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Kultur: Oh, welch’ Schicksal!

Die britische Geschichte ist nicht eben arm an dramatischen Ereignissen. Was heutzutage die boulevardtauglichen Affären der Royals sind, waren dazumal Intrigen, Feindschaften und Todesurteile.

Die britische Geschichte ist nicht eben arm an dramatischen Ereignissen. Was heutzutage die boulevardtauglichen Affären der Royals sind, waren dazumal Intrigen, Feindschaften und Todesurteile. Durch Shakespeares Königsdramen sind wir darüber gut unterrichtet. Weniger geläufig, aber seinerzeit ungeheuer populär ist die Historienmalerei des 19. Jahrhunderts, die in einer Epoche unaufhaltsamen gesellschaftlichen Fortschritts jene rauen Zeiten ergreifend vor Augen stellte.

Insofern ist es durchaus bemerkenswert, dass das Gemälde „Die Hinrichtung der Lady Jane Grey“ aus dem Jahr 1833, das exakt 140 Jahre später quasi wiederentdeckt und sogleich in die Londoner National Gallery aufgenommen wurde, „sich zu einem der beliebtesten Gemälde der Nation entwickelt“ habe, wie das Museum mitteilt. Das ist dem Haus von Weltrang Anlass genug, rund um dieses Großformat eine Sonderausstellung zu veranstalten, die der Gattung des Historienbildes zu ihrem angestammten Recht verhelfen soll. Erstaunlich ist die Beliebtheit der ergreifenden Szene um die unglückliche Lady Jane nicht zuletzt deshalb, weil sie von der Hand eines Franzosen stammt: Paul Delaroche (1797-1856).

So debütierte das Werk denn auch in Paris, wo es beim Salon von 1834 enormes Aufsehen erregte. Die penible Darstellung, die in jedem Schwertknauf aufzuspürende historische Genauigkeit – oder was man seinerzeit dafür hielt –, der erzählerische Gestus bei unmittelbarer Eingängigkeit des Bildgehaltes, all das galt als Auftakt zu einer neuen Malerei. Die Historienmalerei trat ihren Siegeszug an, mit Vertretern wie Jean-Léon Gérome oder Thomas Couture in Frankreich, Hans Makart in Wien und Carl Theodor von Piloty in München. Und eben Delaroche.

Der Schüler von Napoleons Lieblingsmaler Baron Gros kam 1822 erstmals nach England und womöglich auch Schottland. Wenige Jahre nach der Ära Napoleons und der vorangehenden Umwälzung durch die Französische Revolution bot die englische Geschichte ein Feld romantischer Gegenwartsflucht für das restaurativ gestimmte Europa. Delaroche, der bereits 1831 einen sinnierenden Cromwell am Leichnam des enthaupteten Königs Karl I. gemalt hatte – das wohl stärkste Bild der Ausstellung –, deutet in seinen Bildern von Gefangenschaft, Martyrium und Tod die reale Geschichte ins Gleichnishafte um.

Der englische König Karl, hingerichtet 1649, ruft naturgemäß den anderthalb Jahrhunderte später gleichfalls geköpften Ludwig XVI. ins Gedächtnis, und dessen Gattin Marie-Antoinette, die Delaroche 1851 als unbeugsame Monarchin darstellt, lässt das Schicksal der 17-jährigen Lady Grey noch anrührender erscheinen. Die protestantische Jane durfte 1553 gerade einmal neun Tage lang Königin von England sein, ein Spielball der Intrigen, ehe die machthungrige, katholische Maria sie erst kaltstellen und dann im Februar 1554 hinrichten ließ. Nicht als protestantische Heldin, zu der sie die Geschichtsschreibung lange Zeit verklärt hatte, wird Jane dargestellt, sondern als hilfloses Wesen, das, ins Weiß der Unschuld gekleidet, zum Richtblock geführt wird, an dem sie der Scharfrichter mit unbewegter Miene erwartet.

Delaroches Kompositionen, das belegt die vorzüglich erarbeitete Londoner Ausstellung, wurden durch Nachstiche ungeheuer populär und beeinflussten ihrerseits zahlreiche Maler. Die Grenzen zwischen Anverwandlung und Plagiat sind dabei fließend. Delaroche studierte ältere Vorlagen ebenso, wie er selbst zum Vorbild wurde. Er blieb jedoch im zugleich suggestiven wie zurückhaltenden Einsatz von Dramatik und Sentiment unerreicht. Es ist, als ob er immer einen Moment innehält, um den Schrecken nicht zu deutlich, nicht zu plakativ werden zu lassen. Man denkt an Lessings Ästhetik.

Bezeichnend dafür ist der Einsatz leerer Flächen, die die handelnden Personen isolieren. Beeindruckend etwa „Die Prinzen im Tower“, eines der ersten englischen Sujets von Delaroche, das die vermutlich ermordeten Söhne von Eduard IV. zeigt, unmittelbar bevor die (unsichtbaren) Meuchelmörder 1483 in ihr Zimmer eindringen. Ob es sie gab, ist bis heute eines der beliebtesten Geheimnisse der englischen Geschichte. Fehlen solche Elemente des suspense – wie in dem unlängst wiederentdeckten, stark beschädigten Monumentalbild „Karl I., von den Soldaten Cromwells beleidigt“ von 1837 –, verliert die Komposition ihre Wirkung und verflacht zum Genre, wenn nicht zum Schwank.

Die Blütezeit der Historienmalerei dauerte wenige Jahrzehnte. Der Anspruch auf Wirklichkeitstreue konnte alsbald von einem anderen Medium übernommen werden: der Fotografie. Die Antwort der Malerei war der Verzicht auf den Detailrealismus, wie ihn Delaroche so perfekt beherrschte. Schade, dass Edouard Manets „Hinrichtung von Kaiser Maximilian“ von 1867 nicht die Ausstellung beschließt, eine radikal subjektive, bewusst verzerrte Darstellung, die gerade darum von enormem politischen Gehalt war und so auch verstanden wurde. Manets Bild ist in der ständigen Sammlung der National Gallery zu bewundern, so fragmentarisch es durch späteres Zerschneiden auch ist. Wohingegen Delaroches Können makellos glänzt, sein Sentiment jedoch nur mehr historisches Interesse wecken kann.

London, National Gallery, Trafalgar Square, bis 23. Mai. Katalog 19,99 Pfund.

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