
© Thibaut Grevet (Promo)
Album von Rapperin Little Simz: „Lotus“ ist Abrechnung und Neubeginn
Die Londoner Rapperin Little Simz hat sich von ihrem Langzeit-Produzenten Inflo getrennt und dafür so viele Gäste wie nie zuvor auf ein Album eingeladen. Entstanden ist ein intensiver und intimer Soundtrip.
Stand:
Im Nord-Londoner Stadtteil Islington liegt der St. Mary’s Youth Club, ein unauffälliger Flachbau aus hellen Betonziegeln. Hierher kam die 1994 geborene Simbiatu Ajikawo in ihrer Kindheit und Jugend regelmäßig, um zu tanzen, singen und zu rappen. Irgendwann freundete sie sich mit dem sechs Jahre älteren Dean Josiah Cover an und sie verfolgten ihre musikalische Leidenschaft gemeinsam.
Rund zwei Jahrzehnte später gehören die einstigen Kids aus dem Jugendclub zu den erfolgreichsten und prägendsten britischen Musiker*innen ihrer Generation. Gelungen ist ihnen das unter anderem mit drei Alben von Ajikawo, die sich als Rapperin Little Simz nennt.
Cover, der unter dem Pseudonym Inflo bekannt ist, hat sie größtenteils produziert. Mit „Grey Area“ von 2018 wurden sie für den Mercury Prize nominiert, mit dem zwei Jahre später erscheinenden Nachfolger „Sometimes I Might Be An Introvert“ gewannen sie diese wichtigste Popmusikauszeichnung Großbritanniens.
Und mit dem Ende 2022 veröffentlichten „No Thank You“ schickten sie gleich noch ein hervorragendes Album hinterher, das unter anderem den Soundcheck Award von Tagesspiegel und Radio eins für das beste Album des Jahres gewann. Wie auf den beiden letztgenannten Meisterwerken ein organischer, oft mit markanten Bläsersignaturen und Chören operierender Sound zusammenkam, war schlichtweg atemberaubend und machte die Londonerin zu einer Hip-Hop-Ausnahmeerscheinung.
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Ihrer Zusammenarbeit mit Inflo, der auch für Michael Kiwanuka gearbeitet hat und hinter dem Bandprojekt Sault steckt, schien eine goldene Zukunft vorgezeichnet. Doch daraus wird nun erstmal nichts: Little Simz hat, wie kürzlich bekannt wurde, ihren Kindheitsfreund verklagt, weil er ihr ein Darlehen über 1,7 Millionen Pfund (rund zwei Millionen Euro) nicht zum verabredeten Zeitpunkt zurückgezahlt haben soll. Dadurch geriet Little Simz mir ihrer eigenen Steuer in Verzug.
„Ich war wirklich frustriert und verletzt, und ich wollte schreien“, hat die 31-Jährige dem „Billboard Magazine“ in einem Gespräch über die Klage gesagt. Ein Echo dieser Gefühle lässt sich jetzt auf Little Simz’ fünftem Studioalbum „Lotus“ nachhören, dessen Eröffnungssong „Thief“ direkt an den einstigen Vertrauten gerichtet zu sein scheint: „This person I’ve known my whole life, coming like a devil in disguise“, heißt es an einer Stelle des von Schlagzeug, Bass und Gitarre vorangetriebenen Stücks. „Why is this gemini hating?“, fragt sie an anderer – Zwilling ist Inflos Sternzeichen.
Im Refrain schleudert Little Simz dem Gegenüber ein verhalltes „Thief! And you know what it means“ entgegen, um es dann zu beschuldigen, Lügen zu verkaufen. Die Abrechnung listet zudem die Kosten auf der eigenen Seite auf, am prägnantesten in der Zeile „Psychological mental abuse will leave more than a bruise/ Will leave more than scars“.
Bossa, Afrobeat und Wut
Dass dies tatsächlich sehr direkt Little Simz’ Gefühlswelt spiegelt, lässt sich dem Pressetext zum Album entnehmen, in dem sie von der Tagebuch-Qualität ihrer Texte spricht und sagt: „Es ist echt, es ist für mich. Auch wenn ich sie nie aufgeschrieben hätte oder sie niemandem zu Ohren gekommen wären, würde ich mir diese Dinge immer noch sagen wollen.“
Wie tief die in „Thief“ thematisierte Verwundung ist, lässt sich auch im Song „Lonley“ erahnen, der einen melancholischen Soulballaden-Vibe verbreitet und von existenziellen Selbstzweifeln handelt. Little Simz rappt darüber, wie sie verzweifelt im Studio sitzt und es nicht schafft, ein Album zu schreiben. In ihrer Einsamkeit denkt sie wieder an den, der sie angelogen hat. Und sie fragt sich, ob Musik überhaupt noch für sie bestimmt ist und sie nicht lieber mehr Schauspielern soll.
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Zum Glück ist sie bei der Musik geblieben – und hat mit Miles Clinton James einen neuen Produzenten gefunden, der ebenfalls gut zu ihr passt. Überdies hat sie so viele Gäste wie nie zuvor auf einem Album dabei. Gleich zweimal ist Obongjayar zu hören, der schon 2021 auf Simz’ Hitsingle „Point And Kill“ dabei war. Das unter Dauerspannung stehende „Flood“ klingt wie dessen düsterer Bruder, während der lässige Afrobeat von „Lion“ in die Heimat von Obongjayar und das Land von Little Simz’ Vorfahren verweist.
Zusammen mit Lydia Kitto tänzelt sie bei „Only“ in einen Bossa Nova und feiert auf der Single „Free“ geradezu hippiesk die Kraft der Liebe. Dass ihr das genauso wenig in den Kitsch driftet wie das von Moses Sumney und Miraa May mit wunderschönen Gesangsbeiträgen veredelte „Peace“, beweist ihre weiter wachsende Könnerinnenschaft. Mit Hip-Hop hat das nur noch am Rande zu tun, aber an Genregrenzen ist Little Simz ohnehin wenig interessiert.
Und so breitet sie im sechseinhalbminütigen Titelstück von „Lotus“ gemeinsam mit Michael Kiwanuka und Yussef Dayes eine so majestätische wie wütende Soul-Rap-Jazz-Vision inklusive Kirchenglocken und Streichern vor uns aus, dass man nur hoffen kann, dass das Filmemachen noch lange ein Nebenjob bleibt.
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