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„One Battle After Another“ im Kino: Leonardo DiCaprio plant den Umsturz im Bademantel
Was, wenn ein totalitäres Regime Amerika übernommen hat, aber die Revolutionäre sich als unfähig erweisen? Paul Thomas Andersons durchgeknallte Satire „One Battle After Another“ ist ein unerklärlicher Blockbuster.
Stand:
Der Revolutionär hängt zugedröhnt im Bademantel auf der Couch, im Fernsehen läuft „Kampf um Algier“. In Gillo Pontecorvos Klassiker über den algerischen Widerstand gegen die französischen Kolonialherren, gefilmt mit der Intensität einer Live-Reportage, fliegen die Bomben rechts und links.
Rückblickend darf man Pontecorvo durchaus ein libidinöses Verhältnis zum bewaffneten Befreiungskampf unterstellen, so geschmeidig wie seine amazonenhaften Widerstandskämpferinnen durch die nächtliche Kasbah streifen.
Bei Bob (Leonardo DiCaprio) dagegen, der früher unter dem Nom de Guerre „Ghetto Pat“ der Bombenbastler der Stadtguerilla French 75 war, regt sich im Drogenstupor schon lange nichts mehr, weder die Libido noch der Kampfgeist.
Auch am Anfang von „One Battle After Another“, dem neuen Film vom einstigen Regie-Wunderkind Paul Thomas Anderson, wirkt der bewaffnete Kampf wie ein Aphrodisiakum für die Gruppe um Perfidia Beverly Hills (Teyana Taylor). Eine rauschhafte Lust, mit der auch die gemeinsame Tochter Willa (Chase Infiniti) gezeugt wird. Perfidia geht ihrem „Pat“ an die Wäsche, während die Luft brennt.
Sex und Bomben, die ultimative Machtdemonstration. Der manische Rhythmus dieser Eröffnung, zum synkopischen Geklöppel von Stammkomponist Jonny Greenwood, ist schon ein guter Vorgeschmack auf Andersons eigenes Revolutionsepos, das die nervöse Gereiztheit im gegenwärtigen Amerika einfängt.
Was von der radikalen Gegenkultur bleibt
Die Widerstandsgruppe French 75 hat es zu ihrer Mission gemacht, deportierte Migranten aus Auffanglagern zu befreien; der Polizeistaat antwortet mit voller Härte.
Perfidia spielt dieses Spiel in letzter Konsequenz mit, sie lockt den militärischen Erfüllungsgehilfen mit dem sprechenden Namen Colonel Steven J. Lockjaw (Sean Penn) in ihre Fänge und macht ihn sich sexuell gefügig. Doch ihre Impulsivität bringt die Gruppe in Gefahr – und als es nichts mehr zu retten gibt, verrät sie ihre Mitstreiter.
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Sechzehn Jahre später lebt „Pat“, jetzt Bob Ferguson, mit Willa incognito in dem kalifornischen Kaff Baktan Cross, und ist in seiner Rolle als alleinerziehender Vater auf ganzer Linie gescheitert. Als Lockjaw, der gute Gründe hat, Willa für seine eigene Tochter zu halten, den Militärapparat in Stellung bringt, um Vater und Tochter aus ihrem Versteck zu locken, bleibt DiCaprios indisponiertem „Che Lebowski“ keine andere Wahl, als endlich Verantwortung zu übernehmen. Dummerweise hat er das Passwort seiner früheren Kombattanten vergessen.
Die radikale Gegenkultur der sechziger Jahre war ein Aufstand der Söhne und Töchter gegen die Eltern. Zwanzig Jahre fanden sich die Revoluzzer selbst in der Rolle der Eltern wieder und mussten das alte Weltbild mit dem neuen Erziehungsauftrag und den politischen Verhältnissen in Einklang bringen.
Sidney Lumets melancholisches Familiendrama „Die Flucht ins Ungewisse“ (1988), mit dem jungen River Phoenix, handelt von diesem Widerspruch, und natürlich – deutlich eskalierender, weil es die Realität von Reagans Amerika als totalitäre Farce zeichnet – Thomas Pynchons „Vineland“.
In der Literatur ist der Begriff „pynchonesk“ (steht für: komische Figurennamen, Paranoia, Drogen, California Noir, absurde Geschichten) fast so inflationär gebraucht worden wie das inzwischen auf dem Index stehende „kafkaesk“. Umso erstaunlicher, dass sich bisher nur Paul Thomas Anderson an diesem im Grunde höchst kinotauglichen Material versucht hat – und den „Pynchon Touch“ vor zehn Jahren mit der Stoner-Krimikomödie „Inherent Vice“ kongenial adaptierte.
Free Jazz mit Maga-Amerika
„One Battle After Another“ ist seine zweite Pynchon-Adaption, lose inspiriert von der derangierten politischen Entropie in „Vineland“. Oder anders gesagt: Paul Thomas Anderson spielt in „One Battle After Another“ Free Jazz mit Maga-Amerika.
Die Einwanderungsbehörde MKU führt Razzien gegen illegale Migranten durch, weiße Nationalisten operieren als Schattenregierung, in den Städten formiert sich ein gewaltsamer Protest gegen die totalitären Methoden der Exekutive. Und mittendrin laviert sich das typische Pynchon-Personal durch ein dystopisches Chaos.

