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Neuer Blick auf einen Bildhauer: Eduardo Chillida, der Architekt der Leere

Eduardo Chillida schuf die Skulptur am Kanzleramt. Sein Skulpturenpark im Baskenland soll wiedereröffnet werden. Auch Wiesbaden plant eine Ausstellung. Ein Besuch.

Der Weg vom mondänen Seebad San Sebastián ins Städtchen Hernani ist nicht weit, nur fünf Kilometer. Er führt über Autobahntrassen, vorbei an Schwerindustrie und wuchtigen Betonwerken vor den Toren der Provinzhauptstadt. Ein starker Kontrast. Der Abzweig zu Chillida-Leku, dem Skulpturenpark des berühmtesten baskischen Bildhauers am Rande Hernanis, kommt überraschend. Und Alexander Klar, der Direktor des Wiesbadener Museums, muss sich an der Gegensprechanlage erst einmal melden, damit sich für ihn das schwere Tor öffnet. Wiesbaden plant im Herbst eine große Ausstellung mit Werken des Vaters, letzte Absprachen sind zu treffen.

Seit acht Jahren ist das beliebteste Ausflugsziel für Kulturtouristen der Region geschlossen. Das Privatmuseum inmitten eines zwölf Hektar großen Anwesens, auf dem sich auf begrünten Hügeln und zwischen uralten Bäumen rund vierzig Werke Chillidas verteilen, lässt sich nur nach Voranmeldung besuchen. Luis Chillida, der Zweitjüngste von den acht Kindern des Bildhauers und Präsident der Familienstiftung, nimmt zusammen mit seinem Sohn Mikel die Gäste persönlich in Empfang.

Ein Ort der Stille

Wem sich die Tore öffnen – wenig später stapft eine deutsche Reisegruppe mit ihrem Guide vorbei –, der erlebt noch eine Überraschung. Es öffnet sich eine Idylle, ein Ort der Stille. Bevölkert wird er nur von den kontemplativen Stahlgiganten Eduardo Chillidas, deren rostige Rottöne mit dem satten Grün der Wiese kontrastieren. Ganz oben auf dem Hügel ragt meterhoch ein Stahlträger auf, der sich in der Höhe ausfranst zu vier Tentakeln, die wie Finger in die Luft greifen.

Es ist die eine Hälfte der vor dem Berliner Bundeskanzleramt stehenden Skulptur, die Kanzler Schröder dort im Jahr 2000 als Kunst am Bau platzieren ließ. In Berlin greifen gleichsam zwei Hände ineinander und können sich doch nicht fassen. Hier im Licht Nordspaniens, in der Nähe des Atlantiks in der freien Natur, sieht sie ganz anders aus. Hier wird das Werk wieder zum Windkamm, der sich den Elementen stellt und doch ein abstraktes Bild ist.

Seine "Berlin"-Skulptur war ein symbolstarkes Bild für die Hauptstadt

Luis Chillida erinnert sich noch gut, wie er mit seinem Vater nach Berlin gereist war, um die Aufstellung zu besprechen. Die Enttäuschung war groß, als der Bildhauer feststellen musste, dass sein Werk aus Sicherheitsgründen nicht von Besuchern umrundet werden darf, nicht angefasst werden kann, wie es für seine Skulpturen eigentlich unerlässlich ist. Das haptische Moment gehört dazu. Außerdem wurden die sechs Meter hohen Stahlträger um einen Zentimeter verschmälert, um das Gewicht zu reduzieren, zwei Tonnen immerhin.

Der Freude und dem Stolz des Künstlers über diesen Auftrag, das letzte große Werk vor seinem Tod zwei Jahre später, tat das keinen Abbruch. Mit „Berlin“, so der Name der Skulptur, hatte er ein symbolstarkes Bild für die neue Hauptstadt, das wiedervereinte Land geschaffen. Die universale Lesbarkeit seiner Kunst passte wie eine Chiffre.

Wer Chillida verstehen will, muss hierherkommen, sagt wiederum Ignacio Chillida, der älteste Sohn des Bildhauers, den Museumsdirektor Alexander Klar zur Vorbereitung seiner Ausstellung in San Sebastián trifft – am Ende der Promenade rund um die berühmte Bucht La Concha, die kurz vor den Felsen in einem kleinen Platz endet. Hier befand sich einst eine kleine Mole. Von fern ist das Meer schon zu hören, es faucht durch sieben runde Öffnungen im Boden, die Wellen klatschen laut gegen den Stein, Gischt schäumt über die Balustrade.

