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In der Natur fotografierte Lukas Städler Unbekannte, Freunde auch mal einen Pornodarsteller.

© Lukas Städler, Dittrich & Schlechtriem, VG Bild-Kunst Bonn 2024

Sex im Idyll: Der Berliner Fotograf Lukas Städler und seine Serie „Hain“

Lukas Städler stellt aktuell seine Serie „Hain“ im Fotografie-Museum „Fotografiska“ aus. Seine Bilder porträtieren schwule Cruising-Orte, lassen sich darauf aber nicht reduzieren.

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Dass Sex sich verkauft, weiß nicht nur die kommerzielle Werbeindustrie, auch die Kunst lockt seit eh und je mit der sinnlichen Versprechung. Ganz aktuell stellt das Fotografie-Museum Fotografiska den Berliner Fotografen Lukas Städler und seine Serie „Hain“ aus. Die beschäftige sich mit Cruising – dem anonymen, einvernehmlichen sexuellen Aufeinandertreffen meist schwuler Männer im öffentlichen Raum – so heißt es. Womit die Ankündigung darauf hinweist, dass es um einen für viele nicht sichtbaren Teil Berlins geht.

Ja, in „Hain“ es geht um Cruising und auch darum, dass ein schwuler Fotograf Licht in ein dunkles, geheimnisvolles Thema bringt. Dass es sich dabei um Klischees handelt, weiß Lukas Städler. Viele seiner Kollegen gingen ihm mit ähnlichen Inhalten voran. Und als er mit der Arbeit an der jetzt ausgestellten Serie begann, habe er sich tatsächlich mit der Frage beschäftigt, ob es wirklich noch einen weiteren schwulen Fotografen in Berlin braucht, der nackte Männer fotografiert.

Städler erzählt das an einem warmen Sommertag auf der Liegewiese im Kreuzberger Prinzenbad – einem seiner Lieblingsorte in Berlin. Die Fragen über seine Arbeit beantwortet er zunächst zögerlich, als würde er abschätzen, was sein Gegenüber hören möchte. An „Hain“ arbeite er jedenfalls seit zwei Jahren, abgeschlossen sei die Serie aber noch nicht. Und ja, ursprünglich sei es die Idee gewesen, die Cruising-Orte Berlins zu porträtieren, ohne eine genaue Vorstellung davon, wie das aussehen soll.

Mit einem Mann habe ich zum Beispiel erst eine Stunde lang geredet, bevor er sich von mir fotografieren ließ.

Lukas Städler, Fotograf

„Mein anfänglicher Reiz, mich mit dem Thema zu beschäftigen, entstand aus einer persönlichen Verwirrung heraus“, erinnert er sich, „ich hatte zuvor schon von den Orten gehört und habe mir die dann nach und nach angeschaut. Im ersten Moment war ich fasziniert und abgeschreckt zugleich.“ Letztendlich handelt es sich bei diesen Orten um öffentliche Parks, Waldlichtungen, Ufer, um Orte, an denen hauptsächlich Männer in einem „Safe Space“ aufeinandertreffen. Bei der Frage, wie safe, also sicher, die Orte dabei wirklich sind, scheint er sich nicht so ganz sicher.

Seine Bilder aber erzählen schon von einem paradiesischen Idyll. Von der ständigen subtilen Gefahr des Entdecktwerdens, oder von den Abgründen, die in der Anonymität lauern, sprechen sie nicht. Auch mit der stereotyp-pornografischen Sex-Ästhetik, die den Körper als erotisches Objekt versteht und die so allgegenwärtig scheint, haben seine Arbeiten wenig gemein. „Es hat eine Weile gedauert, aber ich habe ganz natürlich einen Weg gefunden, der mein eigener ist“, stellt Städler fest. „Und auch wenn es bei ‚Hain’ teilweise um Nacktheit und Sex geht, hat es sich nicht anders angefühlt, als wenn ich meine Oma in den letzten 15 Jahren fotografiert habe: Es ist der gleiche, liebevolle Blick, den ich auf die Motive habe.“

Ein romantischer Blick, der sich im finalen Ergebnis bestätigt. Ja, die Ausgangsmotivation seiner Serie ist unverkennbar, die künstlerische Übersetzung allerdings sind malerische Landschaftsabbildungen, in denen man den Sex oft erst suchen muss. Selbst Nahaufnahmen von Körpern sind wenig explizit, eher Studien über Farben und Formen. Im Fotografiska sind verschlungene Körper, organische Hautfalten, Details von knochigen Baumstümpfen und märchenhaften Astgabelungen einander gegenübergestellt. Der Sex, das vielleicht Anrüchige, die Provokation, rückt in den Hintergrund – oder bleibt ganz bewusst der Fantasie des Betrachters überlassen.

Lukas Städler setzt bewusst Kontraste ein, spielt mit Licht und Schatten.

