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Zweitkarriere als DJ. Jean-Marc Vallée nahm seinen Darstellerinnen und Darstellern Mixtapes auf, um sie auf ihre Rollen einzustimmen.

© Warren Toda/dpa

Nachruf auf den Regisseur Jean-Marc Vallée: Kino ohne Eitelkeiten

Er machte seine Stars besser. Jean-Marc Vallée, der Regisseur von „Der große Trip – Wild“ und „Dallas Buyers Club“, ist mit 58 Jahren gestorben.

Von Andreas Busche

Reese Witherspoon mit Riesenrucksack, ungewaschen und in schweren Wanderstiefeln auf einem Berggipfel: Das war eines der Kinobilder 2014. Das Abenteuer- und Selbstfindungsdrama „Der große Trip – Wild“ bedeutete auch für die amerikanische Schauspielerin eine einschneidende Erfahrung. Die Oscar-Preisträgerin war Anfang der zehner Jahre zunehmend frustriert von den Rollenangeboten aus Hollywood; sie gründete eine Produktionsfirma, um sich künftig ihre Rollen selbst zu schaffen.

Der kanadische Regisseur Jean-Marc Vallée wurde Witherspoons kreativer Partner, unter seiner Regie erhielt sie 2015 ihre zweite Oscar-Nominierung. Der Preis ging letztlich an Julianne Moore, aber Witherspoon wurde mit „Wild“ eine der einflussreichsten Schauspielerinnen in der Filmindustrie.

Die Zusammenarbeit mit Witherspoon ist ein gutes Beispiel, warum Jean-Marc Vallée, der am 25. Dezember im Alter von 58 Jahren in Quebec starb, unter Hollywoods Stars solch ein hohes Ansehen genoss. Als Regisseur waren ihm Eitelkeiten fremd. Er sagte über sich selbst, dass er seinen Filmen keinen Stil aufdrücken wollte, dass er sich immer mehr als Erzähler denn als Filmemacher verstehe. Seine Darstellerinnen und Darsteller sollten im Mittelpunkt seiner Geschichten stehen.

Die dankten es ihm mit herausragenden Performances. In seiner ersten großen Studio-Produktion „Dallas Buyers Club“ (2013) über die Anfänge der Aidskrise in den achtziger Jahren gewannen Matthew McConaughey und Jared Leto beide Oscars für die beste Haupt- und Nebenrolle. Im folgenden Jahr erhielten seine beiden Darstellerinnen Reese Witherspoon und Laura Dern Nominierungen für „Wild“.

Naturalismus mit Handkamera und Naturlicht

Vallées Still ist nicht auf den ersten Blick als solcher erkenntlich, aber gerade der Naturfilm über eine 1800-Kilometer-Wanderung entlang des Pacific Crest Trails betont die Qualitäten seiner langjährigen Zusammenarbeit mit dem Kameramann Yves Bélanger. Der Kanadier arbeitet bevorzugt mit Handkamera und Naturlicht, dieser Naturalismus gibt den Darsteller:innen ungewohnte Freiheiten. Über seine Arbeitsweise sagte Vallée einmal: „Wenn du Handkameras benutzt und dein Kameramann den Mut hat, ohne Licht zu drehen, wird das Set ein kreativer Raum, in dem sich deine Darsteller uneingeschränkt bewegen können.“ Der Regisseur bevorzugte kleine Crews, seinen Darsteller:innen nahm er Kassetten mit Songs auf, die zu ihren Rollen passten.

Musik war schon in seinem Debütfilm „C.R.A.Z.Y. – Verrücktes Leben“ (2006) über das Coming-of-Age von fünf Brüdern in den siebziger Jahren ein wichtiges erzählerisches Mittel: Der Soundtrack fungierte selbst wie eine Art Mixtape – um den zentralen Song „Crazy“ von der Countrysängerin Patsy Cline. Sein Vater war für die Musikauswahl bei einem Radiosender in Montreal verantwortlich, Glamrock und Punk prägten den jungen Vallée, der in seinen Zwanzigern die Filme von Wim Wenders entdeckte. Kurz darauf schmiss er sein Wirtschaftsstudium.

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Vallées selbsterklärter „Nicht-Stil“ prädestinierte ihn geradezu für das Serien-Format, in dem der Showrunner der Geschichte einen visuellen Look vorgibt, an den sich die Regisseur:innen zu halten haben. Mit Witherspoon arbeitete er in der Star-gespickten HBO-Serie „Big Little Lies“ (in weiteren Hauptrollen Nicole Kidman, Laura Dern und Alexander Skarsgård) erneut zusammen. Er führte bei allen sieben Episoden der ersten Staffel Regie; nach einem bis heute ungeklärten Eklat mit der Autorenfilmerin Andrea Arnold auch bei der kompletten zweiten Staffel. Zuletzt drehte er, erneut für HBO, die Miniserie „Sharp Objects“ mit Amy Adams als suizidgefährdete Journalistin, die in ihrer Heimatstadt einen Mord aufzuklären versucht.

Vallée verstand sich als Anwalt für Figuren mit einer dunklen Vergangenheit, wie er mal in einem Interview erzählte. Er wollte sie immer von ihrer menschlichen Seite zeigen. Sein Tod kommt für seine Familie und Hollywood überraschend. Jean-Marc Vallées Werk war noch lange nicht vollendet.

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