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After the Goldrush: Der amerikanische Folkmusiker Neil Young hat seinen Nachlass verkauft.

© Nils Meilvang/dpa

Neil Young verkauft Songrechte: Die Pandemie steigert den Wert von Popmusik

Der Handel mit Songrechten boomt. Musik wird dank Spotify billiger, aber die Verlage zahlen immer mehr.

Von Andreas Busche

Seit der Einführung der Compact Disc in den achtziger Jahren weiß die Musikindustrie, dass sie mit den Rechten ihrer Künstlerinnen und Künstler auf einem Schatz sitzt. Die Boxsets mit unveröffentlichten und neu abgemischten Aufnahmen, die jedes Jahr zu Weihnachten auf den Markt kommen, sind leicht verdientes Geld. Das ist gut in Zeiten, in denen Musik – dank Youtube, Spotify und Tidal – immer billiger zu werden scheint, so umfassend verfügbar die Songarchive heutzutage sind. Umso mehr überraschen die Zahlen, die in den vergangenen Monaten zu lesen waren.

Anfang Dezember erwarb die zum Medienkonzern Vivendi Universal gehörende Common Music Group für 300 Millionen Dollar die Rechte an Bob Dylans Gesamtwerk, insgesamt 600 Aufnahmen. Im Moment befindet sich auch der börsennotierte Hedgefonds Hipgnosis, benannt nach der Grafik-Agentur, die mit den Plattencovern für Pink Floyd berühmt wurde, auf großer Einkaufstour. Anfang der Woche wurde bekannt, dass der britische Musikverlag 50 Prozent der Songrechte von Neil Young erworben hat.

Der Folkrocker befindet sich damit in guter Gesellschaft. In den vergangenen zwei Jahren zahlte Merck Mercuriadis, der Hipgnosis 2018 mit dem Produzenten, Funkgitarrengott und Chic-Frontmann Nile Rodgers gegründet hat, umgerechnet 1,2 Milliarden Euro für die Rechte an 58 000 Liedern von Lindsey Buckingham, Blondie, den Hip-Hop-Produzenten RZA und Timbaland, Schnulzensänger Barry Manilow und, zweitjüngster Coup, der Produzentenlegende Jimmy Iovine (John Lennon, Patti Smith, Bruce Springsteen etc.).

Mit diesem Portfolio bestückt Hipgnosis derzeit die oberen Regionen der Spotify-Charts, genau gesagt: ein Drittel der ewigen Top 30. In diesem Jahr plant Mercuriadis eine weitere Milliarde zu investieren.

Muisikverlage zahlen 4 Milliarden Dollar

Das sind absurde Zahlen, bedenkt man, dass Michael Jackson 1985 für die Verlagsrechte an 251 Beatles-Songs, bis heute einer der meist verehrten – und wertvollsten – Schätze der Popmusik, noch die damals unvorstellbare Summe von 47,5 Millionen Dollar hinblätterte. Im vergangenen Jahr hat sich die Situation im Popgeschäft allerdings noch einmal drastisch verändert. Durch den pandemiebedingten Ausfall der Konzertbranche, an der die Großkünstler heute maßgeblich mitverdienen, hatten viele Stars massive Umsatzeinbußen zu verzeichnen. Dafür boomen die Streamingplattformen.

Auch darum gaben im vergangenen Jahr Musikverlage wie Hipgnosis, Common Music Group oder die 2006 gegründeten Primary Wave Music (Ray Charles, Bob Marley, Stevie Nicks, Burt Bacharach) über vier Milliarden Dollar für den Backkatalog von Popkünstlern aus. Für 2021 werden ähnliche Zahlen erwartet.

Ein anderer Grund ist, dass sich die Babyboomer des Pop langsam in einem Alter befinden, in dem sie nicht mehr auf die jährlichen Kleckerbeträge warten wollen, die über die Tantiemen aus Kino, Radio und Werbung eintröpfeln. Stattdessen streichen sie lieber ein Mal eine siebenstellige Summe ein – und wissen im Gegenzug ihren Nachlass in guten Händen.

