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Bis nichts mehr übrig bleibt. Akribisch und Bank für Bank schildert Müller, wie Finanzstrategen jedes Maß verloren.

© Caro / Trappe

Politisches Buch: Der große Raubzug

Leo Müller macht Berliner Spitzenpolitiker in seinem Buch "Bankräuber" für die Finanzkrise mitverantwortlich - fulminant.

Wenn Kanzlerin Merkel und ihr früherer Finanzminister Peer Steinbrück über die seit nunmehr drei Jahren laufende Finanzkrise sprechen, dann sind die Schuldigen immer weit weg. Mal sollen es gierige Spekulanten in Amerika gewesen sein, mal unfähige Bankmanager in Frankfurt und München oder aber die Regierung in Washington, die – unerhört – den Wall- Street-Riesen Lehman Brothers pleitegehen ließ und damit eine weltweite Kettenreaktion auslöste. Welche Formel sie auch wählen, in einem Punkt sind sich Deutschlands Finanzpolitiker einig: Dass acht deutsche Großbanken, davon sechs im Staatsbesitz, zum Schutz des „Systems“ mit dreistelligen Milliardenbeträgen zulasten des Steuerzahlers saniert werden müssen, sei „nicht vorhersehbar“ gewesen, versichern alle Beteiligten. Insofern, das ist die Kernbotschaft, treffe weder die Regierenden noch die ihnen unterstehenden Aufsichtbehörden irgendeine Schuld.

Das war von Beginn an wenig glaubwürdig. Schließlich haben die Regierungen von Gerhard Schröder und Angela Merkel mit der Deregulierung der Finanzwirtschaft die gigantischen Fehlspekulationen überhaupt erst ermöglicht. Doch ihr Versagen geht weit über die Schwächung der Aufsicht hinaus. Denn schon lange vor Ausbruch der akuten Krise waren großen Teile des deutschen Bankensystems hochgradig mit faulen Krediten belastet. Und die Finanzminister in Bund und Ländern haben gemeinsam mit den Aufsehern bei der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (Bafin) und der Bundesbank die damit verbundenen Risiken noch vervielfacht und so lange verschleiert, bis es zu spät war. Das jedenfalls ist die Kernthese des Wirtschaftsjournalisten Leo Müller, der jetzt seine jahrelangen Recherchen über den Finanzplatz Deutschland mit einem fulminanten Buch über die „Bankräuber“ im Amt zusammengefasst hat. Mit einer überwältigenden Fülle von Belegen führt Müller darin den Nachweis, dass der deutsche Anteil an der globalen Finanzkrise dem amerikanischen in nichts nachsteht – eine Lektüre, bei der selbst dem informierten Leser zuweilen der Atem stockt.

Ausgangspunkt ist ein Geheimtreffen im Berliner Wirtschaftsministerium im Februar 2003. Acht Spitzenmanager der Finanzbranche beraten damals mit Kanzler Schröder und Finanzminister Hans Eichel über ein gravierendes Problem: Mehrere Banken, darunter die Commerzbank, die Dresdner Bank und die Hypo-Vereinsbank haben „notleidende Kredite“ von bis zu 100 Milliarden Euro in ihren Büchern stehen. Um eine Pleite abzuwehren, schlägt Deutsche-Bank-Chef Josef Ackermann die Einrichtung einer Auffanggesellschaft vor, einer „bad bank“, die mit staatlicher Hilfe die Last langfristig abtragen soll. Der Vorschlag hat keine Chance, weil die Sanierung auf Kosten der Steuerzahler den Wählern nicht zu vermitteln ist.

