
© Disney 2025
Neue Serie über Amanda Knox: Hexenjagd vor Traumkulisse
Sie wurde des Mordes an ihrer Mitbewohnerin beschuldigt und als „Engel mit den Eisaugen“ weltweit berühmt. Die Serie „The Twisted Tale of Amanda Knox“ will eine neue Geschichte erzählen.
Stand:
Eine Krähe knallt dumpf gegen das Fenster eines italienischen Gerichtsgebäudes, wo sich ein junger Richter bekreuzigt. Zeitgleich geht ein kleines Mädchen in London ihre ersten wackeligen Schritte, und auf einer Halloween-Party in den USA lernen sich ein Flapper und Billy the Kid kennen, die neun Monate später ein Kind kriegen: Amanda Knox.
Mit diesem Prolog beginnt die achtteilige Hulu-Serie „The Twisted Tale of Amanda Knox“, die in Deutschland auf Disney Plus zu sehen ist. Der verspielte Tonfall überrascht – die nette Erzählstimme, die Elemente des magischen Realismus, der Sepia-Filter, all das erinnert mehr an „Die fabelhafte Welt der Amélie“ als an ein True-Crime-Drama.
Lange lässt sich dieser gut gelaunte Märchen-Vibe natürlich nicht aufrechterhalten, immerhin geht es in dieser Serie um einen realen Mordfall. Am 1. November 2007 wurde die 21-jährige Meredith Kercher, Austauschstudentin aus Großbritannien, in ihrer Wohnung in Perugia ermordet.
Die Medien stürzten sich auf die junge Frau
Die italienische Staatsanwaltschaft beschuldigte Amanda Knox, die damals 20 Jahre alte Mitbewohnerin von Kercher, und ihren italienischen Freund Raffaele Sollecito, den Mord gemeinsam mit einer dritten Person begangen zu haben. Die Anklage, geleitet von Staatsanwalt Guiliano Mignini, sprach zunächst von einem „satanischen Ritus“ und „dämonischen Motiven“, eine Orgie soll außer Kontrolle geraten sein.

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Knox und Sollecito wurden 2009 wegen Mordes verurteilt und verbrachten Jahre in italienischen Gefängnissen. 2011 kam es zu einem ersten Freispruch des Berufungsgerichts, 2015 sprach der oberste Gerichtshof Italiens Knox und Sollecito endgültig frei, mit Verweis auf massive Ermittlungsfehler und Fehlverhalten der italienischen Polizei.
Deutlich schneller ging das Verfahren gegen Rudy Guede vonstatten, dem – wie damals geglaubt wurde – „drittem“ Täter, zu dem die DNA-Spuren am Tatort schnell führten, der den Mord gestanden hat und von 2008 bis 2021 eine Haftstrafe absaß.
An Kerchers oder Guedes Namen kann sich heute kaum jemand erinnern, Amanda Knox hingegen ist vielen im Gedächtnis geblieben. Medien aus der ganzen Welt hatten sich auf die junge Frau gestürzt, Knox ging als „Engel mit den Eisaugen“ oder „Foxy Knoxy“ in die Geschichte ein.
„The Twisted Tale of Amanda Knox“ ist damit auch Teil einer Reihe an fiktiven und dokumentarischen Serien, Podcasts und Filmen, die in den Neunziger und Nullerjahren von den Medien durch den Dreck gezogene Frauen rehabilitiert: Pamela Anderson, Britney Spears und Monica Lewinsky gehören dazu. Knox hat diese Frauen mal die „Schwesternschaft von zweifelhaftem Ruf“ genannt.
Monica Lewinsky arbeitete 2019 an der FX-Drama-Serie „American Crime Story: Impeachment“, die den Skandal um ihre Affäre mit Bill Clinton aus ihrer Sicht erzählte, und gehört jetzt auch zu den Produzentinnen der Serie über Amanda Knox, genauso wie Knox selbst, die am Drehbuch für die achte finale Episode der Serie mitschrieb.
Die beiden Frauen sind befreundet und inzwischen selbst „die Medien“. Sie haben Podcasts und schreiben Artikel, Amanda Knox unter anderem für „The Atlantic“.
In „The Twisted Tale of Amanda Knox“ geht es also nicht darum, einen Täter zu finden, sondern um die Aufarbeitung eines Justiz- und Medienskandals. Und das explizit aus der Sicht der Protagonistin – die Serie basiert auf Amanda Knox’ Autobiografie „Zeit, gehört zu werden“ von 2013.
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Trotzdem ist die Serie spannend wie ein Krimi und entwickelt einen Sog, insbesondere für alle, die sich nur noch dunkel an die Details erinnern und keine der zahlreichen Dokumentation, Bücher oder Podcasts über den Fall konsumiert haben.
Detailliert wird erzählt, wie Amanda Knox (Grace Van Patten) und Raffaele Sollecito (Giuseppe De Domenico) von Zeugen zu Beschuldigten werden, wie Knox das Verfahren und die Zeit im Gefängnis übersteht und schließlich, wie sie nach dem Freispruch versucht, in den USA ein neues Leben zu beginnen.
Nuancen in die einseitige Geschichte bringen
Intensiv sind vor allem die Verhörszenen, auf denen der Fall der Anklage basierte: Sollecito und Knox beschuldigten sich damals selbst, nach – wie es die Serie darstellt – stundenlanger Befragung, die an psychologische Folter grenzte. Sprache spielte eine wichtige Rolle, Amanda Knox verstand kaum, was sie auf Italienisch sagte, geschweige denn, was ihr gesagt wurde.
Und dann war da die kulturelle Komponente: Die Italiener, so wird es zumindest dargestellt, scheinen die junge Frau zu hassen für ihre sexuelle Freizügigkeit, für ihr scheinbar unsensibles Verhalten nach dem Tod ihrer Mitbewohnerin und allein dafür, dass sie US-Amerikanerin ist.