Er rang mit der adäquaten Kunstform

Ein paar Schritte weiter hinter der letzten Klippe taucht Chillidas berühmtestes Werk auf: die drei Windkämme, die ihre gebogenen Zinken in einen beständigen Sturm aus Wasser und Luft halten, Monumente eines Kampfes der Elemente. Zwei stehen auf Felsvorsprüngen im Meer, einer ist direkt in die Steilküste eingelassen. Als Kind habe sein Vater hier oft am Strand gesessen und mit den Kieseln gespielt, erzählt Ignacio Chillida, der als gelernter Buchdrucker dem Künstler zur Seite stand. Die Windkämme waren 1976 ein Geschenk an seine Heimatstadt. Er wollte ihr etwas von dem zurückgeben, womit er sich zeitlebens beschäftigte. Chillida hat immer darum gerungen: Was ist Raum? Was ist Körper? Wie verhält sich das Dazwischen?

„Architekt der Leere“ hat er sich selbst einmal genannt. Der einstige Architekturstudent haderte jedoch so sehr mit dem rechten Winkel, dass er das Studium wieder abbrach und Kunst zu studieren begann, später nach nach Paris ging. Als Chillida auch hier die ihm adäquate künstlerische Ausdrucksform nicht fand, Ton als Material zum Modellieren war dem robusten Basken schlicht zu matschig, kehrte er wieder zurück in die Heimat, wo er sich bei einem Schmied ausbilden ließ.

Der Bildhauer hatte da seinen Werkstoff endlich entdeckt und trat damit künstlerisch das Erbe der Stahlindustrie an, für die seine Heimat einst so berühmt war. Das dialektische Wechselspiel der Negativ- und Positivformen probte der Bildhauer später noch mit vielen weiteren Materialien, mit Terrakotta, Stein, Beton, Alabaster, in gezeichneter Form, gedruckt, als Relief aus Filz. Chillidas Handschrift, das Ineinandergreifen der abstrakten Formen, lässt sich in allen Varianten erkennen.

Ausstellung will Chillida-Mythen entkräften

„Architekt der Leere“ lautet auch der Titel von Alexander Klars Ausstellung in Wiesbaden. Der Museumsdirektor plant jedoch keine weitere Ode an den Künstler, der in der Bundesrepublik zu den beliebtesten Bildhauern gehört, gleichauf mit dem Briten Henry Moore, von dem schließlich der „Eyecatcher“ vor dem Bonner Bundeskanzleramt stammt, die Skulptur „Large Two Forms“. Der 50-jährige Museumsmann möchte den kritischen Blick einer jüngeren Kunsthistoriker-Generation auf Chillida werfen, an dem sich so mancher sattgesehen hat, will ihn nicht zuletzt der um ihn rankenden Mythen entkleiden.

Was steckte hinter Chillidas Liebe zur deutschen Literatur, zur Romantik, zu Heidegger? War sie ein Missverständnis, da in der Franco-Ära andere Schriften schlicht und ergreifend nicht zugänglich waren? Stattdessen will Klar den baskischen Bildhauer neu in der Land Art verorten. Wie ihm das weitab von den Aufstellungsorten der Großskulpturen – ob im Stadtraum oder der Natur – gelingen will, ist eine der Herausforderungen seiner Retrospektive. In Wiesbaden, der Partnerstadt von San Sebastián, gibt es bislang kein Werk Eduardo Chillidas im öffentlichen Raum.

Zukunft des Erbes ist offen

Im Zuge der Ausstellung könnte sich das ändern, denn sie entsteht in enger Zusammenarbeit mit dem Sohn Ignacio als Co-Kurator. Offen bleibt, wie viel die Familie bei den Verkäufen fortan zu sagen hat, wie es mit der Chillida-Leku weitergeht, dem Skulpturenpark des Vaters. Nachdem mit der Regionalregierung keine Einigung über eine Wiedereröffnung zu erzielen war, nahm die Familie das Angebot der Schweizer Galerie Hauser & Wirth an und überließ ihr den Nachlass. Immer mehr international agierende Galerien sichern sich auf diese Weise den Zugang zum Werk bedeutender Künstler des 20. Jahrhunderts.

In den Besitz von Hauser & Wirth ging auch der Landschaftsgarten mit dem 500 Jahre alten, entkernten Bauernhaus über, das eine Ausstellung des Werks von Chillida beherbergt. Schon ist zu hören, dass auch Stücke anderer Bildhauergrößen aufgestellt werden. Enkel Mikel, der seinem Vater als Stiftungspräsident folgen wird, winkt ab – nur am Rande des Geländes. Chillida-Leku bleibt, was der Name auf baskisch bedeutet: Chillidas Ort.

Chillida-Leku, Hernani, Voranmeldung: www.museochillidaleku.com. Kunstmuseum Wiesbaden, 16.11. – 10. 3.2019

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