© Lukas Städler, Dittrich & Schlechtriem, VG Bild-Kunst Bonn 2024

Städler hadert damit, seine Arbeit als entweder dokumentarisch oder inszeniert zu beschreiben, die einen Bilder seien auf diese, andere auf jede Weise entstanden. Teils habe er Menschen fotografiert, die er zuerst beobachtet und dann angesprochen habe: „Mit einem Mann habe ich zum Beispiel erst eine Stunde lang geredet, bevor er sich von mit fotografieren ließ“, erzählt er. Für andere Bilder traf er sich mit Bekannten und Freunden, für die wenigen etwas expliziteren lichtete er auch mal einen Pornodarsteller ab – aber ohne ihn mit einem geplanten Drehbuch anzuleiten. Der Umstand, dass auch die inszenierten Bilder organisch entstanden, ist ihm wichtig.

Als Außenstehender könnte man sich jetzt fragen, ob Cruising selbst nicht ein Akt der Inszenierung ist. Dass homosexuelle Männer auf diese Art Sex suchen, ist jedenfalls kein Zufall: Jahrzehntelang handelte es sich hierbei um eine wichtige Möglichkeit, den passenden Partner zu finden – das sich öffentlich Kennenlernen blieb mehr dem heterosexuellen Teil der Gesellschaft vorbehalten.

Ist das mehr Dokumentation oder Inszenierung?

Vieles hat sich heute ins Internet verlagert und wenigstens in Städten wie Berlin, muss das schwule Kennenlernen nicht mehr in der Anonymität stattfinden. Warum also gibt es diese halb verborgenen Orte nach wie vor? Städler glaubt, dass beim Cruising unterschiedliche Aspekte zusammenkommen – was das Thema für ihn so interessant macht: „Es gibt einerseits Personen, die das zelebrieren, vielleicht einen Nervenkitzel suchen, andererseits gibt es auch heute noch Leute, die cruisen gehen, weil sie vielleicht nicht geoutet sind und darin die einzige Möglichkeit sehen, sich sexuell auszuleben.“

Am Rande Berlins gebe es zum Beispiel eine Nacktwiese, die tief im Wald versteckt ist. Man müsse ganz bewusst dorthin fahren, eine kleine Reise. Wenn man die dann betritt, habe man das Gefühl, sich auf einer Lichtung in Südfrankreich zu befinden. Dort seien dann viele Grüppchen der älteren Generationen, die da den ganzen Tag dort verweilen, um ab und an im Wald verschwinden. Eine schöne Atmosphäre, die im Kontrast zu anderen, zentraleren Orten stehe, wo ganz andere Szenen aufeinandertreffen.

Städler versteht es, dramatische Stimmungen einzufangen, durch das bewusste Einsetzten von Kontrasten, das Spiel mit Licht und Schatten. Man fühlt sich an Renaissancegemälde oder schwülstige Kostümfilme erinnert. Die Bilder überzeugen mehr durch diese Wirkung, als durch das, was sie thematisieren. Romantisiert er damit vielleicht sogar die Tatsache, dass Cruising eben doch lange aus der Not heraus passierte? Verklärt Städler die teils brutale Geschichte homosexuellen Lebens mit dem Schleier der Nostalgie und kreiert eine nie erreichbare Utopie?

Irgendwann habe ich aber entschieden, dass es keinen Weg zurück mehr gibt

Lukas Städler, Fotograf

Er sei nun mal ein hoffnungsloser Romantiker, gesteht er, er versuche in allem das Schöne zu finden. Durch die Verbindung von nackten Körpern und der Natur zu unterschiedlichen Tageszeiten ergäben sich spannende Zufallsmomente: „Man könnte sogar sagen, dass diese Begegnungen schicksalhaft sind – die wenigsten Menschen hängen den ganzen Tag in Parks herum.“ Er hätte die Möglichkeit, das Ganze hart, kalt und dokumentarisch darzustellen, das sei aber nicht sein Anspruch.

Eine Botschaft der Schönheit und Hoffnung

Wie intim und mit seiner Person verwoben die Bilder sind, zeigt auch, dass es ihm zunächst nicht leicht fiel, die Serie auszustellen. Natürlich habe er sich sehr über die Möglichkeit gefreut, da er aber kein anonymer Fotograf sei und überall mit seinem Gesicht und Namen stehe und obwohl er die nackten Körper zärtlich in Szene setzte, habe er sich lange Gedanken darüber gemacht, ob er damit an die Öffentlichkeit gehen kann und will: „Irgendwann habe ich aber entschieden, dass es keinen Weg zurück mehr gibt. Ich habe die Arbeit gemacht und vielen Menschen darüber gesprochen – und ich will mutig genug sein, dass das von einem größeren Publikum gesehen wird.“

Das erzählt er, in Anbetracht der wachsenden Spannungen in unserer Gesellschaft, die wohl immer da waren, sich jetzt aber wieder vermehrt Bahn brechen. Städler ist es wichtig, eine Botschaft der Schönheit und Hoffnung in die Welt zu schicken – und auch wenn er seine Arbeit nicht als politisch verstanden werden möchte, stehe er mit ihr doch für sich und seine Community ein.

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