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Farin Urlaub, Bela B und Rodrigo González sind Die Ärzte.

© Jörg Steinmetz

Neues Album „Dunkel“: Die Ärzte fordern Kreuze gegen Hakenkreuze

Laut, heftig und nur zwischendurch mal witzig: Die Ärzte bringen elf Monate nach dem Album „Hell“ nun „Dunkel“ heraus.

Popmusik war schon immer auch Verpackungskunst. Das fängt bei der Gestaltung von Albencovern und den Bühnenoutifts an, geht weiter mit Videoclips und hört bei Instagram- und TikTok-Posts lange nicht auf.

Die Digitalisierung hat die Möglichkeiten noch einmal exponentiell vervielfacht und auch demokratisiert. US-Star Lil Nas X führt das mit seiner multimedialen Verwandlung in eine hyperreale Schillergestalt derzeit in Vollendung vor.

Zerbrochene Beziehungen und Frauenmord

Das analog geprägte Gegenmodell verkörpert die Beste Band der Welt, auch bekannt als Die Ärzte aus Berlin. Das Trio, dessen Werk erst seit knapp drei Jahren auf Streamingportalen zu hören ist, hat keinen einzigen Social Media-Account, sondern lediglich eine Old-School-Website, auf der Neuigkeiten einfach übereinander gestapelt werden.

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Was aber nicht heißt, dass Die Ärzte keine Verpackungskünstler sind! Sie schnüren sogar sehr gerne Pakete für ihre Fans, aber eben eher mit Dingen, die man auch anfassen kann. Etwas sehr Schönes haben sie sich jetzt für ihr gerade erschienenes 14. Album „Dunkel“ überlegt: Der CD- und der Vinylversion, die beide im Schuber ausgeliefert werden, ist eine violett-lilafarbene Girlande beigelegt. Quasi als Dekovorschlag für die heimische Party – vielleicht auch als kleiner Trost für die Anfang der Woche abgesagte Herbsttournee.

Den größten Trost dürfe aber die Platte selbst spenden, die nur knapp elf Monate nach „Hell“ herauskommt und mit 19 Liedern sogar noch einen Titel mehr enthält als der Vorgänger. Man merkt schnell, dass der Name „Dunkel“ sich nicht nur auf das schwarze Albumcover bezieht, sondern auch Programm ist. Es geht thematisch finster und musikalisch relativ hart zu.

Der typische Ärzte-Humor tritt in den Hintergrund. Zwar eröffnet die Band die Platte mit dem kurzen Punkrockknaller „KFM“, in dem sie ihren „Soundtrack für die Bundesrepublik: Karnickelfickmusik“ besingt und ein lustiges Rage Against The Machine-Zitat einbaut.

Doch dann geht es gleich mit einem bitteren Lied über eine Beziehung weiter, die offenbar die Lockdowns nicht überlebt hat. Zu zügig heruntergeschrubbten E-Gitarrenakkorden bekennt Sänger Farin Urlaub in „Wissen“, dass er nicht wissen will, wie es der Partnerin geht und alle früheren Gefühle für sie vom Winde verweht sind.

Schlagzeuger Bela B, der bei acht Songs als Leadsänger zu hören ist und einmal im Duett mir Farin Urlaub, hat ebenfalls keine happy love songs beigesteuert. In dem von einer Achtziger- Jahre-Drummachine begleiteten „Schweigen“ singt er über einen Mann, der einfach nichts sagt, obwohl es schlecht um die Beziehung steht – bis das Herz schließlich austrocknet und zerbricht.

Auf das Konto des Mannes mit der Schwarz-weiß-Frisur geht zudem einer der inhaltlich heftigsten Songs, den die Die Ärzte in ihrer über 40-jährigen Karriere veröffentlicht haben – und da gab es inklusive Indizierung ja so einiges an kontroversem Material.

Doch einen Song aus der Sicht eines Frauenmörders hatten sie bisher nicht im Programm. „Einschlag“ heißt das Stück, in dessen ersten Zeilen bereits der tödliche Schlag ausgeführt wird und Bela B anschließend sinniert: „Warum hielt sie nicht einfach ihren Mund?“/ Ich hatte keine Chance gegen meine Wut/ Das war der Grund, war das der Grund?“ Natürlich geht es nicht darum, sich in den Frauenmörder einzufühlen, sondern darum, ihn bloßzustellen, auch in seiner egozentrischen Jämmlichkeit, wenn der Protagonist in der zweiten Songhälfte nach Hoffnung für sich sucht.

Was allerdings irritiert und das Lied schwächt, ist die zwar in Moll gehaltene, aber doch erstaunlich gut gelaunte Melodie der Leadgitarre, die einen erleichternden Rahmen um das blutige Bild legt. Oder soll sich darin der ignorante gesellschaftliche Umgang mit dem Thema Femizid spiegeln? Mit großem interpretatorischem Wohlwollen kann man das vielleicht so sehen.

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Um toxische Männlichkeit geht es immer wieder auf dem Album, das eine ganze Reihe von Typen beschreibt, die nichts hinbekommen, sich aber trotzdem nie in Frage stellen. Da kann es dann auch mal etwas leichter und lustiger werden, wie etwa bei dem von Farin Urlaub gesungenen „Anastasia“.

Es beschreibt den ersten Online-Dating-Versuch eines Volldeppen, der zu einem Treffen in einer Bar führt, aber nicht im Bett endet, sondern so: „Musstest du mir in die Eier treten?/ Ich wollte nur kurz deine Brüste kneten/ Und vor dem Altar deiner Jungfräulichkeit beten.“ Das ist Quatsch wie man ihn kennt von den Ärzten, die schon 1998 wussten: „Männer sind Schweine“. Allerdings bekommt das Lied durch seine Platzierung direkt hinter „Einschlag“ eine dunklere Einfärbung, denn auch der „Anastasia“-Clown ist eine Metapher für problematische Männlichkeitskonzepte.

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Die „Dunkel“-Songs sind größtenteils bereits während der Sessions für „Hell“ entstanden. In der Lockdown-Zeit steigerte sich die Band in einen Schaffensrausch hinein, hatte am Ende zwei Alben mit 18 Liedern zusammen.

Als Bela, Farin und Rod dann nach der „Hell“-Veröffentlichung coronabedingt nicht wie geplant auf Tour gehen konnten, nutzen sie die Zeit, um noch 14 weitere Songs zu schreiben. Acht davon fanden den Weg auf „Dunkel“, der Rest stammt aus der vorherigen Phase. Verglichen mit dem Vorgänger ist das solide Werk etwas weniger verspielt. Es gibt zwar hier mal Country- oder Ska-Elemente, dort mal einen Kinderchor oder eine Chanson-Parodie und mit einem feinen Gastbeitrag von Ebow sogar das allererste Rap-Feature der Bandgeschichte, doch geprägt ist das Album von schnellen, lauten Gitarren.

Die treiben auch das letzte Lied an, eine Ode an die Demokratie, die dem Bassisten Rodrigo González textlich zu simpel gestrickt ist, weshalb es „Our Bass Player Hates This Song“ heißt. Es gibt allerdings auch einige Gründe es in seiner Arschtritt-Rockigkeit zu lieben, etwa für Zeilen wie: „Immer nur zu meckern auf das blöde Scheiß-System, das ist schön bequem“. Und im Akustikgitarren-Finale schlägt Farin ganz sanft vor: „Wie wär’s mit wählen gehn?/ Dein Kreuz gegen Hakenkreuze/ Damit fängt es an.“ Simpel, aber wahr.

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