ende nicht mehr selbst drehen konnte, gezeigt, dass im Privaten immer noch eine politische Dimension steckt. Es ist ein Film gegen das Schweigen und eine Aufforderung, die Freiheit immer zu verteidigen – notfalls auch gegen die Eltern. Prägnante Schlussworte für ein bedeutendes Werk.

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