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Max Frischs Erfolgsroman „Stiller“ verfilmt: Mit Paula Beer und Albrecht Schuch prominent besetzt
Verwirrspiel der Identitäten in der piefigen Schweiz der Fünfziger. Stefan Haupt interpretiert Max Frischs „Stiller“ als Demontage aggressiver Männlichkeit.
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Dieser erste Satz gellt auch Jahrzehnte nach der Erstlektüre noch in den Ohren wie ein verzweifelter Ausruf: „Ich bin nicht Stiller!“ Für Max Frisch legt der Roman „Stiller“, der 1954 bei Suhrkamp erscheint, in 30 Sprachen übersetzt wird und sich Millionen Mal verkaufen soll, den Grundstein für seine literarische Weltgeltung.
Jetzt hat der Regisseur Stefan Haupt, ein Schweizer wie Max Frisch, dessen Verwirrspiel der Identitäten in einen geschmackvollen Film verwandelt, der weniger wie ein Ehe- oder Künstlerdrama, sondern vielmehr wie die Selbstdemontage toxischer Männlichkeit anmutet.
Drei verschachtelte Erzählebenen
Diese zeitgemäße Interpretation und die in drei Zeitebenen verschachtelte Erzählweise heben „Stiller“ aus der gepflegten Langeweile literarischer Kino-Matineen heraus. Wobei das beherzte Bashing der Schweiz als provinziellem Land der Pedanterie und geistigen Enge, das Frisch im „Stiller“ zelebriert, in der Kinoadaption weitgehend fehlt und dem Stoff damit eine wichtige substanzielle Ebene raubt.
„Ich bin nicht Stiller!“ Das beteuert der US-Amerikaner James Larkin White (Albrecht Schuch) den Grenzbeamten ein ums andere Mal, als er bei der Einreise in die Schweiz Anfang der fünfziger Jahre verhaftet wird. Die Grenzpolizisten halten ihn für einen Bildhauer namens Anatol Stiller, nach dem wegen einer ominösen Politaffäre samt Mordes an einem Russen und der Gründung einer kommunistischen Vereinigung gefahndet wird. Taten, die der inhaftierte White ebenso vehement abstreitet wie die Behauptung, dass er sieben Jahre zuvor noch Anatol Stiller gewesen sei.
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„Entweder verzweifeln wir daran, wir selbst sein zu wollen. Oder wir verzweifeln daran, nicht wir selbst sein zu wollen“, fasst der verständnisvolle Staatswalt Rolf Rehberg (Max Simonischek) am Rande des Verfahrens gegen White/Stiller das Identitätsdrama postmoderner Menschen zusammen.
Die Ehefrau soll ihn identifizieren
Whites eigentliche Gegenspielerin ist aber nicht die Justiz, sondern Julika Stiller-Tschudy, die von Paula Beer verkörperte Ehefrau des vor Whites Auftauchen als verschollen geltenden Anatol Stiller. Die ehemalige Ballerina führt eine Ballettschule in Paris und reist auf Bitten der Justiz nach Zürich, um White als Stiller zu identifizieren. „Kennen wir uns irgendwoher?“, fragt Larkin die elegante Besucherin treudoof. „Ja, wir sind verheiratet“, lautet deren für ihn verblüffende Antwort. Dass sich das Befremden zwischen den einstigen Künstlernaturen schnell legen wird, ist sofort klar.

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In Rückblenden entfaltet Haupt die Vorgeschichte als Desillusionierung einer Ehe, die an der Egomanie, den Komplexen und dem Neid des Mannes auf die erfolgreiche Frau zerbricht. Der Beginn der Liebe zwischen Julika und Anatol, der in dieser Zeitebene noch von Sven Schelker mit reichlich klischiert wirkendem Künstlergestus verkörpert wird, ist in warme Sepiatöne getaucht.
Später – als es zwischen der Ballerina und dem Bildhauer kriselt und die Tuberkulöse im Sanatorium in Davos vor sich hin hustet – wandelt sich der Look in winterliches Schwarzweiß. Und die Gegenwart, in der der Inhaftierte und die Ex-Ballerina sich bei Freigängen näherkommen, taucht Kameramann Michael Hammon in das Graublau des Zürichsees, in dem die knallroten Lippen und Jäckchen von Julika wie Ausrufezeichen wirken.

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Was in der Romanadaption zu kurz kommt, sind die abenteuerlichen Geschichten, die der vermeintliche Amerikaner White seinem Wärter Knobel erzählt und die den irritierenden Tom-Ripley-Touch, den Hochstapler-Appeal der Figur, verstärken.
Der Wunsch, sich von seiner Vergangenheit abzuspalten, ein neues Leben zu beginnen, lädt jedoch im Jahr 2025 genauso zur Identifikation ein wie in der Nachkriegszeit. Besonders, weil Stiller, wie Stefan Haupt ihn zeichnet, nicht nur ein kommunikationsgestörter Egozentriker, sondern ein ausgemachtes Arschloch war, das seiner Frau den Erfolg neidete, den eigenen Misserfolg provozierte und eine Atelieraffäre begann, während die todkranke Julika im Sanatorium mit dem Tod kämpfte.
Dass sich die Leidgeprüfte trotzdem darauf einlässt, sich erneut für den Ex zu interessieren, und sich in Dialogen sogar die Mitschuld an dessen Verschwinden gibt, verortet den Stoff dann doch in seiner Entstehungszeit, den Fünfzigern. Da mag sich der geläuterte White noch so (selbst)kritisch über Stillers Verhalten der Ehefrau gegenüber auslassen.
Auch wenn Stefan Haupts Verfilmung einen respektablen Wurf darstellt und sein stimmig besetztes Ensemble überzeugt: Zwingend ist es im Jahr 2025 nicht, Max Frischs Psychogramm einer zerrütteten Künstlerpersönlichkeit zu bebildern.
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