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Plötzlich Arthouse-Schauspieler: Wie Mohamed Haj Younis auf dem roten Teppich landete
Haj Younis kam als unbegleiteter Geflüchteter nach Berlin. Da war er elf. Jetzt spielt er seine erste Filmrolle in „Gewalten“, der auf der Berlinale läuft.
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Als Mohamed Haj Younis an sich herunterschaut, auf die weißen Airmax auf dem roten Teppich, kann er es kaum fassen. Er ist bei einer Filmpremiere, bei seiner Filmpremiere! Er schaut in die Kameras, die vor ihm ein Blitzlichtgewitter veranstalten, und denkt an seine Freunde. Wenn die ihn gerade sehen könnten. Als es dunkel wird im Saal, schickt er schnell ein Foto in die Gruppe: von sich, Mohamed Haj Younis, 17 Jahre, umringt von Filmteams, Schauspielern und Fotografen.
Knapp sieben Jahre ist es her, dass er als unbegleiteter Geflüchteter aus Nordsyrien in Deutschland ankam. Das Datum weiß er noch genau: 10. Oktober 2015. Er war elf Jahre alt. Jetzt spielt er seine erste Filmrolle in „Gewalten“ von Regisseur Constantin Hatz, der in der Sektion Perspektive Deutsches Kino gezeigt wird. Kameramann Rafael Starman erhielt am Mittwoch dafür den Heiner-Carow-Preis.
Haj Younis sitzt in einer Altbauküche mit hohen Decken in Berlin-Mitte und trinkt Orangensaft. Die Küche gehört seinem ehemaligen Vormund Gudrun Schrott. Wenn der Elftklässler schon so etwas wie eine Managerin hätte, dann wäre es die 65-Jährige. In ihrer Küche saß er auch, als er eines Mittags verkündete, Schauspieler werden zu wollen.
Haj Younis mag eigentlich lieber Komödien
Einige Wochen später landet eine Einladung in Schrotts Mail-Postfach. Das Maxim Gorki Theater sucht minderjährige Geflüchtete für eine Inszenierung. Die beiden gehen zum Vorsprechen. Drei Runden und 40 Bewerber:innen, am Ende werden acht genommen. Haj Younis ist einer von ihnen. In dem Stück, „Futureland“, das 2019 Premiere feierte und bis heute auf dem Spielplan steht, geht es um die Lebensrealität der Jugendlichen zwischen Sozialarbeiter:innen, Jugendämtern und Identitätssuche, zwischen Kindheit und Adoleszenz, eingebettet in eine Science-Fiction-Erzählung.
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Mit der Probe beginnt für Haj Younis eine aufreibende Zeit. Vormittags ist er in der Schule und lernt für den MSA, nachmittags steht er vier Stunden auf der Bühne und probt. Parallel läuft das Verfahren für den Nachzug seiner Familie. Vier Tage vor der „Futureland“-Premiere landen seine Eltern und drei Geschwister in Schönefeld. Bei der ersten Aufführung sind sie mit im Saal. Haj Younis mag eigentlich lieber Komödien
Wenig später meldet sich die Regieassistentin bei Haj Younis. Sie kenne da jemanden, der einen Arabisch sprechenden Schauspieler sucht. Gemeinsam mit Gudrun Schrott studiert Haj Younis die Rolle des Karim in „Gewalten“ ein. Sie sitzen im Wohnzimmer und lesen den Text. Schrott erklärt, wer dieser Karim ist, den Haj Younis da spielen soll: ein Außenseiter, ein Geflüchteter, der neu im Dorf ist. Haj Younis versteht.

© Rafael Starman/Kinescope Film
Doch als er beim ersten Vorsprechen den gesamten Plot erfährt, beginnt er zu zweifeln. „Gewalten“ spielt in einem tristen Dorf. Die Hauptfigur, der 14-jährige Daniel, ist umgeben von feindseligen Männern, der Vater sterbenskrank und verbittert, der Bruder nutzt ihn für Botengänge aus. „Das klang alles so traurig“, sagt er. Lieber wolle er in Filmen mitspielen, die Menschen zum Lachen bringen, zumindest zum Schmunzeln. Sein Lieblingsfilm ist „Der Diktator“ mit Sacha Baron Cohen. Doch dann kommt die Zusage, und Haj Younis entscheidet sich, dabei zu sein.
Gemeinsam mit Schrott fährt er zu den Dreharbeiten nach Clausthal-Zellerfeld in den Harz. Er wohnt mittlerweile mit seinen Eltern in einer Gemeinschaftsunterkunft und bereitet sich auf die Oberstufe vor. Als Haj Younis den Film zum ersten Mal sieht, ist er überrascht und begeistert zugleich. „So etwas habe ich noch nie gesehen!“ Die Kameraeinstellungen seien lang – und wunderschön.
Mohamed Haj Younis will unbedingt weitermachen, spielen. Nächstes Mal in einer Komödie? Sein Lieblingsschauspieler ist Elyas M’Barek.
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