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 dBusiness Class. Gelichtete Sitzreihen im Parkett des Berliner Ensembles.

© dpa

Corona-Umbau am Berliner Ensemble: Nur Fliegen wäre schöner

Pärchensitze, Familienlogen, Doppelvorstellungen: Wie sich das Berliner Ensemble für seinen Corona-Spielplan umbaut.

Am Schiffbauerdamm landet man in der kommenden Spielzeit in der Business Class. Die ohnehin reparaturbedürftigen, durchgesesessenen Sitze werden herausgenommen, die Reihen lichten sich. Wo früher 700 Besucher dicht gedrängt Platz fanden, werden es ab September, wenn es denn wieder losgeht, nur noch 200 Zuschauer pro Vorstellung sein. Das Berliner Ensemble bereitet sich auf den Corona-Modus vor. Es könnte ein Beispiel für andere Bühnen sein.

Viel Beinfreiheit im Parkett, wie im Kino Pärchensitze (wenn man im gleichen Haushalt lebt) und Logen für Familien. Die umfangreichen Hygienevorkehrungen sehen vor, dass sich immer nur eine Person in der (im BE besonders engen) Toilette aufhält. Viele Stücke werden ohne Pause gespielt, und wenn Frank Castorf im November seinen „Fabian“ herausbringt – bei ihm dauert der Abend ja immer länger – sollen die Saaltüren offen bleiben und die Zuschauer sich auch mit Getränken frei bewegen können. Es sind auch Doppelvorstellungen geplant, um den Besucherschwund ein wenig aufzufangen. Immer vorausgesetzt, dass keine zweite Virus-Welle kommt.

Mehr Komfort, strenge Sicherheitsregeln. Und ein klares Bekenntnis, dass ein Theater auch unter widrigen Umständen spielen muss. Klingt eigentlich nicht schlecht. BE-Chef Oliver Reese treibt die Umbauten und das Umdenken mit Energie voran. Das Foto vom ausgeweideten Berliner Ensemble wurde weltweit beachtet. Was auf den ersten Blick wie ein trister Abgesang wirkt, ist tatsächlich das Bild einer neuen Zeit: ein ambivalentes.

Das BE eröffnet ein Hoftheater, das DT spielt auf dem Vorplatz

Das Corona-Virus vernichtet Öffentlichkeit. Das BE hat seit Ausbruch der Krise und dem Lockdown einen Einnahmeverlust von einer Million Euro zu beklagen. Die Belegschaft, 200 Mitarbeiter insgesamt, befindet sich in Kurzarbeit, nur wenige Stellen sind davon ausgenommen. Gleichzeitig entwickeln die Theaterleute Ideen, um wieder spielen und mit dem Publikum in Kontakt treten zu können. Ab 10. Juni eröffnet das BE sein Hoftheater, umsonst und draußen, doch man muss sich anmelden. Ensemblemitglieder spielen kleine Stücke, improvisieren, machen Musik. „Es ist ein Gruß aus der Küche“, sagt Oliver Reese, „nicht die ganze Speisekarte.“ Es ist ein Lebenszeichen und allemal besser als Streaming-Vorstellungen. Auch am Deutschen Theater wird an der frischen Luft gespielt. Vom 10. bis 16. Juni zeigt das DT auf dem Vorplatz „Die Pest“ nach Albert Camus.

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Die größte Herauforderung aber liegt im Spiel selbst. Während Bundesligaprofis sich wieder weggrätschen, gelten im Theater Abstandsregeln. Reese sieht darin kein unlösbares Problem. Er hat das BE-Repertoire daraufhin untersuchen lassen, mit einem überraschenden Ergebnis. Bei der „Kreidekreis“-Inszenierung von Michael Thalheimer, die man als blutige, körperbetonte Aufführung im Gedächtnis hat, gebe es nur ganze acht Stellen, die man leicht uminszenieren müsse. In anderen Aufführungen fänden sich noch weniger zu verändernde Momente zu enger Berührung der Schauspieler. Man werde es gar nicht merken, sagt Reese. Und: „Es wird natürlich nicht passend gemacht, was nicht passt.“

Eine andere Frage ist, wie die Pandemie-Erfahrung den Blick auf Texte und Inszenierungen an sich verändert. Bei dem Stück von Olga Grjasnowa, „Gott ist nicht schüchtern“, das im September nun Premiere haben soll, geht es um Menschen, die durch den Krieg in Syrien getrennt sind. Da muss man keinen Abstand nachinszenieren. Corona lähmt und schärft die Wahrnehmung zugleich. Wie kostbar das Theater ist, das zeigt sich in seinem Fehlen jetzt viel klarer als im saturierten Normalbetrieb, der im März so jäh ausgesetzt wurde.

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