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Der Satiriker Jan Böhmermann.

© ZDF und © Ben Knabe

„Nie wieder!“ zur hohlen Phrase verkommen: Böhmermann kontert Elon Musk bei der „New York Times“

Der Satiriker erklärt in einem neunminütigen Video auf der Webseite der „New York Times“ die AfD und was „Vergangenheitsbewältigungsmeister“ sind. Er zieht auch Parallelen zu den USA.

Stand:

Jan Böhmermann warnt in einem Video auf der Webseite der amerikanischen „New York Times“ vor einem Erstarken rechtsradikaler Kräfte in Deutschland.

„Guten Tag aus Deutschland, dem Land, das laut Elon Musk, gerettet werden muss“, begrüßt der Satiriker das amerikanische Publikum auf Englisch mit breitem deutschen Akzent.

Die Deutschen hätten zwar „einen oder zwei Weltkriege verloren“, seien dadurch aber immerhin „Vergangenheitsbewältigungsmeister“ geworden. Was man dann doch als Sieg verbuchen könne.

In Deutschland zu leben hieße, ständig mit der eigenen Vergangenheit konfrontiert zu sein, in einem Land „voller Mahnmale“, falls man doch mal vergessen sollte, niemals zu vergessen.

Böhmermann referiert über die AfD

Dann stellt Böhmermann die AfD vor, erklärt, dass die Partei bei der kommenden Bundestagswahl voraussichtlich die zweitmeisten Stimmen bekommen wird. Und zeigt Björn Höcke, der 2017 eine „erinnerungspolitische Wende um 180 Grad forderte“.

Sollte die Welt sich Sorgen um ein großes deutsches faschistisches Comeback machen? Jawohl, aber hallo, und zwar so richtig.

Jan Böhmermann, Satiriker

Im Stil seiner ZDF-Sendung „ZDF Magazin Royale“ fährt Böhmermann mit Ironie und Witz-Einspielern fort: Das könne ein bisschen „hitleresque“ klingen. „Sollte die Welt sich Sorgen um ein großes deutsches faschistisches Comeback machen? Jawohl, aber hallo, und zwar so richtig.“

Zur Begründung referiert er kurz die Entwicklung der AfD seit der Parteigründung 2013, über Alexander Gaulands „Vogelschiss“-Entgleisung bis zu einem der Tiefpunkte von Alice Weidels Interview mit Elon Musk: „Der größte Erfolg nach dieser schrecklichen Ära“, hatte Weidel im Januar gegenüber Musk behauptet, „war es, Adolf Hitler als rechts und konservativ zu labeln. Er war genau das Gegenteil. Er war ein kommunistischer, sozialistischer Typ.“

Böhmermann erzählt von eigener Familiengeschichte

Das sei sie also, die 180-Grad-Wende, so Böhmermann, um den Amerikanern dann den nächsten wichtigen Begriff zu erklären, mit dem sich die deutsche Mentalität besser verstehen ließe: „Geschichtsvergessenheit“. Konkret: Die Fähigkeit, unsere Vergangenheit trotz all der Mahnmale zu verdrängen, weil alles andere einfach viel zu anstrengend sei.

Als Beispiel für die lange Tradition dieser Fähigkeit nennt er Konrad Adenauer und zeigt einen Interview-Ausschnitt, in dem der ehemalige Bundeskanzler 1966 erklärt, wieso er in seiner Amtszeit das Wiedergutmachungsabkommen mit Israel unterschrieben habe: „Die Macht der Juden, auch heute noch, insbesondere in Amerika, soll man nicht unterschätzen. Und daher habe ich meine ganz Kraft daran gesetzt, eine Versöhnung zwischen dem jüdischen und dem deutschen Volk herbeizuführen.“

Die Nazis seien in Deutschland derweil nie ganz verschwunden, erklärt der Satiriker am Beispiel des NSU.  

„Warum spielen wir Deutschen die kollektive Sympathie für die extremen Rechten dermaßen runter?“, fragt er und antwortet: „Zum Teil, weil es in Deutschland eine Diskrepanz zwischen dem kollektiven Erinnern und der persönlichen Schuld gibt.“

Man bekenne sich öffentlich zum „Nie wieder!“, behauptet Böhmermann, während man vor den Verbrechen in den eigenen Familien die Augen verschließe. Und erzählt dann von seinem eigenen Urgroßvater, der Koch bei der Waffen-SS gewesen sei.

Die Deutschen hätten so oft „Nie wieder!“ geschworen, dass es zu einer hohlen Phrase verkommen sei. Deshalb fühle sich Höckes Aufruf zur Umkehr nun ebenso hohl an. In diesem Raum könne die AfD weitgehend widerspruchslos agieren. Genau wie Elon Musk einen Hitlergruß zeigen und gleichzeitig behaupten könne, kein Nazi zu sein.  

Böhmermann schließt ironisch: „Die AfD ist nicht die neue Nazi-Partei. They just want to make Germany great again.“ (crei)

Korrektur: In einer früheren Version dieses Artikels wurde Adenauer mit den Worten zitiert: „Die Macht der Juden, auch heute noch, insbesondere in Amerika, soll man nicht überschätzen.“ Tatsächlich hatte Adenauer „unterschätzen“ gesagt. Wir bitten, den Fehler zu entschuldigen.

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