Stattdessen verlegen sich alle deutschen Großbanken auf ein höchst undurchsichtiges Geschäft. In großem Umfang fassen sie Kredite zu Paketen zusammen und verbuchen diese „Verbriefungen“ in sogenannten Conduits, Zweckgesellschaften, die sie in unregulierten Steueroasen wie auf den Kanalinseln anlegen. Formal sind diese Anlagevehikel unabhängig und ersparen den Ursprungsbanken so die eigentlich vorgeschriebene Unterlegung mit Eigenkapital. Über „Liquiditätsgarantien“ haften jedoch letztlich die Mutterhäuser für alle Risiken. Denn nur so können diese Schattenbanken die Darlehen aufnehmen, mit denen sie die verbrieften Kreditpakete gegenfinanzieren. De facto handelt es sich also um eine groß angelegte Bilanzmanipulation. Doch Politiker und Aufseher feiern das als „Innovation“. Jörg Asmussen, damals Abteilungsleiter und bis heute Finanzstaatssekretär, lobt, dass „die Eigenkapitalanforderungen für viele Kreditinstitute sinken“.

Tatsächlich jedoch führten die Conduits geradewegs in die Katastrophe. Denn die Finanzstrategen stiegen mit ihren Zweckgesellschaften in den Folgejahren im großen Stil auch in den Kauf von US-Kreditverbriefungen ein und häuften unvorstellbare Risiken in ihren Tarnfirmen an. Akribisch und Bank für Bank schildert Müller, wie sie dabei jedes Maß verloren und sich selbst skrupellos bereicherten. Bis 2009 stieg so allein bei den Landesbanken das Volumen der Problemkredite auf ungeheuerliche 355 Milliarden Euro. Am Ende haftete selbst die sächsische Landesbank mit gerade mal 1,6 Milliarden Euro Eigenkapital für Risken in Höhe von 43 Milliarden Euro, mehr als selbst der US-Geldkonzern Citigroup in seinen Schattenbanken hielt.

Nicht minder erschütternd liest sich die Schilderung, wie „die Finanzpolitiker in Bund und Ländern beim großen Raubzug der Banker Schmiere standen“. So hätten die riskanten Milliardenwetten nach EU-Recht eigentlich schon ab 2005 offengelegt werden müssen. Doch wohl wissend um die versteckten Risiken verschleppten die Finanzminister die Umsetzung der Bilanzvorschriften noch bis zum Mai 2009. Das ging einher mit einer grandiosen Selbsttäuschung. Noch am 25. September 2008, zehn Tage nach der Lehman-Pleite, verkündete Minister Steinbrück im Bundestag, das deutsche Bankensystem sei „im internationalen Vergleich relativ robust“, ein Bankenrettungsprogramm wie in den USA sei in Deutschland „nicht notwendig“. Nur einen Tag später begannen die Verhandlungen für den 100-Milliarden-Freikauf der Münchner Hypo Real Estate (HRE).

Und bis heute, das ist der besonders bedrückende Teil des Buches, hält die Vertuschung an. Längst haben die Regierungen in den anderen Krisenstaaten ihre Banken gezwungen, sämtliche Risiken aufzudecken und dafür neues Eigenkapital auf dem Markt oder aber vom Staat aufzunehmen. Nur in Deutschland geht das Versteckspiel weiter. Die Operationen des Sonderfonds Finanzmarktstabilisierung unterliegen der strikten Geheimhaltung. Noch immer werden die auf die Staatsbank KfW übertragenen Altlasten der IKB und der Irland-Fonds der SachsenLB nicht offen bilanziert. Der tatsächliche Kapitalbedarf der Landesbanken und der HRE und die Folgen für die öffentlichen Haushalte sind völlig ungeklärt. Umso schwerer wiegt, dass der Bundestag bis heute keine umfassende Aufklärung betreibt, wie sie etwa der US-Kongress mit seiner unabhängigen Untersuchungskommission leistet. Spätestens nach der Lektüre dieses Buches sollte auch den SPD-Abgeordneten im Bundestag klar sein, dass sie sich der Einsetzung einer solchen „Wahrheitskommission“, wie sie jüngst auch IG- Metall-Chef Berthold Huber forderte, nicht mehr verweigern dürfen. Andernfalls wird das Bankendesaster zu einem Dauerschaden für die Demokratie.
Leo Müller: Bankräuber. Wie kriminelle Manager und unfähige Politiker uns in den Ruin treiben. Econ, Berlin 2010, 384 Seiten, 19,95 Euro.

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