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Erklärtes Ziel von Knox und der Showrunnerin K.J. Steinberg war es, Nuancen in die damals notorisch einseitig erzählte Geschichte zu bringen. Das gelingt nur teilweise: Die italienischen Protagonisten beispielsweise kommen in der Serie nicht besonders gut weg. Die Polizisten und Polizistinnen sind eindimensionale Amerika-Hasser, der Gefängniswärter ist ein ekelhafter Sexist, das Justizsystem ohnehin eine Katastrophe.
Der Chefankläger Giuliano Mignini (Francesco Acquaroli) bleibt anfangs eine Karikatur, ein religiöser Moral-Fanatiker. Erst in der finalen Episode, die zeigt, wie Amanda Knox 2022 nach Italien zurückkehrte, um „ihren Staatsanwalt“ zu treffen, wird der Charakter menschlicher.
Auch geht es darum, wie die jahrelangen Prozesse Knox’ Familie traumatisiert haben, und wie es möglich sein kann, mit einem solchen Erlebnis abzuschließen. Spannende Aspekte, die mehr Raum verdient hätten.

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Doch hauptsächlich behandelt die Serie die Zeit des Verfahrens; Details, die Teile der Öffentlichkeit damals gegen Knox einstimmten, werden einfach abgehakt. Warum trug sie ein „All you need is Love”-T-Shirt im Gericht? Warum machte sie Sportübungen in der Polizeistation und küsste ihren Freund am Tatort?
Sie war jung und naiv, so viel ist klar. Aber wirklich tiefer lernt man die Protagonistin nicht kennen. Grace Van Patten, bekannt aus „Tell Me Lies“ gibt in der Hauptrolle ihr Bestes, sie spielt sowohl auf Englisch als auch auf Italienisch überzeugend, soweit es das Drehbuch eben hergibt.
Über allem schwebt die Moral
Steinberg ist bekannt für den Tearjerker „This Is Us – Das ist Leben“, und auch beim „Twisted Tale“ wird ordentlich auf die Tränendrüse gedrückt – was angesichts der tragischen realen Geschichte ohnehin nicht schwer ist.
Der Tonfall schwankt etwas unbeholfen zwischen dem „Amélie“-Style – zwischendurch tauchen einige surreale Elemente wie ein abgeschraubtes Ohr oder ein leuchtender Brief auf –, Melodram und Justizdrama.
Über allem schwebt, wie so oft bei True-Crime-Geschichten, die moralische Komponente. Knox und Sollecito hatten in der Tatnacht „Die fabelhafte Welt der Amélie“ auf dem Laptop geguckt, Knox‘ Lieblingsfilm, was den verspielten Tonfall des Prologs zumindest erklärt – er soll zeigen, wie unschuldig, naiv, verträumt Knox einst war. Ob das wirklich angebracht ist, bleibt zweifelhaft.
Giuliano Mignini, Meredith Kercher und Amanda Kox sind die drei Protagonisten dieses Prologs, um sie wird sich diese „verworrene Geschichte“ drehen, könnte man denken. Kercher (Rhianne Barreto) allerdings bleibt in den kommenden acht Episoden eine Randfigur, die nur ganz am Schluss noch mit einer Video-Collage bedacht wird.
Vielleicht auch, weil Kerchers Familie Knox und Sollecito für schuldig gehalten haben, oder weil ihre Schwester vergangenes Jahr dem „Guardian“ erzählte, es sei nach all dem Leid für sie und ihre Familie „schwer zu verstehen“, welchen Zweck diese neue Serie erfülle.
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