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Leonardo DiCaprio muss im Bademantel, mit einem toten Handy und einem Rest Münzgeld in der Tasche seine flüchtige Tochter finden. Unterstützung findet er in Sensei Sergio (Benicio del Toro), dem Buddha-haften Karate-Trainer Willas, der in seinem Dojo eine moderne „Underground Railroad“ betreibt und Migranten aus Mexiko zur Flucht verhilft.
Willa versteckt sich derweil in einem Kloster und lässt sich von den „mutigen Schwestern“, die nebenbei mit Marihuana dealen, und der French-75-Veteranin Deandra (Regina Hall) im Straßenkampf ausbilden. Chase Infiniti, die ein furioses Kinodebüt hinlegt, ist natürlich ein Name, den sich der alte Pynchon nicht besser hätte ausdenken können.
Sean Penn, dessen Crewcut ein (buchstäblich) geleckter Seitenscheitel ziert, marodiert mit seiner unnachahmlichen Aura aus Humorlosigkeit am Rande zur Selbstparodie durch den Film – in Sorge um seine makellose Blutlinie, sollte sich Willa tatsächlich als seine Tochter herausstellen.
Um seine Spuren zu verwischen, verhängt er den Ausnahmezustand über Baktan Cross. Auch die Geheimloge Christmas Adventurers Club hat Wind davon bekommen, dass ihr künftiges Mitglied möglicherweise nicht den Reinheitsgeboten der Organisation entspricht und schickt einen der ihren nach Kalifornien, um das Schlamassel aufzuräumen.
Es finden sich also so diverse Pynchon-Spurenelemente in dieser mit einem 130-Millionen-Budget bislang teuersten Anderson-Produktion, die ganz nebenbei noch eine Lanze für das Kino brechen will. Anderson hat seinen Film – wie zuletzt schon Brady Corbet „Der Brutalist“ – im historischen VistaVision-Format gedreht, wofür auch in Deutschland die restlichen noch zur Verfügung stehenden Imax-Leinwände reserviert werden. Sozusagen das künstlerische Gegenprogramm zum dritten „Avatar“, der Ende des Jahres in die Kinos kommt.
DiCaprio zerlegt die Bilder heroischer Männlichkeit
In der angespannten Lage der Kinobranche zeugt so viel Geld für einen Film ohne angehängtes Franchise vom Vertrauen des Studios Warner Bros. in den Regisseur. Vor allem kann es aber auf die Zugkraft von DiCaprio verlassen, der seit „Once Upon a Time in Hollywood“ die Bilder heroischer Männlichkeit im Starkino mit großer Hingabe und Lust am Chargieren desavouiert. In „One Battle After Another“ ist er im „Dad Rock“-Modus angekommen.

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Willa kommt mehr nach ihrer legendären Mutter, aber das Feuer der Revolution kann auch sie in Bob nicht mehr entfachen. Der hat schon Probleme damit, sein Mobiltelefon auf der Flucht aufzuladen. DiCaprio spielt den verhinderten Revolutionär mit der komischen Verzweiflung eines Vaters, der im THC-Delirium nicht mitbekommen hat, dass seine Tochter plötzlich ein Teenager ist – und nun panisch versucht, die verlorenen Zeit gutzumachen. Während um ihn herum die öffentliche Ordnung kollabiert.
Dass Anderson, der auch das Drehbuch geschrieben hat, die Vater-Tochter-Geschichte der erratischen Vorlage als roten Faden seiner ziellos wuchernden Geschichte wählt (obwohl „Vineland“ noch als gradlinigster Pynchon-Roman gilt), gibt „One Battle After Another“ eine emotionale Grundierung.
Umso seltsamer mutet darum an, dass DiCaprio und Infiniti keine einzige erinnerungswürdige Szene zusammen haben. Was vom revolutionären Elan der Eltern bleibt, und wie schwer dieses Erbe für die nachfolgende Generation wiegt (mit Willa als gewissermaßen biologisches Kind der Revolution), oder auch, wo die Übergänge von politischem Aktivismus, Radical Chic und Libido verlaufen – so weit geht Andersons Interesse an seinen Figuren nicht.
Dass er dem kontrollierten Chaos der Vorlage am Ende wohl doch nicht ganz traut, es geht schließlich auch um viel Geld, deutet sich im letzten Drittel der über 160 Minuten an, in dem die Thriller-Elemente der Geschichte eine Struktur geben – inklusive einer virtuos gefilmten Verfolgungsjagd durch die hügelige kalifornische Wüstenlandschaft. Aber der markante Pynchon-Sound ist, bei allem erzählerischen Überschuss, den Anderson produziert, bloß ein Wiedererkennungseffekt.
Von der hysterischen Politik in „Vineland“ bleibt in „One Battle After Another“ letztlich nur eine diffuse Bedrohungslage. Anderson nutzt die Vorlage für einen atmosphärischen Fatalismus, statt sich zu einem pointierten Kommentar auf die amerikanischen Gewaltverhältnisse aufzuraffen. Dass das Ideal Freiheit von den beiden großen Fraktionen in Amerika sehr gegensätzlich ausgelegt wird, ist nur ein Nachgedanke. Die antifaschistischen Umstürzler erweisen sich bei Anderson als genauso minderbemittelt wie die Handlanger des Regimes, eben nur weniger psychotisch.
„Ozeanwellen“, rät Benicio del Toros Zen-Revolutionär Sensei Sergio, ohnehin der einzig geerdete Charakter des Films, in den Kampfpausen dem völlig überforderten Bob. Diese Tiefenentspannung würde zwischendurch auch „One Battle After Another“ helfen, seine innere Mitte zu finden.
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