Keine Folklieder für Burger

Musikmanager wie Merck Mercuriadis oder Larry Mestel, der Gründer von Prime Wave Music, genießen mit ihren langjährigen Verbindungen in die Industrie großen Respekt. Mercuriadis arbeitet seit 40 Jahren in der Musikbranche, unter anderen mit Beyoncé, Elton John und Guns’n’Roses. Das Vertrauen ist wichtig, denn Integrität ist heute in der Popmusik eine Währung.

Bereits vor über 30 Jahren sang Neil Young in „This Note’s for You“ die Zeilen: „Ain’t singing for Pepsi / Ain’t singing for Coke / I don’t sing for nobody / Makes me look like a joke.“ Mercuriadis zitierte bei der Bekanntgabe des Deals die Anekdote, dass in den siebziger Jahren eine Fastfoodkette Young viel Geld dafür zahlen wollte, seinen größten Hit „Heart of Gold“ in „Burger of Gold“ umzutiteln.

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Für solche Sperenzchen ist Mercuriadis zu sehr Fan. In seiner nach eigenen Angaben 100 000 Platten umfassenden Sammlung befinden sich Alben von den Beatles, The Clash und den Krautrockern Neu, eine so eklektische wie integre Playlist. Young, der im Norden von Kalifornien zurückzogen mit seiner Oldtimer-Sammlung auf einer Ranch lebt, gehört zu den letzten politischen Künstlern der Woodstock-Ära. Auch das ist ein Erbe, das umsichtig verwaltet werden will.

Goldrausch in der Musikindustrie

Und das Musikrechte-Monopoly, das in den vergangenen Monaten zu beobachten ist, hat laut Branchenkennern seinen Höhepunkt noch nicht erreicht. Seit der Gründung von Spotify vor sieben Jahren, als sich die Einnahmen der Musikbranche auf einem historischen Tief befanden, hat sich der Markt rasant verändert. Einige sprechen von einem regelrechten „Goldrausch“.

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Zu den Streaming-Evergreens gehört ausgerechnet Bon Jovis Karaoke-Klassiker „Livin’ on A Prayer“, der im zurückliegenden Jahr allein durch Streamingzahlen noch einmal in die Lockdown-Charts zurückkehrte. Nutznießer sind aber nicht nur die Poprentner, deren größte Hits der Sechziger, Siebziger und Achtziger weiterhin genauso verlässlich zu den Säulen der Mittelwellenradiosender gehören.

Nachschub für Streamingserien

Auch die Rechte von Teeniestars wie Shawn Mendes oder der Boygroup One Direction, deren Wertschöpfung sich erst am Anfang einer langen Verwertungskette befindet, werden hoch gehandelt. Ein Grund dafür ist, dass durch die Explosion von Fernseh- und Streamingserien, die oftmals historisch verortet sind, die Nachfrage nach Musik gestiegen ist.

In der vierten Staffel der Netflix-Show „The Crown“ zum Beispiel sind allein vier Songs aus dem Archiv von Hipgnosis zu hören. An jedem Bingewatching verdienen die Musiker mit. Und weil die unvorstellbare Spezialisierung der Pop-Geschmäcker ein expansives Nischenwissen hervorbringt (und die Lizenzen von Klassikern oft eh zu teuer sind), steigt plötzlich auch das Interesse an obskuren Songs – oder gar Wiederentdeckungen.

Von diesem Cross-Marketing profitieren vor allem natürlich die etablierten Acts. Larry Mestel will demnächst auch groß ins Filmgeschäft einsteigen, das Whitney-Houston-Biopic „I Wanna Dance with Somebody“ ist bereits für das nächste Jahr angekündigt. Die Musikrechte der tragischen Königin des R’n’B-Pop liegen praktischerweise bei Prime Wave Music.

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